Kognitive Gesundheit Ü40

Zu guter Letzt
Ausgabe
2023/08
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21482
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(08):82

Publiziert am 22.02.2023

Letztes Jahr wurde ich in den Kreis der Ü50 aufgenommen und habe aufgeräumt. Dabei ist mir ein mittelalterlicher Artikel – so wie es ich mittlerweile bin – wieder in die Hände gekommen mit brandaktuellem Inhalt. Diverse Studien belegen, dass die Anzahl geleisteter Arbeitsstunden Einfluss auf die kognitive Leistung hat. Der Erholungsprozess des Gehirns scheint mit zunehmendem Alter wichtiger zu werden. Die Autoren des Artikels von 2016 postulieren, dass eine wöchentliche Arbeitszeit von 25 bis 30 Stunden ab dem «Mittelalter» (um die 40 Jahre) und bei älteren Menschen einen positiven Einfluss auf die Kognition hat [1]. Es gibt leichte geschlechtsspezifische Unterschiede, die Sie bei Interesse nachlesen können. Wussten Sie das, geschätzte Leserinnen und Leser?
Diesen Artikel habe ich zum Anlass für die Rekapitulation meiner wöchentlichen Arbeitszeit der letzten Jahre genommen. Ich habe mir Zeit für ein paar Gedankenspiele genommen – auch in dem Wissen, dass die Studie natürlich nicht 1:1 auf mich übertragbar ist.
Daniel Schröpfer
Dr. med., Stadtarzt von Zürich, Mitglied Advisory Board Schweizerische Ärztezeitung
Das Ergebnis war ernüchternd und bereitet mir Angst. Diverse Onlinestatistiken und -rechner habe ich gefunden und, wenn ich diesen glauben darf, betrug meine Lebenserwartung letztes Jahr noch mehr als 37 Jahre, sodass ich statistisch gesehen über 87 Jahre «alt» werden würde. Das ist aus meiner Sicht eine gute Perspektive – meine Grossmutter lebt mit über 90 Jahren noch immer selbstversorgend zu Hause. So würde ich es mir auch wünschen.
Doch wie sieht im Hinblick auf meine Lebenserwartung und gesunde kognitive Leistungsfähigkeit aus? Sollte ich mein Arbeitspensum reduzieren? Doch um wie viel Prozent? 40%? 50%? Die letzten Jahre habe ich etwas «Raubbau» betrieben – müsste ich kürzer treten? Oder habe ich trotz allem noch eine Chance darauf, mit geringen kognitiven Einschränkungen altern zu dürfen? Was würde ich mit den 40 bis 50 frei gewordenen Prozent machen? Körperliche Betätigung hat bei mir auch Grenzen – ich kann mir aktuell keine Zeit für intensive sportliche Betätigung leisten (trotz gelöstem Abo).
Wie finanziere ich meinen aktuellen Lebensstandard? Ersetze ich ohne Fachkenntnis den Gärtner, Maler oder …? Betonieren habe ich zwar erlernt, doch reicht das? Wie würde mein Arbeitgeber reagieren, wenn ich beim aktuellen Fachkräftemangel mit der Idee einer Pensenreduktion käme? Und nicht zu vergessen meine bessere Hälfte … Würde ich dann kochen, putzen und den Haushalt machen? Bisher haben wir das partnerschaftlich aufgeteilt …
Angestrebte gesellschaftliche Veränderungen der jüngeren Kolleginnen und Kollegen hin zu einer Maximalanstellung von 80% erscheinen aufgrund der Studie berechtigt. Warum wird dies nur leider bisher in unserem System nicht abgebildet? Die ersten Studien gab es wohl bereits zur Jahrtausendwende. Mir ist bewusst, dass ein Umdenken erst stattfinden kann, wenn sich auch gesellschaftlich und im Hinblick auf die Rente und die berufliche Vorsorge das System ändert. Worauf warten wir noch? Mehr als 20 Jahre sind seit den ersten Ergebnissen vergangen. Wäre es nicht optimal, wenn der Wissenstransfer bereits frühzeitig beginnt und wir somit unsere Nachfolgerinnen und Nachfolger ausbilden könnten? So könnten wir eventuell auch dafür sorgen, dass gesamtgesellschaftliche Kosten für Demenzkranke und entsprechende Unterbringungseinrichtungen reduziert werden könnten.
Liebe Leserschaft: Ich lade Sie zu der Überlegung ein, wie sich Ihre persönliche Situation und Ihr Arbeitsplatz mit einer 30-Stunden-Woche ändern würden.
1 S.Kajitani, C.McKenze ans K. Sakata. Use it too much and lose it? The effect of working hours on cognitive ability. Online: papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2737742#:~:text=For%20working%20hours%20up%20to,a%20negative%20impact%20on%20cognition.