«Wir sind Türöffner»

Interview
Ausgabe
2023/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21388
Schweiz Ärzteztg. 2023;103(0102):14-17

Publiziert am 11.01.2023

Innovation Der Verein Swiss Healthcare Startups unterstützt junge Unternehmen, die medizinische Innovationen entwickeln. Zu den Gründern gehört der Komiker und Arzt Fabian Unteregger. Im Interview spricht er über die grössten Herausforderungen für Jungunternehmen – und die Grenzen der Selbstvermessung.
Fabian Unteregger, Sie haben 2016 den Verein Swiss Healthcare Startups [1] mitgegründet. Haben Sie selber auch schon ein Start-up gegründet?
Nein, ich hätte nicht die Zeit dazu. Denn man muss sich bewusst sein, ein Start-up zu gründen, bedeutet, auf eine vielleicht lebenslange Reise zu gehen. Ein Produkt, für das es im Idealfall einen globalen Bedarf gibt, zu entwickeln, zu testen und dann zu vermarkten. All dies heisst auch, immer wieder Rückschläge und Hindernisse zu überwinden. Meine Rolle ist eine andere. Im Rahmen von Swiss Healthcare Startups vernetzen wir junge Unternehmen, die im Gesundheitsweisen tätig sind. Denn diese stehen vor vielen Fragen: Lässt sich für meine Idee tatsächlich ein Markt finden? Ist mein Produkt praxistauglich? Wie schütze ich mein Produkt patentrechtlich? Wer bezahlt dafür?
Dr. med. Fabian Unteregger (45) ist studierter Lebensmittelingenieur und Mediziner. Er ist als Parodist und Komiker tätig. Während der Coronapandemie arbeitete er in Teilzeit auf der Notfallstation eines Spitals. Er ist Mitgründer des Vereins Swiss Healthcare Startups und für verschiedene Start-ups als Advisor und Verwaltungsrat tätig.
© Reto Schlatter
Was war 2016 die Motivation, den Verein zu gründen?
Wir sehen im Gesundheitswesen der Schweiz drei Hauptprobleme. Es ist sehr teuer, zu wenig effizient und es fehlt an Innovationen, die den Durchbruch schaffen. Wir haben zwar – etwa an den Hochschulen – viele Menschen mit hervorragenden Ideen, um die Medizin weiterzubringen. Aber die Umsetzung dieser Ideen bedingt einen langen Atem. Wir haben den Verein gegründet, um dabei zu helfen. Wir unterstützen junge Unternehmen insbesondere, indem wir sie vernetzen und mit Expertinnen und Experten, der Indus-trie oder beispielsweise Krankenversicherern zusammenbringen. Wir sind Türöffner.
Das Ziel dieser Start-ups ist es, das Gesundheitswesen zu bereichern. Wie soll das geschehen?
Start-ups nutzen insbesondere neue Technologien. Wir leben in einem einzigartigen Zeitalter, in dem Rechenleistung und Vernetzung immer besser werden. Eine Ultraschalluntersuchung benötigte früher eine riesige Maschine, heute ist es eine handliche Sonde, die ich per Bluetooth mit Telefon oder Tablet verbinde. Und mit der iWatch kann ich beispielsweise ein Vorhofflimmern diagnostizieren – phänomenal! Diese Chancen müssen wir nutzen, denn damit lassen sich Zeit und Geld sparen. Parallel steigt die Autonomie der Patientinnen und Patienten.
Inwiefern?
Indem ich selbst zunehmend sowohl über die Mittel zur Diagnose wie auch über meine Gesundheitsdaten verfüge. Ich bin überzeugt, dass die Medizin in Zukunft viel häufiger nicht mehr im Spital, sondern direkt bei Patientin und Patient zu Hause stattfinden wird. Damit können wir vermehrt präventiv tätig sein, Spitaleinweisungen verhindern und so etwa die Notfallstationen entlasten.
Was wird Technologie für den einzelnen Menschen möglich machen? Eine weiter steigende Lebenserwartung?
Die Lebenserwartung ist zu einem grossen Teil vom Lebensstil abhängig und entsprechende Aspekte wie Ernährung und Sport sind wiederum stark durch Gewohnheiten geprägt und damit schwer zu ändern. Insofern ist es nicht realistisch, die Lebenserwartung noch deutlich zu erhöhen. Ziel muss es sein, während seines Lebens möglichst lange gesund zu bleiben. Mittels Technologie können wir Diagnosen früher stellen, sodass sich das Vollbild einer Krankheit gar nicht erst entwickeln wird. Und wir können dank Innovationen hoffentlich trotzdem auftretende Krankheiten in Zukunft immer besser behandeln und damit die Lebensqualität möglichst hochhalten.
Wenn Innovation vor allem Technologie meint – laufen wir nicht Gefahr, andere Lösungen aus dem Blick zu verlieren? Oder reicht Technologie, um alle Pro-bleme zu lösen?
Nein, es wird immer Ärztinnen und Ärzte brauchen. Das persönliche Gespräch ist zentral, um die Menschen abzuholen, ihre Gefühlslage zu erfassen und gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten zu entscheiden, was die bestmögliche Behandlung ist. Technologie hilft dabei, schnellere und bessere Lösungen zu finden.
Wie wird das wohl in Zukunft aussehen? Werden wir alle permanent mit Geräten unterwegs sein, die unseren Gesundheitszustand vermessen?
Es ist nicht nötig, dauernd alles zu messen. Aber jeder Mensch hat Schwachstellen oder etwa eine Krankheits-geschichte in der Familie. Da ist eine solche Überwachung sinnvoll – bei Risikogruppen also. Nehmen wir das Beispiel eines Herzinfarktpatienten. Nach der Reha haben diese oft Angst, sich körperlich zu betätigen und fallen psychisch in ein Loch. Dadurch steigt das Risiko eines erneuten, teils tödlichen Infarktes. Das Unternehmen Carity hat einen digitalen Coach für die kardiologische Rehabilitation entwickelt. Dadurch erleiden weniger Betroffene einen erneuten Infarkt. So können Spitaleinweisungen und Todesfälle verhindert und Kosten tief gehalten werden.
Aber wie können wir verhindern, dass jeder dauernd alles messen will und das Gesundheitswesen damit noch teurer wird?
Ich glaube, die Realität sieht anders aus. Es ist eine Minderheit der Bevölkerung, die mit solchen Gadgets unterwegs ist und die eigene Gesundheit monitorisiert. Ältere Menschen sind weniger technikaffin und die Mehrheit der Jungen denkt, sie seien ohnehin gesund und werden es auch bleiben. Die Herausforderung ist somit weniger, den unnötigen Gebrauch zu verhindern als diejenigen zu erreichen, die von solchen Geräten profitieren können. Und wer ohne medizinische Notwendigkeit alles messen will, soll das im Sinne der Selbstbestimmung tun können – aber selber bezahlen.
Was sind die grössten Herausforderungen für Start-ups in der Schweiz?
Aktuell ist es die Situation der Weltwirtschaft, die ins Stocken geraten ist. Insbesondere die Pandemie und der Krieg gegen die Ukraine haben zu grossen Unsicherheiten auf den Märkten und zu Lieferschwierigkeiten geführt. Das wirkt sich ganz konkret auch auf Start-ups in der Schweiz aus.
Inwiefern?
Die Bewertung von Unternehmen ist dieses Jahr um rund 40 Prozent gesunken. Investoren stützen eher bestehende Investments. Es ist ein Käufermarkt, das heisst, im Moment diktieren eher die Geldgeber, zu welchen Bewertungen sie zu investieren bereit sind. Deshalb steht den jungen Unternehmen weniger Kapital zur Verfügung. Gleichzeitig haben Start-ups Mühe, ihre Produkte zu bauen, weil Rohmaterialien fehlen.
Wie kann Ihr Verein in dieser Situation helfen?
Indem wir die Start-ups vernetzen, finden sie schneller Lösungen. So können sie vielleicht ihr Produkt schneller zertifizieren lassen, auf dem Markt lancieren und Umsatz generieren. Entsprechend benötigen sie dank der eingesparten Zeit weniger Eigenkapital und müssen im besten Fall weniger Finanzierungsrunden durchführen.
Wie kann und soll der Staat Start-ups unterstützen?
Mit guten Rahmenbedingungen, etwa für einfache und günstige Firmengründungen. Investieren jedoch ist Sache von Privaten. Und hier ging sehr viel in der Schweiz: Während 2014 noch rund 250 Millionen Franken in Start-ups investiert wurden, gehe ich davon aus, dass es 2022 über 4 Milliarden sein werden. Das ist toll!
Wenn Start-ups den Durchbruch schaffen – profitieren wir in der Schweiz dann davon? Oder sind wir als Markt zu klein und die Innovationen kommen erst mal auf den US-Markt?
Eher im Gegenteil. Mit dem Haftungsrecht in den USA ist nicht zu spassen. Darum ist es wichtig, sehr gut abgesichert zu sein. Insofern ist meist eher zuerst der europäische oder der schweizerische Markt das Ziel. Wobei: Wir brauchen Leute mit dem Mut und Willen, schnell über die Grenze zu gehen. Start-ups sollten sich strategisch schon früh auf den europäischen und dann auch auf den amerikanischen Markt ausrichten. Der schweizerische Markt ist für die meisten Unternehmen zu klein.
Ihren Verein gibt es seit sechs Jahren. Welche Erfolge kann er vorweisen?
Gut besuchte Events, ein fähiges Team und eine grosse Nachfrage von Start-ups und Industrie. Und wir sehen, dass unsere Veranstaltungen funktionieren und die Vernetzung tatsächlich stattfindet. Wir sind aber nicht für den Erfolg der Jungunternehmen verantwortlich. Ein Start-up braucht im Durchschnitt rund zehn Jahre, bis es etabliert ist und gekauft wird oder an die Börse gehen kann. Im Bereich Medtech dauert es wegen der rigorosen Regulierungen noch länger. Insofern ist es noch zu früh, eine Erfolgsrate anzugeben. Die Überlebensraten hängen von der Branche, dem Team, dem Produkt, dem Timing und anderem ab. Bei ETH-Spin-offs beispielsweise leben nach fünf Jahren immer noch 19 von 20. Wir sehen viel Potenzial für wertvolle Innovationen. Es freut uns natürlich, dass bereits mehr als 580 Start-ups beim Verein mitmachen – bei schätzungsweise insgesamt etwa 1000 Start-ups im Bereich Medizin in der Schweiz.
Braucht es so viele Start-ups?
Ja, je mehr Ideen und damit Firmen, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Technologie auch international durchsetzt. Erst auf dem Markt wird sich zeigen, was wirklich funktioniert. Es ist klar, dass nicht alle Ideen Erfolg haben. Start-ups sind wie eine Blumenwiese: Man muss möglichst viele Sämlein pflanzen, um zu sehen, was blüht und dereinst zu einem starken Baum heranwachsen wird.
Was braucht es in der Schweiz, um Start-ups noch besser zu unterstützen?
Die Rahmenbedingungen sind schon sehr gut. Wir haben politische Stabilität, Ressourcen und tolle Hochschulen, die Talente und innovative Ideen hervorbringen. Und Inno-suisse beispielsweise macht einen super Job bei der Förderung von jungen Unternehmen. Bei der Finanzierung gibt es noch Verbesserungspotenzial. Insbesondere Jungunternehmen in einer späteren Phase, also wenn sie bereits recht hoch bewertet werden, haben Schwierigkeiten, genügend Kapital zu finden. Hilfreich wäre, wenn Pensionskassen vermehrt Gelder in Start-ups investieren dürften – wie das die Yale Universität mit guter Rendite vorzüglich macht. Die rechtlichen Vorgaben dazu sind heute jedoch in der Schweiz noch nicht gegeben. Das wäre zum Beispiel eine Aufgabe des Staates. Die grössten Herausforderungen liegen derzeit aber definitiv bei der weltwirtschaftlichen Situation. Wobei ich zuversichtlich bin, dass die Zeiten wieder besser werden. Und wer dann gut aufgestellt ist, hat einen Vorteil. Insofern ist mein Gesamtfazit zu Start-ups in der Schweiz: Freude herrscht!