Medizin fürs Klima

Praxistipp
Ausgabe
2023/13
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21643
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(13):72-73

Publiziert am 29.03.2023

Nachhaltigkeit Noch immer sind in Schweizer Spitälern klimaschädliche Narkosegase im Einsatz, obwohl sie meist ersetzt werden können. Bei den problematischsten Gasen geht der Verbrauch zurück. Aber das reicht noch nicht. Handlungsbedarf besteht zum Beispiel bei Lachgas.
Volatile Anästhetika werden bei zahlreichen Operationen eingesetzt. Mit der Ausatmungsluft der Patientinnen und Patienten gelangen diese Gase meist in die Umwelt. Sie sind viel klimaaktiver als Kohlendioxid (CO2): Desfluran 2540-fach, Isofluran 510-fach und Sevofluran 130-fach. Hinzu kommt Lachgas. Es wirkt 300-mal stärker auf das Klima als CO2. Bei den meisten Operationen lassen sich die klimaaktiven Anästhesiegase durch intravenöse Narkosemittel oder mindestens durch das am wenigsten klimaschädliche Narkosegas Sevofluran ersetzen. Bedingung: Medizinisch darf nichts gegen den Austausch sprechen.
© Luca Bartulović
Welche Menge dieser Narkosegase in Schweizer Spitälern und Arztpraxen jährlich zur Anwendung kommt, wissen die Bundesbehörden nicht. Deshalb haben wir von den Ärztinnen und Ärzten für Umweltschutz (AefU) 27 Spitäler und Klinikgruppen um Angaben zu ihrem jährlichen Verbrauch an volatilen Anästhetika gebeten. 13 Kliniken (52%) liessen uns Zahlen zukommen, auch die fünf Universitätsspitäler in Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich. Die Bilanz der 13 Kliniken ist erfreulich. Sie verwenden bei Narkosen im Durchschnitt von 2020 bis 2022 viel weniger des extrem klimawirksamen Desfluran (-75%) und des stark klimaaktiven Isofluran (-20%). Zugleich haben sie nicht viel mehr des am wenigsten klimarelevanten Sevofluran eingesetzt (+5%) [1]. Das zeigt: Ein Ersatz durch intravenöse Anästhetika ist in vielen Fällen möglich. Der klimabewusstere Umgang der 13 Spitäler mit den drei Narkosegasen hat den Ausstoss in CO2-Equivalenten von rund 3100 Tonnen im Jahr 2020 auf 1200 Tonnen im 2022 gesenkt (-60%). Dass im Operationssaal noch mehr Klimaschutz ohne Nachteile für die Patientinnen und Patienten möglich ist, zeigt das Kantonsspital St. ​Gallen. Nur gerade 2,2% der rund 17 ​000 Allgemeinanästhesien brauchten 2021 ein Narkosegas, wobei es sich ausschliesslich um Sevofluran handelte.
Lachgas ist – wie erwähnt – 300-mal klimaaktiver als CO2 und trägt zum Ozonloch in der Stratosphäre bei. Lachgas scheint noch immer weit verbreitet, zum Beispiel in den Gebärabteilungen und in Kinderkliniken. Wie viel dort – oft noch via Wandanschlüsse – bezogen wird, können die wenigsten Spitäler beziffern. Seltener kommt Lachgas zudem im Notfall und bei Anästhesien zum Einsatz.
In Sachen Klimaschutz besteht also insbesondere beim Lachgas und immer noch bei Sevofluran Handlungsbedarf. Der Verbrauch der im Hinblick aufs Klima ärgsten Narkosegase Desfluran und Isofluran ging in den 13 Spitälern zurück, die sich nicht scheuten, ihre Zahlen preiszugeben. Dem zollen die AefU Anerkennung. Wichtig ist, dass sich dieser sinkende Verbrauchstrend weiter fortsetzt.

Taskforce für Klimaschutz

Bei unseren Recherchen zu den klimaaktiven Treibgasen bei Dosieraerosolen [2] und den klimaschädlichen volatilen Anästhetika stellten wir fest: Die Bundesämter für Gesundheit (BAG) und Umwelt (BAFU) sowie die Zulassungsbehörde Swissmedic wissen nichts über den Verbrauch dieser Substanzen in der Schweiz. Sie zu erfassen aber ist Bedingung, um ihre Verwendung zu reduzieren.
Als Ärztinnen und Ärzte sollten wir nicht nur über die bedrohlichen Auswirkungen der Erhitzung der Erdatmosphäre auf die Gesundheit berichten, wir sind auch aufgerufen, selber klimaschützende Massnahmen im Gesundheitsbereich zu ergreifen. Wie am Beispiel der volatilen Anästhetika aufgezeigt: Konkreter Klimaschutz kann im klinischen Alltag realisiert werden. Dazu laden wir alle Akteure im Gesundheitsbereich ein, bei einer nationalen Taskforce zur systematischen Reduktion der Klimabelastung durch den Gesundheitssektor mitzuwirken.
Dr. med. Bernhard Aufdereggen
Präsident der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU). An dieser Stelle schreibt er regelmässig über Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen.
Bernhard Aufdereggen
1 Spitäler setzen auf Klimaschutz bei der Narkose, in Oeksokop 4/22 www.aefu.ch/fileadmin/user_upload/aefu-data/b_documents/oekoskop/oekoskop_22_4.pdf#page=5
2 900 000 Dosieraerosole: Unnötige Treibhausgase in der Asthma-Therapie, in: Oeksokop 221/1 www.aefu.ch/Oekoskop_22_1