Ressourcen sinnvoll einsetzen

Organisationen
Ausgabe
2023/09
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21384
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(09):34-36

Affiliations
a Dr. med., Oberärztin, Klinik für Allgemeine Innere und Notfallmedizin; Bürgerspital Solothurn, b Dr. med., Oberärztin, Klinik für Allgemeine Innere und Notfallmedizin, Bürgerspital Solothurn; c Dr. med., Oberärztin, Klinik für Allgemeine Innere und Notfallmedizin, Bürgerspital Solothurn; d Ehem. Assistenzärztin, Klinik für Allgemeine Innere und Notfallmedizin, Bürgerspital Solothurn; e Klinikmanager, Klinik für Allgemeine Innere und Notfallmedizin, Bürgerspital Solothurn; f Dr. med., Leitender Arzt, Klinik für Allgemeine Innere und Notfallmedizin, Bürgerspital Solothurn; g Dr. med., Chefärztin, Zentrum für Notfallmedizin, Kantonsspital Aarau; h Prof. Dr. med., Universitäres Notfallzentrum, Inselspital, Universitätsspital Bern ​

Publiziert am 01.03.2023

Keine Leerläufe Unnötige Laboruntersuchungen und intravenöse Therapien bekämpfen: Das haben sich Mitarbeitende des Bürgerspitals Solothurn zum Ziel gesetzt und Informationsmaterialien für ihre Abteilung erstellt – mit Erfolg.
Die Innere Medizin sieht sich mit grossen Herausforderungen konfrontiert: Ökonomischer Druck, Personalmangel, Bettenknappheit sowie eine stetig sinkende Verweildauer führen dazu, dass eine gezielte Fokussierung auf die akut relevanten Probleme der aktuellen Vorstellung respektive Hospitalisation nötig wird, ohne dass dabei wichtige Zusatzbefunde übersehen werden. Dies stellt eine Chance dar, eingeschliffene Routinen zu hinterfragen, die stetig ansteigende Datenflut zu reduzieren und so ein Konzentrieren auf ein pragmatischeres, patientenorientiertes Vorgehen zu erlauben.

Spitalinterne Prozesse hinterfragen

Auf diesem Hintergrund wurde zu Beginn des Jahres 2022 eine Projektgruppe bestehend aus einer Assistenzärztin, zwei Oberärztinnen sowie einer leitenden Ärztin und einem leitenden Arzt der Klinik für Innere und Notfallmedizin des Bürgerspitals Solothurn mit mehrjähriger interner und externer Erfahrung zusammengestellt.
Diese Auswahl gewährleistete, dass das zusammengestellte Team über ein fundiertes Verständnis der spitalinternen Prozesse mit den damit einhergehenden Problematiken bei Labor- und intravenösen Therapieverordnungen verfügt, jedoch auch alternative Organisationsmöglichkeiten kennt.

Lösungen erarbeiten

In einem ersten Schritt wurden subjektiv sehr häufige, möglicherweise unkritisch angeordnete und/oder teure Verordnungen gesammelt sowie Ansprüche an internistische Hospitalisationen und Notfallbehandlungen definiert. Im Anschluss erfolgte in Zusammenarbeit mit dem medizinischen Controlling eine Datenerhebung hinsichtlich Häufigkeit und (Kosten-) Aufwand der einzelnen Laborparameter respektive intravenösen Therapien.
Anhand dieser Aufstellung wurde die erarbeitete Ersteinschätzung reevaluiert und folgende Ansatzpunkte ausgewählt: Blutkulturen [1], Procalcitonin [2], ionisiertes Kalzium, aktives Vitamin B12, Eisenstatus, Vitamin D [3], HbA1c, Thyroidea-stimulierendes Hormon, Phosphat, Harnstoff, Aspartat-Aminotransferase und alkalische Phosphatase. Betreffend die intravenösen Therapien wurde der Fokus auf die Antibiotikatherapien gelegt.
Nach einer Literaturrecherche wurden Entwürfe zu Handlungsempfehlungen bezüglich Indikation sowie sinnvollen Bestimmungsintervallen der genannten Laborwerte ausgearbeitet. Hinsichtlich der antibiotischen Therapie konnten Kriterien zur Umstellung von intravenös auf peroral nach 48 Stunden sowie entsprechende Kontraindikationen definiert werden [4]. Diese Entwürfe wurden unter anderem chefärztlich und durch die betroffenen Spezialdisziplinen validiert.

Das Wissen teilen

Anschliessend wurden Informationsmaterialien in Form von Pocket Cards und Factsheets mit ergänzenden Hintergrundinformationenerarbeitet (die Pocket Card zu Labormesswerten kann als PDF bei der Onlineversion dieses Artikels heruntergeladen werden). Hierbei wurde Wert daraufgelegt, dass diese Zusatzinformationen enthalten, die im klinischen Alltag hilfreich sind (zum Beispiel Interpretationshilfen), damit sie durch die Mitarbeitenden möglichst oft konsultiert werden würden.
Zudem wurden Verordnungsblöcke und das Blutgasanalysegerät der Notfallstation angepasst, um unnötige Mitläufer bei Verordnungen zu vermeiden.
Weiter wurden Notfall-Leitsymptome definiert, bei welchen keine standardmässigen Blutentnahmen nötig sind. Nach dreimonatiger Vorbereitungsphase wurde das Projekt schliesslich mit Informationsveranstaltungen an Rapporten und im Newsletter offiziell eingeführt.
Um gut 30% konnte der Laboraufwand reduziert werden, seit ein ärztliches Team die hauseigenen Abläufe kritisch unter die Lupe genommen hat.
© Phuttaphat Tipsana / Dreamstime

Konkrete Handlungsempfehlungen

Folgend einige Auszüge der Handlungsempfehlungen: Bei Infekten sollen vorgängig die Wahrscheinlichkeit einer Bakteriämie anhand klinisch-laborchemischer Gesichtspunkte (Shapiro-Score, SIRS-Kriterien) abgeschätzt werden und die Indikation zur Blutkulturabnahme entsprechend erfolgen.
Ein anderes Beispiel stellen die bisher während internistischen Hospitalisationen beinahe inflationär abgeklärten, oft nebenbefundlichen Anämien dar. Falls diese während der aktuellen Behandlung nicht klinisch relevant scheinen respektive bereits in ähnlichem Ausmass bekannt und abgeklärt worden sind, muss stationär keine weitere Diagnostik erfolgen. Selbstverständlich werden diese jedoch in der Diagnoseliste erfasst und eine entsprechende Empfehlung für das ambulante Prozedere formuliert.
Sollte die Indikation zur stationären Anämiediagnostik gestellt sein, sollen einerseits Vorbefunde der Erythropoesesubstrate erfragt und andererseits deren Einflussfaktoren mitberücksichtigt werden. Erwähnenswert seien bei beiden Beispielen die jeweils aufgeführten Kontraindikationen für die Anwendung der Regelungen sowie die Verweise auf Clinical Reasoning, um blindes Befolgen der Weisung zu verhindern.

Erfreuliche Resultate

Nach mehrmonatiger Laufzeit ergab eine Zwischenanalyse eine Reduktion des Laboraufwandes um gut 30% (siehe Abbildung 1) sowie einen Rückgang der stationären intravenösen Antibiotikabehandlungstage im Median um 25% (siehe Abbildung 2) ohne Anstieg der Rehospitalisationsrate oder der mittleren Verweildauer bei stationär beziehungsweise der 72-Stunden-Rekonsultationsrate bei ambulant Behandelten als ein Surrogat der Behandlungsqualität in diesem Zeitraum.
Abbildung 1 : Entwicklung des Laboraufwandes von Januar bis September 2022.
Abbildung 2: Stationäre intravenöse Antibiotikatherapiedauer 2021 und 2022.

Gute Umsetzung dank Teamarbeit

Die bisher äusserst vielversprechenden Ergebnisse führen wir auf multiple Faktoren zurück: Einerseits ermöglicht die breite Zusammenstellung unseres aus mehreren Kaderstufen aufgebauten Teams eine realitätsnähere Beleuchtung der Ist-Situation als dies bei klassischen Prozessoptimierungen durch Externe beziehungsweise durch nicht operativ tätige Mitarbeitende geschieht. So gelang die rasche Identifikation von neuralgisch überverordneten, realistisch veränderbaren Prozessen. Damit konnte ein für unsere Klinik massgeschneidertes Massnahmenpaket zusammengestellt werden.
Andererseits erhöhten die stark evidenzbasierte Ausarbeitung und das Vorstellen des Projekts durch Arbeitskolleginnen und -kollegen massgeblich dessen Akzeptanz und somit konsequente Umsetzung. Zudem wird die Entwicklung von kritisch mitdenkenden Mitarbeitenden respektive Behandelnden gefördert durch stetige Verweise auf Clinical Reasoning.

Rückfall in alte Routinen verhindern

Es kann spekuliert werden, dass gezieltere Indikationsstellung intellektuelle wie auch zeitliche Ressourcen des Personals schonen, indem die bisher stetig angestiegene Datenflut reduziert wird. Zudem steigt die Patientenzufriedenheit sicherlich durch weniger Blutentnahmen, Vermeiden von Zusatzdiagnostik bei nur fraglich relevanten Zufallsbefunden und kürzeren intravenösen Behandlungen. Das dies ebenfalls relevante Faktoren für die Erhöhung der Zufriedenheit der Mitarbeitenden in einem Bereich mit kritischer Personalknappheit sind, sei hier nur nebenbei erwähnt.
Aufmerksame Mitlesende könnten nun argumentieren, dass der grosse Effekt auf bisher sehr unkritischer, inflationärer Indikationsstellung der erwähnten Positionen beruhe. In welchem Mass dies zutrifft, ist wohl nur schwer fundiert zu eruieren – mutmasslich finden sich jedoch in vielen Kliniken ähnliche Situationen. Ein Grund dafür, deswegen im Ist-Zustand zu verharren oder sich nicht von Zwischenerfolgen motivieren zu lassen, ist dies indes nicht.
Nicht ausgeschlossen ist hingegen, dass die aktuellen Resultate, bedingt durch saisonale Schwankungen und die erst kurze Auswertungszeit, zu einer Effektüberschätzung verleiten. Wir hoffen, eine Wiederzunahme der Verordnungen mit regelmässigen Schulungen zumindest teilweise reduzieren zu können und so ein Zurückfallen in alte Routinen zu verhindern.

Smarte Behandlung

Zusammenfassend musste mit diesem Projekt Mut zur Lücke bewiesen werden, um weg von der scheinbar gründlichen, manchmal aber an das eher zufällige Ausfüllen eines Lottozettels erinnernden Verordnungsweise zu einer gezielteren, patientenorientierten Indikationsstellung zu kommen.
Zudem folgt diese Herangehensweise dem Trend weg von der stationären zur ambulanten Betreuung. Allerdings soll damit nicht eine Kostenverschiebung erfolgen, sondern eine überlegte Abklärungsstrategie mit allfälliger Einholung von Vorbefunden sowie Berücksichtigung evidenzbasierter Handlungsempfehlungen wie zum Beispiel Choosing Wisely zum Tragen kommen.
1 Fabre V, Carroll KC, Cosgrove SE. Blood Culture Utilization in the Hospital Setting: a Call for Diagnostic Stewardship. J Clin Microbiol. 2022;60(3):e0100521.
2 Huang DT, Yealy DM, Filbin MR, Brown AM, Chang CH, Doi Y, et al.; ProACT Investigators. Procalcitonin-Guided Use of Antibiotics for Lower Respiratory Tract Infection. N Engl J Med. 2018;379(3):236-249.
3 Bolland MJ, Grey A, Avenell A. Effects of vitamin D supplementation on musculoskeletal health: a systematic review, meta-analysis, and trial sequential analysis. Lancet Diabetes Endocrinol. 2018 (11):847-858. doi: 10.1016
4 Mertz D, Koller M, Haller P, Lampert ML, Plagge H, Hug B, et al. Outcomes of early switching from intravenous to oral antibiotics on medical wards. J Antimicrob Chemother. 2009;64(1):188-99.