Wir müssen uns unterhalten

Zu guter Letzt
Ausgabe
2023/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21582
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(10):82

Publiziert am 08.03.2023

Neulich habe ich eine Unterhaltung geführt. Keine gewöhnliche, denn ich habe nicht mit einem Menschen gesprochen, sondern mit einer Maschine. Genauer gesagt: mit Chat Generative Pre-trained Transformer, kurz ChatGPT. Das US-amerikanische Unternehmen OpenAI hat das textbasierte Dialogsystem im November 2022 auf den Markt gebracht. Seit Januar 2023 ist ChatGPT auch medial in der Gesellschaft angekommen, so auch bei mir und schätzungsweise 100 Millionen anderen aktiven Nutzerinnen und Nutzern [1]. Der neue Chatbot formuliert und übersetzt Texte in «hunderte Sprachen», schreibt Gedichte und erzählt Witze. Er kann mathematische Operationen ausführen, codieren, Fragen beantworten und führt sogar «echte, menschenähnliche Dialoge».
Bahador Saberi
Chef vom Dienst, Schweizerischer Ärzteverlag EMH
Hin und wieder spreche ich mit Apples Künstlicher Intelligenz Siri, weil es einfacher ist, per Spracheingabe einen Timer zu stellen. Siri ist zwar cool, aber die Interaktion mit ihr ist nicht dialogisch. Man merkt Siri deutlich an, dass sie eine Maschine ist. So banal diese Einsicht auch tönen mag: Sie ist es nicht, beziehungsweise sie wird es in naher Zukunft nicht mehr sein. Ich bin überzeugt, dass Chatbots menschliche Dialoge nahezu perfekt nachahmen werden, dass es für Menschen schwierig sein wird, sie zweifelsfrei als solche zu identifizieren. Die Vorstellung, dass ChatGPT, Siri, Bard, Alexa – you name it – echte Dialoge mit uns führen, ist gleichermassen faszinierend wie beunruhigend. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die durch Künstliche Intelligenz bevorstehen, werden zentrale Bereiche unseres Lebens zum Teil massiv verändern, einige davon disruptiv.
Während meines Dialogs mit ChatGPT lag der Gedanke nahe, den Text für dieses «Zu guter Letzt» den Chatbot schreiben zu lassen. Was denken Sie? Hat ChatGPT diesen Text geschrieben? Nein. In der Tat sind diese Zeilen, die Sie gerade lesen, durch einen Menschen entstanden. Die Bot-Versionen dieses «Zu guter Letzt» lesen sich wie technokratische Marketingtexte, welche die Werbeversprechen der neuen Künstlichen Intelligenz bestmöglich vermarkten möchten. Die Textergebnisse wirken generisch, wenig spannend, dafür sachlich, informativ und ohne Schnörkel. Das mag seine Vorteile haben, aber den Mehrwert eines von Menschenhand verfassten Textes bieten sie (noch) nicht. Zumindest nicht für dieses Format. Sollten Sie Nutzer oder Nutzerin von ChatGPT sein, können Sie sich selbst überzeugen. Geben Sie ein: «Schreib ein ‹Zu guter Letzt› für die Schweizerische Ärztezeitung.»
Spricht man ChatGPT auf seinen konkreten Nutzen für den medizinischen Alltag an, bietet er folgende fünf Punkte an: «1. Unterstützung bei der Diagnose von Krankheiten. 2. Personalisierte Behandlungspläne. 3. Das Überwachen von Patienten. 4. Medikamentenentwicklung. 5. Verbesserte Forschung.»
Ausserdem habe ich die Maschine gefragt, ob sie auch in der Lage sei, ein Arzt-Patienten-Gespräch zu simulieren. Sie bejahte. Allerdings hat ChatGPT nicht verstanden, dass ich bei der angefragten Simulation der Gastroenterologe bin und die Maschine den Patienten simulieren soll. Auch dann nicht, als ich mich als Internist ausgegeben habe. In die Rolle eines fiktiven Patienten, für den der Arzt oder die Ärztin eine Diagnose stellen soll, konnte ChatGPT nicht schlüpfen.
Der technologische Fortschritt hat in der Menschheitsgeschichte oftmals Faszination hervorgerufen, aber auch Unsicherheiten und Ängste. Von der Erfindung des Buchdrucks bis ins digitale Zeitalter des 21. Jahrhunderts: ChatGPT markiert den Anfang eines Startpunkts, von dem wir heute noch nicht wissen, wohin die Reise führt. Bleiben wir fasziniert und lassen uns nicht beunruhigen durch das, was noch kommt.