Es braucht eine individuelle Beurteilung

Briefe an die Redaktion
Ausgabe
2023/13
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21656
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(13):20

Publiziert am 29.03.2023

Es braucht eine individuelle Beurteilung

Sehr geehrte Frau Professor Wegener
Als Hausarzt mit 42-jähriger Tätigkeit erlaube ich mir, Ihnen folgendes mitzuteilen. Schon vor 100 Jahren haben erfahrene Hausärzte bei Diagnosestellung und Therapie die weiblichen Besonderheiten erkannt und «automatisch» eingeschlossen. Sie wussten längstens, dass weibliche Hormone einen Einfluss auf die geschilderten Symptome der Frau haben neben der Tatsache, dass Frauen Schmerzen besser ertragen und Blut besser sehen können.
Was unsere Klientele will und braucht, ist eine individuelle, spezifische und persönliche Beurteilung. Sie steht übergeordnet und beinhaltet ja bereits die Gendersymptome!
Mein Vater als Arzt und ich als Assistenzarzt vor einigen Jahren haben noch erlebt, wie die Schmerzen bei Herzinfarkt fast unerträglich waren, wobei heute oft erträgliche Schmerzen oder nur ein thorakales Stechen bei Müdigkeit angegeben wird. Dies stelle ich aber bei Männern und Frauen fest und glaube nicht an eine weiblich spezifische Eigenart. Ich vermute eher, dass es eine Folge einer vegetativen Umstellung ist. Die vegetative Umstellung ist möglicherweise durch den in den letzten 50 bis 80 Jahren zunehmenden Alltagsstress bedingt. Es hat sich eine gewisse Resistenz gebildet.
Spaltet bitte, respektive spezialisiert die Medizin nicht noch mehr. Es ist schon genug des Spezialistentums und der Unübersichtlichkeit. Ich möchte in Zukunft keine Praxisanschriften: Dr. med. Müller Facharzt FMH etc. (Frauen) und etwas weiter entfernt: Dr. Müller FMH etc. (Männer) sehen.
Mit freundlich kollegialen Grüssen
Dr. med. Roland Scholer, Facharzt Allgemeine Innere Medizin, Liestal