Die Digitalisierungstauglichkeit von Gesetzen

Leitartikel
Ausgabe
2023/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21449
Schweiz Ärzteztg. 2023;103(04):24-25

Publiziert am 25.01.2023

Digitalisierung An dieser Stelle erwartet die Leserschaft – passend zum Jahreswechsel – ein Rückblick auf das vergangene Jahr und ein Ausblick auf das, was die Ärzteschaft im digitalen Bereich für das Jahr 2023 erwartet.
An Themen für einen Jahresrückblick aus Sicht der Digitalisierung in der Medizin – was mich beschäftigt oder auch beschäftigen muss – mangelt es nicht: Der Bund hat mit dem Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz) im vergangenen Jahr die Grundlagen für eine sichere Identifizierung von Bürgerinnen und Bürgern im Internet geschaffen und somit den Schweizer Pass digitalisiert. Es liegt auf der Hand, dass die neue elektronische Identität im ärztlichen Alltag bedeutsam sein wird. Auch die Sekundärnutzung von klinischen Daten für Forschungszwecke soll in der Schweiz in diesem Jahr mit einer Gesetzesvorlage besiegelt werden. Ein «Nationales System zur Weiterverwendung und Verknüpfung von Gesundheitsdaten» soll hierbei Sorge tragen für eine bessere Nutzung von Gesundheitsdaten für eine qualitativ hochstehende und effiziente Gesundheitsversorgung [1]. Schliesslich wird auch das elektronische Patientendossier (EPD) im Jahr 2023 wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken: Fünf Jahren nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das EPD (EPDG) fällt dieses Jahr der Startschuss für eine umfassende Revision. Bereits während des Aufbaus von Stammgemeinschaften und Gemeinschaften wurde schnell erkannt, dass Anpassungen des Ausführungsrechts notwendig sind – was zu höheren Kosten und Verzögerungen führte.
Alexander Zimmer
Dr. med., Mitglied des Zentralvorstandes und Departmentsverantwortlicher Digitalisierung/eHealth

Gesetze hinken Fortschritt hinterher

Eine wichtige Ursache der Probleme von Digitalisierungsprojekten ist schnell ausgemacht: Der Gesetzgebungsprozess ist schwerfällig und kann so dem Umstand des raschen Technologiefortschritts kaum Rechnung tragen. Wie sich das in der Praxis auswirkt, konnte der Bund bereits bei der Einführung der Versichertenkarte vor über zehn Jahren erfahren: Aufgrund von Interpretationsspielräumen in der zugrundeliegenden Spezifikation der Verordnung über die Versichertenkarte entstanden zwei Umsetzungsvarianten, die untereinander nicht kompatibel waren. Hierbei stellt sich die Frage, wie «digitalisierungstauglich» Gesetze überhaupt sind. Ein McKinsey-Bericht im Auftrag der deutschen Bundesregierung kommt zum Schluss, dass die Gesetzgebung in Deutschland angesichts des gesellschaftlichen Wandels und neuer technologischer Möglichkeiten vor grossen Herausforderungen steht [2]. Zwar können im Bereich der Digitalisierung sehr rasch Leuchtturmprojekte entstehen. Diese sind jedoch selten skalierbar und entfalten ihre Wirkung somit nicht flächendeckend. Ein Vorzeigeprojekt, bei dem diese Skalierung gelungen ist, ist zweifelsohne das Schweizer COVID-Zertifikat. Gleichzeitig können bestehende Rechtsvorschriften aber auch Innovationen verhindern. Als Beispiel wird im McKinsey-Bericht angeführt, dass die Schriftformerfordernis in den Gesetzen ein Hemmfaktor für die Wirkung von Digitalisierungsgesetzen darstellt. Dies erinnert uns in der Schweiz an die bürokratischen Hürden bei der Eröffnung eines EPD. Bis anhin war die Eröffnung für Patientinnen und Patienten mit einer persönlichen Vorsprache vor Ort verbunden. Zwar können die Stammgemeinschaften den Patientinnen und Patienten bereits heute die Möglichkeit anbieten, ein EPD online von zu Hause aus zu eröffnen. Für den sicheren Zugriff auf das EPD brauchen diese aber auch eine zertifizierte elektronische Identität. Jedoch: Wie die Patientinnen und Patienten diese erhalten, unterscheidet sich von EPD-Anbieter zu EPD-Anbieter, schreibt die Kompetenz- und Koordinationsstelle von Bund und Kantonen eHealth Suisse [3]. Diese und weitere Hürden in der Umsetzung des EPD haben schliesslich zu einer schlechten Skalierung beigetragen: Etwa nur ein Promille der Bevölkerung in der Schweiz hat aktuell ein EPD eröffnet.
Die Medizin wird immer digitaler. Das hat Auswirkungen auf die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte.
© Nils Ackermann / Dreamstime

Praxistauglichkeit selten geprüft

Die Gründe für eine mangelnde Digitalisierungstauglichkeit von Gesetzen sind nicht nur in innovationshemmenden Vorschriften zu suchen. Bei neuen Gesetzesprojekten fehlt zumeist der Einbezug von Expertinnen und Experten aus der Praxis oder Wissenschaft. Folglich sind die Gesetzestexte oft weder praxis- noch digitaltauglich. Dieser Missstand war schliesslich der Auslöser für die Gründung der Interprofessionellen Arbeitsgemeinschaft eHealth (IPAG eHealth), in der sich die FMH seit Jahren engagiert. Die IPAG eHealth setzt sich dafür ein, dass bei neuen Digitalisierungsvorhaben des Bundes die Bedürfnisse der Leistungserbringer eingebracht und berücksichtigt werden [4].
Angesichts der Gesetzesrevisionen und -vorlagen, die uns im neuen Jahr im Bereich der Digitalisierungen erwarten, bleiben folgende Herausforderungen der Ärzteschaft weiterhin bestehen, die im Regulierungsprozess dringlich berücksichtigt werden müssen:
Insgesamt gibt es viele Faktoren, welche die Digitalisierung in der Medizin beeinflussen. Ärztinnen und Ärzte müssen sorgfältig abwägen, wie sie diese Technologien am besten in ihrer täglichen Arbeit nutzen können.
Ich muss zugeben, dass ich mir bei der Beschreibung dieser Herausforderungen von der künstlichen Intelligenz helfen liess («Nenne mir die wichtigsten Herausforderungen der Ärzteschaft im Bereich der Digitalisierung»). Auch wenn der Text von Chat GPT auf den ersten Blick erstaunlich gute Antworten gibt, muss dieser Hype kritisch hinterfragt werden. Denn das, was uns hier vermittelt wird, ist nicht Intelligenz, sondern das Ergebnis einer Maschine, die darauf trainiert wurde, das nächste Wort auf eine eloquente Art und Weise vorherzusagen.
Bereits jetzt beginnen Forscherinnen und Forscher Anwendungen in der Medizin zu konzipieren, die auf dieser Technologie basieren. Dies führt uns zum letzten Punkt, der im Zusammenhang mit der Digitaltauglichkeit von Gesetzen diskutiert werden muss: Wo zeigen wir Ärztinnen und Ärzten die Grenzen in Bezug auf die Digitalisierung in der Medizin auf? Einen ersten Schritt hat die FMH mit Ihrer Broschüre «Künstliche Intelligenz im ärztlichen Alltag gemacht» [6]. Die FMH steht Ärztinnen und Ärzten bei der Bewältigung der Herausforderungen im digitalen Bereich auch im neuen Jahr zur Seite und wird aktuelle Themen rund um die Digitalisierung unter anderem in der Schweizerischen Ärztezeitung aufgreifen.
1 Bundesrat, «Bessere Nutzung von Gesundheitsdaten für eine qualitativ hochstehende und effiziente Gesundheitsversorgung.», 2022
2 G. Hammerschmid, B. Münstermann, P. Pfannes, and F. Pross, «Und es geht doch! Wie die Skalierung digitaler Innovationen in der Verwaltung gelingt.», 2021.
3 Koordinationsorgan eHealth Bund-Kantone, «Wie komme ich zu einem EPD?» https://www.patientendossier.ch/eroeffnung/wie-komme-ich-zu-einem-epd (abgerufen am 11.01. 2023).
4 A. Zimmer, «IPAG eHealth: Zusammenschluss von 100 000 Leistungserbringern» Schweiz Ärzteztg. 2022;103(05):131
5 Dieser Textabschnitt wurde mithilfe von ChatGPT erstellt.
6 Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH, «Künstliche Intelligenz im ärztlichen Alltag», 2022.