Keine Monster mehr

Editorial
Ausgabe
2023/04
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21469
Schweiz Ärzteztg. 2023;103(04):3

Publiziert am 25.01.2023

Manchmal braucht es Mut, eine medizinische Praxis zu betreten. Weil die Patient:innen nicht sicher sein können, dass sie dort unvoreingenommen behandelt werden. Geschlechtsinkongruenz (GI) heisst die Diagnose, die bei noch vielen Ärzt:innen Ratlosigkeit hervorruft. Wie umgehen mit Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das in ihrem Geburtsregister eingetragen ist? Wie reagieren, wenn sie von ihrem Leidensdruck erzählen? Die Unsicherheit ist durchaus nachvollziehbar, wenn man sich vor Augen führt, wie dieses Thema lange Zeit behandelt wurde. In der zehnten Revision der «International Classification of Diseases», kurz ICD-10, wurden Menschen mit GI noch als psychisch krank klassifiziert.
Eva Mell
Stellvertretende Chefredaktorin der Schweizerischen Ärztezeitung
eva.mell[at]emh.ch
Erst Anfang 2022 trat die ICD-11 in Kraft. Darin wird GI als ein Gesundheitszustand betrachtet, bei dem Menschen ihr eigenes Geschlecht anders verstehen, als es ihnen bei der Geburt anhand ihrer Genitalien zugewiesen wurde. Wie sich der Paradigmenwechsel in den vergangenen Jahren entwickelt hat und wie Ärzt:innen mit trans Personen umgehen können, lesen Sie im Übersichtsartikel von Hannes Rudolph et al. auf Seite 40. Welche geschlechtsangleichenden Behandlungsoptionen es für die Behandlungssuchenden gibt, erfahren sie in einem weiteren Übersichtsartikel von David Garcia Nuñez et al. auf Seite 46.
In seiner Karriere erlebte David Garcia Nuñez den Paradigmenwechsel mit. Als Assistenzarzt sah er, dass eine trans Frau keine Hormontherapie erhielt, weil sie im Anschluss keine geschlechtsangleichende Operation wünschte. Die Meinung der Ärzt:innen damals: «Wir erschaffen keine Monster.» Im Artikel von Santina Russo auf Seite 10 erklärt der Mediziner, dass die Behandlungssuchenden heute als Expert:innen für ihr Geschlecht betrachtet werden. Dort lesen Sie übrigens auch, weshalb ich mich hier entschlossen habe, den Gender-Doppelpunkt zu verwenden.
Weiterbildung ist die grundlegende Voraussetzung, damit solch ein Paradigmenwechsel gelingen kann. Das Schweizerische Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung SIWF sieht es als eine wichtige Aufgabe, Weiterbildende aktiv zu unterstützen. Deshalb fördert es auch in diesem Jahr Projekte von Weiterbildungsverantwortlichen in ganz verschiedenen Bereichen. Zwei Themen stehen dabei aktuell im Fokus: die kompetenzbasierte Weiterbildung sowie der Bereich Planetary Health. Alle Details zur Ausschreibung lesen Sie auf Seite 26.