Ein Dank an mein Leben

Praxistipp
Ausgabe
2023/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21414
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(03):76-77

Publiziert am 17.01.2024

WellbeingDie Forschung zeigt: Wer dankbar ist, lebt gesünder. Wie es gelingen kann, Dankbarkeitsrituale in das eigene Leben zu integrieren und weshalb sich die Massnahme nicht nur für Patientinnen und Patienten lohnt.
Kennen Sie diese Situation? Ein Patient oder eine Patientin bittet Sie um einen Ratschlag zur Verbesserung der Lebensqualität ausserhalb der Schulmedizin. Oder Sie selbst möchten sich um Ihr Wellbeing kümmern (vielleicht nach dem Lesen meiner letzten Kolumne). Aber Sie wissen nicht, wo beginnen vor lauter Empfehlungen zu Achtsamkeit, Meditation, Atmung, Bewegung, Ernährung, Imagination, Entspannungstechniken, Yoga, Qi Gong, Akupunktur und so weiter. In Buchhandlungen, Podcasts, Newsletters und Websites wimmelt es nur von Ratgebern und Kursen, sei es von Fachpersonen oder solchen, die sich dafür halten. Zugegebenermassen gibt es auch gute, seriöse und für Sie passende Angebote, aber die scheinen gut versteckt oder zu teuer zu sein.
Ich war schon viele Male an diesem Punkt, bis ich realisiert habe, dass ich wohl das Thema anders anpacken sollte. Anstatt mich durch diesen Angebotsdschungel zu kämpfen, habe ich begonnen, mich mit der Forschung zum Thema Lebensstiländerung zu befassen. Faszinierenderweise lässt sich tatsächlich mit seriöser und fachkundiger Anleitung und bei regelmässiger Durchführung im Alltag ein positiver Effekt nachweisen. Dabei gibt es verschiedene Elemente, die sich unterstützend auf unsere Lebensqualität auswirken können. Wir müssen es sozusagen schaffen, in unserem Innern mindestens einen dieser Faktoren zu aktivieren. Dabei ist mir ein Element aufgefallen, das mich etwas überrascht hat: die Dankbarkeit. Sie kann ohne Gesundheitsrisiko den Patientinnen und Patienten empfohlen werden, lässt sich ganz einfach in den Alltag einbauen und ist simpel anwendbar auch ohne teure Kursbesuche.
© Luca Bartulović

Was die Glücksforscherin sagt

In der Glücksforschung taucht die Dankbarkeit regelmässig auf. Gemäss der Psychologieprofessorin Sonja Lyubomirsky, die zum Thema Wohlbefinden forscht, ist Dankbarkeit der Faktor, der Glück am zweitstärksten beeinflusst. In der Literatur traf ich ständig auf die Wichtigkeit der Dankbarkeit für ein zufriedeneres und sogar gesünderes Leben. Wer sich täglich ein paar positive Erlebnisse aufschreibt, für die er oder sie dankbar ist, hat weniger körperliche Beschwerden, ist mit dem Leben zufriedener und sieht positiver in die Zukunft als eine Vergleichsgruppe, die Schwierigkeiten notiert. Dankbare Menschen scheinen resilienter gegen Stress und Depression zu sein.
Dass Dankbarkeit eine «heilende» Wirkung hat, ist schon lange bekannt. Die grossen spirituellen Traditionen erkannten schon vor Jahrtausenden, wie wichtig es ist, dankbar zu sein. Ich nehme an, Sie kennen den Dalai Lama und den verstorbenen Erzbischof Desmond Tutu, zwei äusserst eindrückliche Persönlichkeiten und charismatische Friedensnobelpreisträger. In ihrem «Buch der Freude» beschreiben die beiden die Dankbarkeit als eine der acht Säulen der Freude. Dankbarkeit sei ein gutes Rezept gegen den Neid und helfe das eigene Leben schätzen zu lernen.

Ein Perspektivenwechsel

Beim Praktizieren der Dankbarkeit machen wir uns all jenes bewusst, was wir im Leben haben. Und wir erkennen voller Mitgefühl, dass es zahlreiche Menschen gibt, die all das nicht haben. Der Perspektivenwechsel bringt uns weg von der Fixierung auf Fehler und Mängel. Dankbarkeit hilft uns auch, die Realität wahrzunehmen und zu begrüssen, anstatt ständig unzufrieden auf das zu schielen, was wir gerne hätten. Ja, es geht darum, das Glas halb voll und nicht mehr halb leer zu sehen.
Nun verrate ich Ihnen mein Dankbarkeitsritual. Morgens und abends zähle ich Dinge, Erlebnisse und Menschen auf, für die ich dankbar bin. Es ist so wunderbar, die vielen kleinen (und grossen) Geschenke des Lebens zu erkennen. Dies hat mir sogar in den schwierigsten Zeiten meiner Krebserkrankung die nötige Energie gegeben. Und seit ich ein dankbarer Mensch geworden bin, haben sich die Qualität und Freude in meinem Leben um ein Vielfaches vermehrt. Sie dürfen es gerne selber ausprobieren und auch Ihren Patientinnen und Patienten weitersagen. Bin gespannt, was es bei Ihnen bewirkt.
Angelo Barrile
Der Hausarzt und Nationalrat schreibt an dieser Stelle regelmässig über die Themen Wellbeing und Work-Life-Balance.