Frakturen durch gezielte Behandlung verhindern

Schwerpunkt
Ausgabe
2023/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21574
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(12):67-68

Publiziert am 22.03.2023

Warnhinweise beachten Nur ein Bruchteil der Betroffenen mit Osteoporose wird rechtzeitig behandelt, denn Osteoporose bleibt oft bis zum Auftreten einer ersten Fraktur unerkannt. Ein erhöhtes Bewusstsein und aktuelle Behandlungsempfehlungen sollen im Kampf gegen den «stillen Knochenschwund» helfen und Frakturen verhindern.
Vom 18. bis zum 20. September 2022 fand die Jahrestagung OSTEOLOGIE 2022 des Dachverbandes für Knochenerkrankungen (DVO) statt [1]. Der DVO ist der interdisziplinäre Zusammenschluss aller wissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich mit den Erkrankungen des Knochens befassen [2]. Ein Blick auf das Programm verrät: Auch dieses Jahr war das Thema Osteoporose wieder stark vertreten. Doch warum ist es so wichtig, sich damit zu beschäftigen? Wie viele Menschen sind von Osteoporose betroffen und wie kann man diese Krankheit behandeln?

Osteoporose: eine unterschätzte Krankheit

Weltweit leiden schätzungsweise 200 Millionen Menschen an Osteoporose, was diese zur häufigsten Knochenkrankheit beim Menschen macht [3]. Im Jahr 2019 waren in der Schweiz 524 000 Personen von Osteoporose betroffen. Das Risiko, ab einem Alter von 50 Jahren eine Hüftfraktur zu erleiden, liegt in der Schweiz für Frauen bei 22,5% und für Männer bei 7,1% [4]. Osteoporotische Frakturen betreffen oft die Wirbelkörper, die Hüfte oder den Oberschenkelknochen – diese Frakturen bringen oft verheerende Konsequenzen mit sich. So können Wirbelkörperfrakturen zu Lungen- und Herzkomplikationen sowie gastrointestinalen Beschwerden führen. Hüftfrakturen sind mit einer Mortalität von bis zu 20% innerhalb eines Jahres assoziiert und Überlebende müssen sich oft starken Einschränkungen im Alltag stellen. Frakturbedingte langfristige Behinderungen können wiederum soziale Isolation bis hin zur Depression zur Folge haben [3]. Das Risiko einer weiteren Fraktur ist ausserdem nach einer ersten Fraktur besonders erhöht [5]. Berücksichtigen wir also diese Folgen, ist es wichtig, Osteoporose schon vor dem Eintreten der Frakturen zu behandeln. Trotzdem erhält ein signifikanter Teil der Männer und Frauen mit hohem Frakturrisiko keine Therapie für Osteoporose. In der Schweiz sind es ca. 83% aller Frauen mit Osteoporose, die nicht in medikamentöser Behandlung stehen [4]. Weshalb ist die Behandlungslücke so gross, wenn doch die Auswirkungen der Osteoporose so verheerend sein können?

Osteoporose tut nicht weh

Osteoporose ist eine stille Erkrankung, die nicht auf den ersten Blick erkennbar ist und oft erst mit dem Auftreten einer ersten Fraktur bemerkt wird [3]. Wenn es so weit kommt, ist die Osteoporose meist schon weit fortgeschritten. Der stärkste Hinweis auf eine unerkannte bereits symptomatische Osteoporose ist eine Fraktur ohne adäquates Trauma (d. h. beispielsweise ein harmloser Sturz aus dem Stand) [6]. Weitere potentielle Hinweise auf eine fortgeschrittene symptomatische Osteoporose sind unter anderem Grössenverlust, Kyphose oder das Tannenbaumphänomen [7]. Um eine noch nicht symptomatische Osteoporose rechtzeitig zu erkennen, hilft es, sich mit den Risikofaktoren vertraut zu machen. Zu diesen gehören unter anderem ein höheres Lebensalter, Bewegungsmangel, übermässiger Nikotin- und Alkoholkonsum, Untergewicht, gewisse Medikamente (z. B. Kortison), hormonelle Veränderungen (z. B. verfrühte Menopause) und eine genetische Vorbelastung [8]. Eine ausführliche Anamnese ist daher für die Früherkennung essenziell. Wenn die Anamnese Hinweise auf eine Osteoporose gibt, gilt als Goldstandard für die Diagnose die Osteodensitometrie (DXA-Technik) [3]. Dabei wird die Knochendichte der Lendenwirbel, der Hüfte und des Oberschenkelhalses mit der Referenzpopulation (junge Frauen im Alter von 20 bis 29 Jahren) verglichen. Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt eine Osteoporose vor, wenn die gemessene Knochendichte 2,5 Standardabweichungen oder mehr unter dem Referenzwert liegt (T-Score <-2,5) [3].

Osteoporose – was nun?

Die häufigste gesundheitliche Folge von Osteoporose sind Frakturen. In den letzten Jahren wurden Algorithmen entwickelt, um das Frakturrisiko bei Personen vorherzusagen, die neben der reduzierten Knochendichte signifikante Prädiktoren für das Frakturrisiko zeigen. Eines dieser Modelle ist das «Fracture Risk Assessment Tool Model» (FRAX) [3]. Dieses Model berechnet anhand verschiedener Faktoren, unter anderem Ethnizität, Alter, Gewicht, Grösse, Geschlecht und T-Score, das Risiko, in den kommenden zehn Jahren eine osteoporotische Fraktur zu erleiden. Bei Personen mit erhöhtem Frakturrisiko empfiehlt die Schweizerische Vereinigung gegen die Osteoporose (SVGO) eine medikamentöse Therapie. Die SVGO-Empfehlungen von 2020 liefern für jede spezifizierte Risikogruppe Therapieempfehlungen mit dem Ziel, das Frakturrisiko zu reduzieren [9] (Abbildung 1). Ab einem mittleren Risiko (T-Score in Hüfte oder Wirbelsäule von -2,5, aber keine Fraktur oder erhöhtes FRAX) werden Antiresorptiva wie Bisphosphonate oder selektive Östrogenrezeptor-Modulatoren (SERM) empfohlen, die dem Knochenabbau entgegenwirken. Bei hohem Risiko (über definierter FRAX-Risiko-Schwelle) kann ebenfalls mit Bisphosphonaten oder dem monoklonalen Antikörper Denosumab, welcher die knochenabbauenden Zellen hemmt, therapiert werden. Eine spezielle Kategorie bilden Patienten mit vertebralen Frakturen, für die als Erstlinien-Therapie eine zeitlich begrenzte anabole Behandlung mit Teriparatid indiziert ist. Die letzte Risikogruppe bilden Patienten mit sehr hohem (FRAX-Wert mehr als 20% über Behandlungsschwelle) oder imminentem Risiko (kürzliche schwerwiegende osteoporotische Fraktur). In diesen Fällen kommen je nach Fraktur und Kontraindikationen das Antiresorptivum Zoledronat, Denosumab, Teriparatid oder eine einjährige Behandlung mit Romosozumab zum Einsatz. Eine langfristige Behandlung findet in allen Risikogruppen mit Bisphosphonaten oder Denosumab statt.
Abbildung 1: SVGO-Empfehlungen von 2020 adaptiert nach [9]. MOF: major osteoporotic fracture; SERM: selektiver Östrogenrezeptormodulator; Dmad: Desonumab; ROMO: Romosozumab; DEXA: Knochendichtemessung; BP: Bisphosphonat; Zol: Zoledronat; *Der Zusatznutzen von Romosozumab wird unterschiedlich beurteilt, auch wegen potenzieller kardiovaskulärer Nebenwirkungen; sehr hohe Kosten.
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Bewusstsein schaffen

Die aktuellen Empfehlungen der SVGO bieten Möglichkeiten für eine gezieltere Behandlung von Osteoporose-Patienten. Zuerst müssen wir aber mehr Bewusstsein für diese stille, unsichtbare Krankheit in der Bevölkerung und unter Ärzten schaffen. Dachverbände und Vereinigungen wie die SVGO und DVO bieten geeignete Plattformen dafür. Mit jährlichen Kongressen wie OSTEOLOGIE 2022 können wir in Zukunft bessere Behandlungsmöglichkeiten diskutieren und Therapiefortschritte teilen.
Dr. Kristina Thumfart
Medical Writerin bei IACULIS GmbH. Ihre Spezialgebiete sind die Molekulare Neurogenetik und Neuroepigenetik in Bezug auf Stress. Sie beschäftigt sich mit Präventionsmassnahmen in der Volksgesundheit.
3. Sözen T, Ozisik L, and N.C. Basaran. An overview and management of osteoporosis. Eur J Rheumatol. 2017;4(1):46–56.
4. Willers C, et al. Osteoporosis in Europe: a compendium of country-specific reports. Arch Osteoporos. 2022;17(1):23.
5. van Geel TA, et al. Clinical subsequent fractures cluster in time after first fractures. Ann Rheum Dis. 2009;68(1):99–102.
9. Ferrari S, et al. 2020 recommendations for osteoporosis treatment according to fracture risk from the Swiss Association against Osteoporosis (SVGO). Swiss Med Wkly, 2020;150:w20352.