Bei Vergiftungen und Vergiftungsverdacht: 145

Organisationen
Ausgabe
2023/1415
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21407
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(1415):38-39

Affiliations
a Prof. Dr. med., Oberarzt, Tox Info Suisse, Zürich; b Dr. med., Oberärztin, Tox Info Suisse, Zürich; c Dr. med., Leitende Ärztin, Tox Info Suisse, Zürich

Publiziert am 05.04.2023

Notrufnummer Tox Info Suisse führte 2021 fast 40 000 Beratungen bei Giftkontakten von Mensch und Tier sowie bei Fragen zu Vergiftungen durch. Ein Überblick über die Intoxikationsfälle und die Beratungstätigkeit des schweizerischen Giftnotrufs.
Tox Info Suisse ist der Giftnotruf der Schweiz. Die als gemeinnützige Stiftung organisierte Beratungsstelle mit der Notfall-Telefonnummer 145 steht Laien und Medizinalpersonen an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr für Fragen zu Vergiftungen zur Verfügung. Im Jahr 2021 erhielt Tox Info Suisse 39 584 Anfragen. Nach Abzug von 2474 Anfragen theoretischer Natur, die überwiegend präventiven Charakter hatten, sowie 3 Anfragen mit nicht zuzuordnendem Grund, verblieben 35 538 Anfragen zu Giftkontakten bei Menschen und 1569 Anfragen zu Tieren. Da zu manchen Giftkontakten mehrere Anfragen erfolgten, waren insgesamt 32 928 Menschen und 1551 Tiere von Giftkontakten betroffen. Medikamente, Haushaltsprodukte und Pflanzen waren die häufigsten Noxen (Abbildung 1). Während 89% der Vergiftungen bei Kindern symptomlos oder mit leichten Symptomen verliefen, kam es bei 8% der Vergiftungen bei Erwachsenen zu schweren Symptomen (Abbildung 2).
Abbildung 1: Schädigende Stoffe (Noxengruppen) bei allen Fällen von Giftkontakt bei Menschen (Kinder sind definiert als Personen, die jünger als 16 Jahre alt sind).
Abbildung 2: Klinischer Verlauf bei Kindern (= Personen bis 16 Jahren) und Erwachsenen gemäss den auswertbaren ärztlichen Rückmeldungen zu den Giftkontakten beim Menschen.

Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft

Bei der telefonischen Beratung wird zur entsprechenden Beratung der Anrufenden der potenzielle Schweregrad der Vergiftung eingeschätzt. Eine definitive Beurteilung kann aber erst im Verlauf und nach Abklingen allfälliger Symptome erfolgen. Tox Info Suisse ist daher auf die ärztlichen Rückmeldungen angewiesen, um die Beratungstätigkeit stetig zu verbessern. Aus diesem Grund erhalten alle Ärztinnen und Ärzte, die Tox Info Suisse wegen einer absehbaren oder eingetretenen Vergiftung kontaktieren, eine schriftliche Beurteilung verbunden mit dem Wunsch, Informationen zum Verlauf und Ausgang zukommen zu lassen. Im Jahr 2021 kamen 5480 ärztliche Rückmeldungen zu 8316 ärztlichen Anfragen, was einer Rückmeldungsquote von 65,9% entspricht. Alle wurden sorgfältig gelesen und in die interne Datenbank übertragen, sodass sie für zukünftige Anfragen, für Aktualisierungen der Beratungsunterlagen und zur wissenschaftlichen Auswertung zur Verfügung stehen.
Für die Abbildungen 2 und 3 wurden nur die Rückmeldungen berücksichtigt, bei denen die Symptomatik mit gesicherter oder wahrscheinlicher Kausalität auf die Vergiftung bezogen werden kann. Eine gesicherte Kausalität liegt vor, wenn die Noxe(n) im Körper nachgewiesen wurde(n), der zeitliche Verlauf und die Symptome zur Noxe passten und andere Ursachen (zum Beispiel eine Grundkrankheit) keine Erklärung boten. Eine wahrscheinliche Kausalität beinhaltet die gleichen Kriterien, aber ohne den analytischen Giftnachweis. Bei symptomlosen Verläufen kann eine Kausalität nicht bestimmt werden. Anhand der Symptomatik wird dann nach standardisierten Kriterien der Schweregrad bestimmt. Hierbei wird unterschieden zwischen symptomlosem Verlauf, Fällen mit leichten, mittleren oder schweren Symptomen sowie Fällen mit tödlichem Ausgang. Leichte Vergiftungen brauchen in aller Regel keine Behandlung. Bei mittleren Symptomen ist oft eine Behandlung nötig, während schwere Fälle immer ärztlich behandelt werden müssen, oft ist auch eine intensivmedizinische Betreuung notwendig.
Abbildung 3: Schwere Vergiftungen, die nicht auf Medikamente, Drogen und Alkohol zurückzuführen waren

Tödliche Vergiftungen

Im Jahr 2021 wurden Tox Info Suisse 13 Vergiftungsfälle bekannt, die tödlich endeten. Alle betrafen erwachsene Personen, wobei 7 weiblichen Geschlechts waren. In 11 Fällen wurden die Substanzen in suizidaler Intention eingenommen, einmal geschah die Vergiftung akzidentell, einmal waren die Einnahmeumstände unbekannt. Die hauptverantwortlichen oder einzigen eingenommenen Substanzen waren achtmal Medikamente (Phenobarbital in zwei Fällen, Paracetamol, Brexpiprazol, Oxycodon, Propranolol, Diamorphin und Strophantin in je einem Fall), zweimal Drogen (hauptverursachend waren je einmal Cocain und MDMA (Ecstasy)), sowie je einmal Essigsäure, ein Reinigungsmittel auf Basis von Wasserstoffperoxid und Phosphorsäure, sowie Pflanzenteile der Eibe. Die häufigsten schwer verlaufenden Intoxikationen waren durch Medikamente und Drogen bedingt. Aber auch andere Noxen können zu schweren Vergiftungen führen (Abbildung 3).

Mehr Suizidversuche

Während der COVID-19-Pandemie wurde eine Zunahme von Suizidversuchen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen verzeichnet. Bei den bis zu 15-jährigen Jugendlichen war diese Zunahme besonders ausgeprägt. Insgesamt sind Suizidversuche durch Vergiftung bei Frauen deutlich häufiger als bei Männern, was sich auch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen feststellen lässt. Dabei werden vor allem Medikamente aus der Hausapotheke verwendet, insbesondere Paracetamol, das bei etwa 25% der Suizidversuche von Personen bis 25 Jahren verwendet wird, und Ibuprofen. Dieser Trend war auch bei anderen Giftinformationszentren weltweit feststellbar. Den Suizidversuchen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der Schwerpunkt des Jahresberichts 2021 gewidmet, der auf der Homepage von Tox Info Suisse (toxinfo.ch) abrufbar ist.
Die Zahlen zur Beratungstätigkeit von Tox Info Suisse zeigen, dass der Notruf stark in Anspruch genommen wurde und dass ein hohes Bedürfnis nach Information bei Giftkontakten weiterhin besteht. Die Mitarbeitenden von Tox Info Suisse danken der Ärzteschaft für ihre grosse Bereitschaft, durch Rückmeldungen die Beratungsqualität stetig verbessern zu helfen, und der FMH für ihre finanzielle Unterstützung.