Arbeiten, wenn andere schlafen

Forum
Ausgabe
2023/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21527
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(11):20

Publiziert am 15.03.2023

Nachtarbeit Arbeiten Ärztinnen und Ärzte im Nachtdienst mehr als neun Stunden, braucht es eine medizinische Eignungsuntersuchung. So verlangt es das Arbeitsgesetz. Es soll die Gesundheit der Ärzteschaft schützen und die Behandlungsqualität fördern.
Das ärztliche Wohlbefinden steht heute mehr als früher im Fokus der standeseigenen Berichterstattung [1–3]. Als Beschäftigte im Gesundheitswesen arbeiten die meisten Medizinerinnen und Mediziner nachts mit einer Schichtdauer von mehr als neun Stunden. Das Arbeitsgesetz ist klar: Diese Schichtdauer gilt als belastend für die Gesundheit [4]. Deswegen muss vor Stellenantritt eine obligatorische Untersuchung im Sinne einer Eignungsabklärung und Beratung durchgeführt werden [5]. Der Gesundheitszustand muss anschliessend unabhängig vom Alter alle zwei Jahre überprüft und die Eignung für Nachtarbeit beurteilt werden.
Nachtarbeit stellt eine besondere Belastung dar.
© Katarzyna Bialasiewicz / Dreamstime

Eignungsuntersuchung ist Pflicht

Die Eignungsuntersuchung wird in der Regel von einer Fachperson mit arbeitsmedizinischer oder betriebsärztlicher Weiterbildung durchgeführt. Oft ist dies die Personal- oder Betriebsärztin oder der Arbeitsmediziner des Spitals. Die beauftragte Person muss mit den betrieblichen Verhältnissen vertraut sein, das Patientengeheimnis wahren und vom Personaldienst unterstützt werden. Die Kosten gehen zu Lasten des Unternehmens. Es ist nicht zulässig, dass medizinisches Personal, welches Nachtdienste leistet, sich selbst untersucht, berät und seine Eignung in Eigenverantwortung deklariert. Frauen haben Anspruch auf medizinische Untersuchung und Beratung bei einer weiblichen Fachperson.

Arbeitsassoziierte Schlafstörungen

Insomnische Beschwerden bei Nachtarbeit sind häufig und können durch arbeitsärztliche Beratung über Schlafhygiene, Lebensstil und Ernährung gelindert werden. Gelegentlich, beispielsweise bei Verdacht auf ein Schlafapnoe-Syndrom, wird eine vertiefte Abklärung notwendig. Bei schweren Schlafstörungen mit Tagesschläfrigkeit muss vorübergehend ein Einsatz für Tagarbeit erwogen werden (vorübergehende Nichteignung für Nachtarbeit).

Medizinische Gründe für Nichteignung

Es gibt nur wenige medizinische Befunde, bei welchen nach Rücksprache mit den behandelnden Haus- und Fachärztinnen und -ärzten von Nachtarbeit abgeraten werden muss (dauerhafte Nichteignung). Dazu gehören beispielsweise Mitarbeitende mit schwerem Schlafapnoe-Syndrom oder Epilepsie. Bei anderen Diagnosen ist eine Einzelfallbeurteilung angezeigt. Dazu zählen etwa entzündliche Darmerkrankungen, psychische Erkrankungen, schwer einstellbarer Hypertonus oder Diabetes sowie Koronar- und Tumorerkrankungen. Schwangere dürfen nicht für Nachtarbeit eingesetzt werden [6]. Betrieblich sollte regelmässig überprüft werden, ob die Schichtpläne den neuesten chronobiologischen Empfehlungen entsprechen und geeignete Betreuungsangebote für Mitarbeitende mit Familienpflichten vorhanden sind. Damit kann eine Fehlbelastung der Ärztin und des Arztes durch kumulative Verpflichtungen verhindert werden, was auch in der Beratungsuntersuchung angesprochen wird. Wichtig ist es, in der Beratung auch auf die Arbeitswegsicherheit nach einem Nachtdienst einzugehen.

Arbeitsplatzerhalt trotz Nichteignung

Bei einer vorübergehenden Nichteignung, bedingten Eignung oder Nichteignung für Nachtarbeit suchen die betreuenden Arbeitsmediziner zusammen mit dem Behandlungsteam, den vorgesetzten Personen und dem Personaldienst nach Lösungen, wie der Eignungsentscheid betrieblich umgesetzt werden kann. Das gemeinsame Ziel ist es, den Arbeitsplatz und die Arbeitsfähigkeit langfristig zu erhalten und die Gesundheit der Mitarbeitenden zu fördern und zu schützen. Bei der Eignungsbeurteilung vor Nachtarbeit für Mitarbeitende im Gesundheitsdienst beachten Arbeitsmediziner sowohl den Gesundheitsschutz der im Nachtdienst Beschäftigten als auch die Sicherheit der von ihnen betreuten Patientinnen und Patienten. Die Eignungsuntersuchung bei Nachtarbeit ist für die erfahrene Arbeitsärztin ein wichtiges Instrument, um gesundheitliche Fehlentwicklungen bei Kolleginnen und Kollegen frühzeitig zu erkennen, falls nötig beratend zu unterstützen und das Wohlbefinden des ärztlichen Personals langfristig zu fördern.
Dr. med. Leonhard Sigel, Leiter Sektion Arbeitsmedizin ETH Zürich
lic. iur. Yvonne Stadler-Niederer, Rechtsanwältin, stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin Recht vsao Schweiz
1 Kraege V. Workaholic auf Abwegen. Schweiz Ärzteztg. 2022;103(46):64-65.
2 Mell E. Arbeiten bis zur Erschöpfung. Schweiz Ärzteztg. 2022;103(46):3.
3 Barrile A. Mein Herz zeigt mir den Weg. Schweiz Ärzteztg. 2022;103(40):80-81.
4 Wegleitung zum Arbeitsgesetz und zu den Verordnungen 1 und 2 Anhang 4: Leitfaden zur medizinischen Vorsorge für Nacht- und Schichtarbeitende. SECO, November 2013. Genauer: Art. 17c Abs. 1 ArG i.V.m. Art. 43 ff. ArGV 1.
6 DGAUM Leitlinie «Gesundheitliche Aspekte und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit» Stand 22.07.2021 https://register.awmf.org/assets/guidelines/002-030k_S2k_Gesundheitliche-Aspekte-Gestaltung-Nacht-und-Schichtarbeit_2021-08.pdf (Download 11.01.2023).