Work-Life-Balance in Spitälern verbessern

Forum
Ausgabe
2023/2021
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21513
Schweiz Ärzteztg. 2023;(2021):25

Publiziert am 17.05.2023

Arbeitszufriedenheit Weniger Fehlzeiten, weniger Stress. Dafür mehr Energie und Zufriedenheit. Warum es sich für Schweizer Spitäler lohnt, noch mehr in Vereinbarkeitsmassnahmen zu investieren, erläutert Brigitte Liebig.
Ärztinnen und Ärzte legen bei der Arbeit im Spital zunehmend Wert auf eine Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Viele Gesundheitsorganisationen aber investieren erst wenig in Vereinbarkeitsmassnahmen, da sie dadurch hohe Personal-, Sachmittel- und Infrastrukturkosten befürchten, während sich der Nutzen dieser Massnahmen für sie nur intuitiv erschliesst. Umso wichtiger erscheint deshalb ein Abwägen von Kosten und Nutzen.
Ausgeruhte Ärztinnen und Ärzte sind wichtig für Patientensicherheit und Qualitätssicherung.
© Milada Vigerova / Unsplash

Welche Kosten anfallen

Das Erarbeiten eines Massnahmenportfolios ist mit Aufwand verbunden. Neben den Abklärungen zum Massnahmenbedarf müssen zahlreiche Personen, insbesondere Führungskräfte und Personalverantwortliche, eingebunden werden. Zudem fallen durch konkrete Unterstützungsangebote, wie etwa Kinderbetreuung oder Wiedereinstiegsgespräche, direkte Kosten an. Auch können vereinbarkeitsfreundliche Regelungen wie Teilzeitarbeit und Jobsharing Personalkosten generieren, da zusätzliche Arbeitszeit für die Aufgabenübergabe bemessen werden muss. Hinzu kommen Kosten, die mit organisatorisch-administrativen Prozessen, Kommunikation oder der Evaluation von Vereinbarkeitsangeboten entstehen.

Warum sich Massnahmen lohnen

Der Nutzen von Vereinbarkeitsmassnahmen ergibt sich zunächst durch das Vermeiden von Kosten: Denn die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bildet für die Ärzteschaft immer häufiger einen Grund für den beruflichen Austritt [1]. Damit gehen wertvolles Wissen und Erfahrung verloren. Die Kosten für die Neubesetzung von Ärztestellen werden zwischen einem Viertel bis zu drei Vierteln eines Jahresgehalts beziffert [2].
Darüber hinaus ergeben sich jedoch auch direkte Nutzeneffekte:
Vereinbarkeitsangebote fördern die Arbeitszufriedenheit, was sich positiv auf krankheitsbedingte Fehlzeiten oder Fluktuationen auswirkt. Es entsteht eine tiefere Bindung an die Organisation, während die Leistungsfähigkeit steigt und einem Berufsabbruch oder zu frühem Ausscheiden aus dem Beruf entgegengewirkt wird [3].
Das physisch-psychische Wohlbefinden der Ärzteschaft bildet ein besonderes Gut, das mittels Vereinbarkeitsmassnahmen gefördert werden kann [4]. Flexible Arbeitszeitmodelle, eine optimale Dienstplanung oder die Möglichkeit eines unbezahlten Urlaubs wirken Überbelastungen und persönlicher Verausgabung entgegen.
Gesunde, ausgeruhte Ärztinnen und Ärzte sind eine unverzichtbare Voraussetzung für Patientensicherheit und Qualitätssicherung im stationären Gesundheitswesen. Die positiven Effekte einer qualitativ hochstehenden Versorgung schlagen sich in der Patientenzufriedenheit und im Behandlungserfolg nieder [2].

Wie Vereinbarkeitsmassnahmen wirken

Zum einen stärken vereinbarkeitsfreundliche Massnahmen den «psychologischen Vertrag» [5] zwischen Gesundheitsbetrieben und ihrer Ärzteschaft beziehungsweise Belegschaft insgesamt. Dabei geht es um Erwartungen, die jenseits des Vertragsverhältnisses zwischen Arbeitgebenden und Beschäftigten existieren: Vereinbarkeitsmassnahmen signalisieren, dass sich die Spitäler um Bedürfnisse ihrer Beschäftigten kümmern. Diese Wertschätzung wird oft mit einem hohen Mass an Loyalität und dem Verbleib in der Organisation belohnt.
Heute steigt der gesellschaftliche Anspruch, dass sich Spitäler mit angemessenen Arbeitszeiten und bestmöglichen Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten positionieren. Die Pflege dieses «sozialen Vertrags» in Form von Vereinbarkeitsangeboten generiert Vertrauen in die Beschäftigungsstandards und die Zukunftsgerichtetheit der Gesundheitsorganisationen und trägt zu ihrer Reputation als attraktiver Arbeitsort bei. Besonders aufgrund dieser langfristig positiven Effekte wird deshalb der Nutzen von Massnahmen deren Kosten deutlich überwiegen.
Prof. PD Dr. Brigitte Liebig,
brigitte.liebig[at]fhnw.ch
1 Kraft E, Loretan L, van der Heiden N. Jeder zehnte Arzt steigt aus. Schweizerische Ärztezeitung. 2016; 97(34):1132–1135
2 Hölterhoff M, Kramer K, Feuerstein S, Edel F, Schuhmacher C. Familienfreundliche Massnahmen in Spitälern. Betriebswirtschaftliche Effekte einer familienbewussten Personalpolitik für den ärztlichen Bereich. Prognos: Basel, 2013
3 Angerer, A, Hollenstein, E, Liberatore, F. Das Schweizer Spitalwesen: Eine Managementperspektive. Branchenreport des Winterthurer Instituts für Gesundheitsökonomie. 2016/2017. DOI: 10.21256/zhaw-1186
4 Berger, T. Burnout bei Ärzten: Die Balance bewahren. Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde. 2017, 234 (02), 158-161. DOI: 10.1055/s-0042-122810
5 Rousseau, D. Psychological Contracts in Organizations. Understanding Written and Unwritten Agreements. Newbury Park: Sage, 1994