Auf den Punkt

«Uns fehlt das Personal»

News
Ausgabe
2023/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21411
Schweiz Ärzteztg. 2023;103(0102):6-7

Publiziert am 11.01.2023

Notstand Auf die Infektionen mit dem RS-Virus folgt nun die Grippewelle. Was das für die Kinderkliniken und -notfälle in der Schweiz bedeutet und was er von der Politik erwartet, erklärt Nicolas von der Weid, Vizepräsident von pädiatrie schweiz.
Nicolas von der Weid, Sie hatten über die Weihnachtstage Dienst im Universitäts-Kinderspital beider Basel. Wie war es?
Allein am Weihnachtstag hatten wir 20 Eintritte. Sie müssen sich einmal vorstellen, was das bedeutet: Das ist etwa ein Fünftel unserer Bettenkapazität. Und es waren wirklich kranke Kinder, die wir unbedingt aufnehmen mussten. Auch wenn das Spital fast voll war zu diesem Zeitpunkt.
Damit junge Patientinnen und Patienten bestmöglich versorgt werden können, muss sich etwas ändern.
© Vitolda Klein / Unsplash
Bereits im September hatte pädiatrie schweiz davor gewarnt, dass die Kinderkliniken und -notfälle überlastet werden könnten. Besonders das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) traf viele Kinder stark. Hat Sie das überrascht?
Wir hatten erwartet, dass es nach der COVID-19-Pandemie zu mehr Ansteckungen kommen würde. Während die Schutzmassnahmen galten, kamen Kleinkinder nicht in Kontakt mit dem Virus und konnten sich nicht immunisieren. Deshalb sind es sehr viele, die sich diesen Winter erstmals anstecken und teilweise schwer krank werden.
Doch die Versorgung konnte bisher gewährleistet werden?
Ja, das konnte sie. Und wir spüren auch eine gewisse Entspannung. Die RSV-Welle hat ihren Höhepunkt inzwischen überschritten. Dafür müssen wir uns jetzt auf eine Grippewelle vorbereiten. Seit etwa drei Wochen registrieren wir vermehrt schwere Fälle. Hinzu kommen Fälle von invasiven Gruppe-A-Streptokokken, die ebenfalls häufiger als sonst auftreten.
In den vergangenen Jahren wurde die Bettenanzahl in vielen Schweizer Kinderkliniken reduziert. Rächt sich das nun?
Es gibt verschiedene Gründe, die sich addiert haben: Einer davon ist die Reorganisation der Kinderspitäler, mit der die Wirtschaftlichkeit gesteigert werden sollte. Angestrebt wurde eine hundertprozentige Bettenbelegung. Doch das funktioniert während einer Infektionswelle nicht. Dann fehlen uns die Reserven. Und wir wissen, dass diese Wellen im Winter regelmässig kommen. Zudem fehlt uns das Personal, vor allem in der Pflege.
Dieses Problem betrifft das gesamte Gesundheitswesen. Wie gehen die Kinderkliniken mit dem Personalmangel um? Haben Sie in Basel eine Lösung gefunden?
Wir arbeiten mit einem saisonalen, flexiblen Modell. Von Oktober bis April erhöhen wir die Bettenanzahl und es werden mehr Pflegekräfte eingestellt. Denn zu diesem Zeitpunkt sind bei uns alle voll ausgelastet, da brauchen wir mehr Leute. Vielleicht müsste man diese saisonale Beschäftigung von Pflegekräften noch weiter ausbauen. Diesen Winter kommt hinzu, dass viele Mitarbeitende selbst krank sind oder kranke Kinder zuhause haben und deshalb ausfallen.
Der Notstand in den Kinderkliniken wurde vor Kurzem in einem Beitrag in der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens behandelt. Sie kamen darin ebenfalls zu Wort. Welches Echo hat das ausgelöst?
Nach der Sendung sind unsere zwei Regierungsräte aus Basel-Stadt und Baselland vorbeigekommen, um unseren Betrieb und insbesondere die Notfallstation einen Tag lang zu beobachten. Ich glaube, das ist wichtig. So spüren sie, wo der Schuh drückt. Meine Botschaft an die Politik ist klar: Die Kindermedizin kann kaum Gewinne erzielen. Dafür ist sie zu komplex, zeit- und ressourcenintensiv.
Wir stehen am Anfang eines neuen Jahres. Was wünschen Sie sich für die Kindermedizin im Jahr 2023?
Dass die Tarife – insbesondere in der ambulanten Spitalpädiatrie – angepasst werden. Im stationären Teil sind die Kinderspitäler relativ gut abgedeckt. Für den ambulanten Bereich wurden im Parlament 2019 zwei Motionen eingereicht. Ich glaube, die Politik hat verstanden, dass sich etwas tun muss. Doch bei der Umsetzung ist in den vergangenen zwei Jahren nicht viel passiert. Dabei wäre es ein Weg, um die Kindermedizin wirtschaftlich effizienter zu machen, wenn die ambulanten Leistungen besser abgegolten werden könnten.
Prof. Dr. med. Nicolas von der Weid
Vizepräsident von pädiatrie schweiz und Leitender Arzt Onkologie/Hämatologie sowie stellvertretender Chefarzt Pädiatrie, Universitäts-Kinderspital beider Basel

Zum Nachschauen

Am 14. Dezember 2022 wurde in der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens über die Situation in den Schweizer Kinderspitälern berichtet. Via Link: t.ly/LHRZw gelangen Sie zur Sendung