Ringen um Gleichberechtigung

Zu guter Letzt
Ausgabe
2023/07
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21475
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(07):66

Publiziert am 15.02.2023

Kurz vor dem Jahreswechsel erzählte mir eine Freundin, dass ihr die Beförderung von der Assistenz- zur Oberärztin angeboten worden sei. Diese freudige Überraschung brachte sie allerdings in eine sehr unangenehme Situation, da sie zu diesem Zeitpunkt in der achten Woche schwanger war.
Über die Jahre habe ich schon die eine oder andere Reaktionen aus meinem Umfeld erlebt, wenn es um die Kommunikation einer Schwangerschaft im Spital ging. Unvergesslich war die Antwort von einem meiner ehemaligen Chefs, der meiner Arbeitskollegin auf die Eröffnung ihrer Schwangerschaft hin als erstes sagte: «Das sind aber gar keine guten Neuigkeiten.» Befristete Verträge im Falle einer Schwangerschaft stillschweigend auslaufen zu lassen, ist keine Seltenheit.
Nach sorgfältigem Abwägen fasste meine Freundin den Mut, die Karten offenzulegen und ihre Chefin über ihre frühe Schwangerschaft zu informieren. Die Reaktion ihrer Vorgesetzten war so wohlwollend, wie sie es kaum erwartet hätte: «Das ist doch völlig egal, ich will dich anstellen, je früher du anfängst, desto besser!»
Nora Bienz
Dr. med., Vizepräsidentin vsao Schweiz, Co-Präsidentin vsao Bern, Oberärztin, Inselspital Bern, Mitglied Advisory Board der Schweizerischen Ärztezeitung
Ohne die Vorgesetzte meiner Freundin zu kennen, spricht sie mir aus dem Herzen. Ich dachte – na also, es geht doch! Dass Frauen, insbesondere im gebärfähigen Alter, in der Berufswelt nach wie vor diskriminiert werden, ist kein Geheimnis. Es bleibt schwierig, eine Schwangerschaft zu kommunizieren. Schwanger sein ist oft mit (begründeten) Befürchtungen hinsichtlich der beruflichen Zukunft verbunden. Dieses positive Beispiel weckte in mir die Hoffnung, dass wir uns tatsächlich auf die gelebte Gleichberechtigung bewegen, für die ich mich seit Jahren einsetze.
Beschwingt von der Geschichte erzählte ich sie am nächsten Tag einem guten Freund. Sein Kommentar war einigermassen ernüchternd: «Ist ja schon etwas komisch, diese Beförderung zu diesem Zeitpunkt, sie wird ja dann eh lange weg sein …» Weggefegt war mein Optimismus.
Besagter Freund steht politisch weit links und bezeichnet sich selbst als feministischen Mann. Aber seine erste intuitive Reaktion geht genau in eine Richtung, die Gleichstellung verhindert. Wie also sollen wirtschaftlich gesteuerte Vorgesetzte jemals eine andere Haltung einnehmen, wenn selbst mein antikapitalistisch und antipatriarchalisch eingestellter Freund auf diese Weise argumentiert?
Und Hand aufs Herz: Wie wäre Ihre Haltung als Vorgesetzte, als Vorgesetzter?
Rechtlich gesehen ist die Situation einigermassen klar: Das Gleichstellungsgesetz verbietet ausdrücklich Benachteiligungen am Arbeitsplatz aufgrund des Zivilstands, der familiären Situation oder aufgrund einer Schwangerschaft [1].
In der Berufswelt ist diese Gleichstellung aber noch nicht angekommen. Erinnern wir uns an die Studie des Büro BASS von 2018 [2]. Die Befragung hatte ergeben, dass bei fast jeder fünften Frau die Ankündigung einer Schwangerschaft dazu führt, dass der Arbeitgeber plant, das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Die Corona-Pandemie hat die Situation eher verschärft. Gemäss einem Bericht des World Economic Forum 2022 war das Risiko einer Kündigung bei Müttern 47% grösser als bei den übrigen Arbeitnehmenden [3].
In der Schweiz sind rund 1,4 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter berufstätig. Ich träume von einer Gesellschaft, die all diesen Frauen die freie Wahl und die Möglichkeit lässt, Mütter zu werden und gleichberechtigt weiterzuarbeiten. Ganz so wie es die Männer seit Jahrhunderten tun können.