Sekundäre Frakturprävention bei Osteoporose

Schwerpunkt
Ausgabe
2023/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21581
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(12):70-71

Publiziert am 22.03.2023

Fragilitätsfrakturen Der demographische Wandel führt unausweichlich zu einer Zunahme der Knochenbrüche. Bei älteren Menschen ist ihre häufigste Ursache die Osteoporose, die viel zu selten diagnostiziert und fachgerecht behandelt wird. Der Fracture Liaison Service (FLS) ist eine Möglichkeit, diese Versorgungslücke zu schliessen.
Die Osteoporose mit den dadurch bedingten Fragilitätsfrakturen entwickelt sich durch die steigende Anzahl der betroffenen Personen - in erster Linie bedingt durch die demographische Entwicklung - immer mehr zu einer der bedeutendsten Gesundheitsprobleme in unserer Gesellschaft. Das Lebenszeitrisiko, eine Fragilitätsfraktur nach dem 50. Lebensjahr zu erleiden, beträgt 46% in der weiblichen und 22% in der männlichen kaukasischen Bevölkerung [1]. Schätzungen aus dem Jahr 2019 zufolge erleiden in der Schweiz rund 82 000 Personen jährlich eine Fragilitätsfraktur, Tendenz steigend. Derzeit leben in der Schweiz etwa 520 000 Menschen mit einer Osteoporose, 79% davon sind Frauen [2]. Von ihnen erfahren nur 17% eine adäquate Osteoporose-Therapie, 83% bleiben unbehandelt. Patienten mit einer Fraktur werden unfallchirurgisch bestmöglich versorgt, jedoch gibt es derzeit schweizweit wie auch international grosse Defizite in der dringend notwendigen weiterführenden osteologischen Diagnostik und Therapie [3, 4]. Da das Risiko, eine Folgefraktur zu erleiden, unmittelbar nach einem Frakturereignis am höchsten ist [5], ist insbesondere bei diesen Patienten eine rasche Diagnose und Intervention anzustreben. Verschiedene medizinische Fachrichtungen haben sich in internationalen Arbeitsgruppen zum Ziel gesetzt, diese grosse Informations- und Versorgungslücke mittels zertifizierter FLS-Zentren zu schliessen. Weltweit existieren in bislang 51 Ländern 785 aktive FLS-Zentren, 376 davon in Europa [6].
FLS-Landkarte der Schweiz, Januar 2023
© UCB Pharma AG

FLS zur Sekundärprävention

Ein FLS ist ein multidisziplinärer Dienst, der für die Sekundärprävention osteoporotischer Frakturen durch Identifizierung und Management von Risikopatienten, sowohl bei stationären als auch bei ambulanten Patienten, zuständig ist. Dieser entspricht den international anerkannten Qualitätsanforderungen der International Osteoporosis Foundation (IOF), welche mit einer Arbeitsgruppe ein Positionspapier veröffentlicht hat (Capture-the-Fracture, CTF-Kampagne) [7].
Das Ziel solcher FLS ist es, nicht nur die von Osteoporose betroffenen Patienten und Patientinnen zu identifizieren, sondern sie auch durch eine adäquate Abklärung und Behandlung vor weiteren Frakturen zu bewahren [6]. Obwohl sich das Servicemodell als klinisch und wirtschaftlich wirksam erwiesen hat, bieten nur wenige Spitäler in der Schweiz irgendeine Form von FLS an [8]. Erfreulicherweise stieg die Anzahl solcher Zentren in der Schweiz von fünf im Jahr 2019 auf zwölf im Jahr 2022. Der «Swiss Fracture Liason Service» (Swiss FLS) wurde als nationale Initiative der Schweizerischen Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) eingeführt.

Zusammenfassung

Mangelndes Bewusstsein sowohl bei Ärztinnen und Ärzten, als auch bei Patientinnen und Patienten sowie der nicht geklärte Zuständigkeitsbereich im weiteren Management nach einer chirurgisch sanierten Fragilitätsfraktur verursachen grosse Defizite in der Versorgung von an Osteoporose-Erkrankten. Trotz zahlreicher diagnostischer und therapeutischer Optionen, die uns heute zur Verfügung stehen, zeigt sich in diesem Fall eine grosse Unterversorgung. Wenn immer möglich, sollte bei jedem Frakturereignis nach Bagatelltrauma eine weitere Abklärung und gegebenenfalls die Einleitung einer adäquaten osteoprotektiven Therapie durchgeführt werden. Um jedoch eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten, ist die Implementierung von strukturierten Massnahmen, wie beispielsweise durch einen FLS, in der täglichen Routine dringend erforderlich.

Take home message:

1 Johnell O, Kanis J. Epidemiology of osteoporotic fractures. Osteoporos Int 2005;16 (Suppl 2):S3–S7.
2 Willers C, et al. Osteoporosis in Europe: A Compendium of country-specific reports. Arch Osteoporosis. 2022;17(1):23.
3 McCloskey E, et al. Osteoporosis (OP) diagnosis and treatment of women aged ≥70 years in primary care: results from a large European cross-sectional study. World Congress on Osteoporosis, Osteoarthritis and Musculoskeletal Diseases, Paris, France, April 4–7, 2019.
4 Barton DW, et al. Orthopedic surgeons’ views on the osteoporosis care gap and potential solutions:
survey results. J Orthop Surg Res, 2019;14(1):p.72.
5 Johnell O, Kanis JA, Oden A, et al. Fracture risk following an osteoporotic fracture. Osteoporos Int 2004;15:175–9.
6 International Osteoporosis Foundation (IOF). CAPTURE THE FRACTURE. (abgerufen am 15.02.2023).
7 Javaid MK, et al. A patient-level key performance indicator set to measure the effectiveness of fracture liaison services and guide quality improvement: a position paper of the IOF Capture the Fracture Working Group, National Osteoporosis Foundation and Fragility Fracture Network. Osteoporos Int. 2020;31(7):1193–1204.
8 Yates CJ, Chauchard MA, Liew D, et al. Bridging the osteoporosis treatment gap: performance and cost-effectiveness of a fracture liaison service. J Clin Densitom 2015;18:150–6.