FMCH erarbeitet Katalog für ärztliche Mehrleistungen

Organisationen
Ausgabe
2023/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21443
Schweiz Ärzteztg. 2023;(16):33-35

Affiliations
a Prof. Dr. med., Präsident FMCH; b Dr. phil., Geschäftsführer FMCH; c lic. iur., Rechtsanwalt; d Dr. med., Senior Consultant FMCH

Publiziert am 19.04.2023

Krankenzusatzversicherung Die FINMA sieht umfassenden Handlungsbedarf bei Leistungsabrechnungen und erwartet Massnahmen von den Versicherern. Als Unterstützung hat die FMCH einen Katalog erarbeitet, der ärztliche Mehr- und Zusatzleistungen klar beschreibt.
Der Bereich der Zusatzversicherungen (VVG) und die beteiligten Akteure (Zusatzversicherer und Leistungserbringer) stehen unter Druck: Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA hat 2020 im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit Analysen und Vor-Ort-Kontrollen bei Krankenzusatzversicherern durchgeführt und sieht «umfassenden Handlungsbedarf bei Leistungsabrechnungen». Sie verlangt von den Versicherern, dass sie «nur Abrechnungen für echte Mehrleistungen ausserhalb der obligatorischen Krankenversicherung akzeptieren. Zudem haben die Versicherer sicherzustellen, dass die verrechneten Kosten in einem angemessenen Verhältnis zu den tatsächlichen Mehrleistungen stehen.» Weiter sollen die Versicherer «dafür sorgen, dass die Leistungserbringer transparente und nachvollziehbare Abrechnungen erstellen». Die FINMA erwartet eine «möglichst rasche und umfassende Bereinigung» und hat die Versicherer aufgefordert, die VVG-Verträge mit den Leistungserbringern entsprechend anzupassen [1].

Neues Branchen-Framework

Als Folge haben grosse Versicherer die entsprechenden Verträge mit Spitälern gekündigt. Der Schweizerische Versicherungsverband SVV hat zudem ein Branchen-Framework «Mehrleistungen VVG» [2] entwickelt, zu dem sich alle Zusatzversicherer verpflichtet haben und welches die Grundlage für zukünftige Tarifverträge bilden soll. Dieses Framework umfasst Grundsätze zur Definition, Bewertung, Abrechnung und Zukunft von Mehrleistungen und gliedert die Mehrleistungen in die drei Kategorien ärztliche Leistungen, klinische Leistungen (organisatorische und prozessuale und Vorhalteleistungen) sowie Hotellerie/Komfort. Jeder Leistungserbringer muss das jeweilige Leistungsniveau der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) und darauf aufsetzend die VVG-Mehrleistungen aufzeigen. Die konkreten Leistungspakete und Preise werden in den Verhandlungen zwischen den einzelnen Versicherern und den einzelnen Leistungserbringern festgelegt, um auch wettbewerbsrechtliche Vorgaben einzuhalten.

Leistungskatalog als Arbeitshilfe

Als Dachverband hat sich die FMCH dieser relevanten gesundheitspolitischen Problematik angenommen. Mit Unterstützung und Federführung von PwC und mit breitem Einbezug von Leistungserbringern und Versicherern wurde ein Leistungskatalog erarbeitet, der ärztliche Mehr- und Zusatzleistungen im VVG-Bereich klar beschreibt und abgrenzt. Dieser Katalog dient als Unterstützung und Arbeitshilfe in der Erarbeitung und Strukturierung von ärztlichen Mehr- und Zusatzleistungen durch die einzelnen Leistungserbringer. Er soll auch als Grundlage verwendet werden können für die individuellen Verhandlungen zwischen Leistungserbringern und Versicherern. Der Katalog ist eine Empfehlung und Wegleitung. Er ist keine verbindliche Vorgabe; er stellt keine Tarifstruktur, keine Kalkulationshilfe und kein Preismodell dar. Die Abgeltung der Mehr- und Zusatzleistungen ist nachgelagert zwischen Leistungserbringer und Versicherer auszuhandeln, wobei die geltende Rechtsprechung [3] zu berücksichtigen ist.

Nur ärztliche Mehr- und Zusatzleistungen

Der Leistungskatalog beinhaltet ausschliesslich ärztliche Mehr- und Zusatzleistungen. Die Kategorien «Hotellerie/Komfort» sowie «klinische Mehrleistungen» werden nicht adressiert. Ärztliche Mehrleistungen umfassen:
Mehrleistungen im engeren Sinne (mit OKP-Leistungen verbunden)
Zusatzleistungen (von OKP-Leistungen losgelöst).
Der Katalog umfasst fünf Kategorien von Mehr- und Zusatzleistungen, die pro Kategorie jeweils weiter in einzelne Leistungen aufgeteilt werden (Abbildung 1)
Primär für den stationären und den spitalambulanten Bereich werden die Kategorien erläutert und beispielhaft konkretisiert:
Optionen
Wahlmöglichkeit und Mitsprachemöglichkeit der Patientin oder des Patienten in Bezug auf behandelnde Ärzte oder die Behandlungsmethode.
Freie Wahl des fallführenden Arztes, welcher das ärztliche Team zusammenstellt (mit Vetorecht für die Patientin / den Patienten); alternativ Wahl der zuständigen Fachärztinnen / Fachärzte (insbesondere Anästhesistinnen / Anästhesisten) durch Patient
Gemeinsame Wahl der Behandlung zusammen mit der zuständigen Fachärztin / dem zuständigen Facharzt (zum Beispiel ambulant versus stationär; Operationsmethoden; Produktportfolio an Implantaten, Devices, Materialien; Wunsch-Anästhesie)
Kontinuität/Verfügbarkeit
Kontinuität der medizinischen Betreuung durch die fallführende Ärztin / den fallführenden Arzt oder die zuständige Fachärztin / den zuständigen Facharzt (ambulante Abklärung und Betreuung vor Hospitalisation, Untersuchung, Befundung, Vor- und Nachbesprechungen, Operation, Visiten, Austrittsgespräch, nachgelagerte ambulante Betreuung)
Flexibilität bei Eintritts- und Behandlungsterminen (in Abstimmung mit Spital und soweit medizinisch vertretbar)
Individueller Tagesablauf (zum Beispiel Visite, Behandlungen)
Hohe Erreich- und Verfügbarkeit
Höhere Qualifikation
Überdurchschnittliche Qualifikation der fallführenden Ärztin / des fallführenden Arztes
Überdurchschnittliche Qualifikation im erweitertem Ärzte-Team
Die überdurchschnittliche Qualifikation (allenfalls abgestuft nach Halbprivat- und Privat-Leistungen) muss spitalindividuell definiert werden.
Umfang der Betreuung und zusätzliche Leistungen
Erhöhter Betreuungsumfang und Intensität der Behandlung über das OKP-Niveau hinaus, zudem Erbringung von Zusatzleistungen, die von OKP-Patienten nur gegen Selbstzahlerbeitrag in Anspruch genommen werden können und von der OKP nicht vergütet werden. Beispiele (nicht abschliessend):
Dauer und Anzahl der Visiten
Mehrfacheingriffe (im stationären Bereich)
Erweiterte Konsilien und Zweitmeinungen
Interdisziplinäre Boards (soweit nicht gesetzlich in der OKP bereits vorgesehen) für Indikationsstellung, Erarbeitung des Behandlungskonzepts, Monitoring des Verlaufs und Erfolgskontrolle
Begleitung (und in definierten Einzelfällen auch Durchführung) von spezifischen pflegerischen und therapeutischen Tätigkeiten durch fallführenden Arzt oder zuständigen Facharzt zur Sicherstellung einer lückenlosen Kommunikation und einer ganzheitlichen Betreuung.
5. Innovation
Innovative Prävention, Diagnostik, Behandlung und Nachsorge, die über das OKP-Leistungsniveau hinausgehen. Aktuelle Beispiele (nicht abschliessend):
Virtuelle Konsultationen/Visiten und Remote Care
Einsatz von Robotik für Operationen (soweit nicht im OKP-Leistungsniveau enthalten)
Pharmakogenetische Untersuchungen und Behandlungsvorschläge (zum Beispiel Therapieanpassungen)
Innovative, personalisierte Implantate
Eine abschliessende Auflistung von Innovationen ist nicht möglich und auch nicht beabsichtigt. Der medizinische Fortschritt ist dynamisch, die Innovation von heute ist der Standard von morgen. Im FMCH-Ansatz wird ein rollender Prozess mit Checklisten vorgeschlagen, der den Leistungserbringern eine strukturierte Vorgehensweise für die Beurteilung und Aufnahme von Innovationen ermöglicht.
Abbildung 1: Schematische Übersicht der fünf Kategorien des Mehr- und Zusatzleistungskatalogs.

Anwendungshinweise des Katalogs

Der Katalog für Mehr- und Zusatzleistungen ist primär auf das stationäre und spitalambulante Umfeld anwendbar. Auch im ambulanten Bereich sind Mehr- und Zusatzleistungen grundsätzlich möglich. Hier definiert die jeweils gültige ambulante Tarifstruktur das OKP-Leistungsniveau, auf dem Mehr- und Zusatzleistungen aufsetzen. Dabei ist insbesondere bei Mehrleistungen der Tarifschutz (Art. 44 KVG) zu beachten. So ist für die ambulante Behandlung die freie Wahl unter den zugelassenen Leistungserbringern gemäss Art. 41 Abs. 1 KVG schon in der OKP garantiert.
Die Mehr- und Zusatzleistungen müssen sich an den Bedürfnissen des Patienten und den Möglichkeiten des Spitals orientieren und ethisch und medizinisch vertretbar sein. Jeder Leistungserbringer muss sein OKP-Leistungsniveau aufzeigen und festlegen; die Mehr- und Zusatzleistungen setzen auf dem OKP-Niveau des jeweiligen Leistungserbringers auf. Das OKP-Leistungsniveau und die Aufnahmepflicht für OKP-Versicherte dürfen durch VVG-Mehrleistungen nicht beeinträchtigt werden. Die regulatorischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen sind einzuhalten.
Die konkrete Definition und Umsetzung der Mehr- und Zusatzleistungen hängt von den organisatorischen und prozessualen Möglichkeiten des jeweiligen Leistungserbringers und auch von den Anforderungen und der Ausgestaltung der VVG-Produkte der einzelnen Versicherer ab. Den Unterschieden zwischen öffentlichen Spitälern (mit Chefarztsystem und Spezialdisziplinen) und Privatkliniken (mit Belegarztsystem) ist Rechnung zu tragen. Beispielsweise muss die Mehrleistung einer erhöhten Verfügbarkeit (im Maximalfall einer «Rund um die Uhr Verfügbarkeit» für Privat-Patientinnen und -Patienten) von jedem Leistungserbringer nach seinen Möglichkeiten definiert und umgesetzt werden.
Die Aufnahme von Innovationen in den VVG-Leistungskatalog richtet sich ebenfalls nach den Möglichkeiten (Grösse, Spezialisierung, Forschungsschwerpunkte) des jeweiligen Spitals.
Ob und in welcher Form eine Differenzierung zwischen Halbprivat- und Privat-Leistungen möglich und sinnvoll ist, muss spitalindividuell und in Abstimmung mit den einzelnen Krankenversicherern festgelegt werden.
Zusammenfassend bedeutet dies, dass Mehr- und Zusatzleistungen auf dem OKP-Leistungsniveau des jeweiligen Leistungserbringers aufgesetzt und spital- und versicherungsspezifisch erarbeitet, festgelegt und umgesetzt werden müssen.

Eine begrüsste Initiative

Der Schweizerische Versicherungsverband SVV begrüsst die Bestrebungen seitens FMCH sehr, einen FINMA-konformen VVG-Mehrleistungskatalog zu erarbeiten. FMH und H+ unterstützen den Katalog der FMCH als pragmatische und strukturierte Arbeitshilfe für die Leistungserbringer und als nützliche Grundlage für die individuellen Tarifverhandlungen.
Der detaillierte Katalog für ärztliche Mehr- und Zusatzleistungen VVG steht unter www.fmch.ch/VVG als Download zur Verfügung. Er wird periodisch überprüft und aktualisiert.
1 Medienmitteilung der FINMA vom 17. Dezember 2020: Krankenzusatzversicherer: FINMA sieht umfassenden Handlungsbedarf bei Leistungsabrechnungen.
2 Branchen-Framework zu «Mehrleistungen VVG» des SVV, gültig ab Juni 2021 (www.svv.ch/sites/default/files/2021-09/SVV_Publikation_Branchenframework_2021_DE.pdf); Zusatz zum Branchen-Framework «Mehrleistungen VVG» – Ärztliche Mehrleistungen des SVV, gültig ab November 2021 (www.svv.ch/sites/default/files/2021-11/20211113_SVV_Folgeprojekt%20Mehrleistungen%20VVG_Zusatzdokument_Final_DE.pdf)
3 BGE 135 V 443 E. 3.7.3