Kritik am BAG

Forum
Ausgabe
2023/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21660
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(17):22

Publiziert am 26.04.2023

Bundesverwaltung Public Health und Krankenkassen: Für beides ist das Bundesamt für Gesundheit verantwortlich. Ein Aufgabenmix, der aus Sicht unseres Autors nicht gut gehen kann. Denn das eine sei eine staatliche Kernaufgabe, das andere ein Politikum. Er plädiert für eine Trennung.
Der Leistungsausweis des Bundesamts für Gesundheit (BAG) für die letzten Jahre ist unbefriedigend, und das Versagen wird meist mit personellen Fehlbesetzungen begründet. Doch muss vermutet werden, dass der hauptsächliche Grund ein struktureller ist, indem der 2004 erfolgten Übertragung des Krankenkassenwesens vom Bundesamt für Sozialversicherungen ins damalige Eidgenössische Gesundheitsamt und heutige BAG die entscheidende Rolle zukommt.
Bereits von Anfang an wurde dieser Entscheid von den Fachpersonen aus der Medizin und dem Public Health als fragwürdig empfunden. Denn die Gewährleistung einer optimalen Gesundheit der Bevölkerung ist für sich allein eine in der Bundesverfassung verankerte Grundaufgabe des Staates, während Aspekte des Krankenkassenwesens zum Versicherungs- und nicht zum Gesundheitswesen gehören. Die Abwägung zwischen diesen Aspekten ist sodann Sache politischer Entscheide.

Versäumnisse des BAG

Vorerst blieb die Veränderung noch ohne Folgen, da der auf Public Health orientierte Arzt Thomas Zeltner noch mehrere Jahre als Direktor im Amt blieb und die eingespielten Tätigkeiten des BAG weiterführen konnte. Doch nachdem 2010 ein bereits in der Bundesverwaltung tätiger Jurist als sein Nachfolger eingesetzt worden war, orientierte sich die Führung des BAG so sehr am Krankenkassenwesen, dass die klassischen, im Bereich des Public Health liegenden Aufgaben des Bundesamts, und damit auch die dafür zuständigen Mitarbeitenden, in den Hintergrund gedrängt wurden.
Die Folgen dieser Umstellung zeigten sich auch in einer breiteren Öffentlichkeit deutlich, als das BAG nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie nicht auf die damit verbundenen Herausforderungen vorbereitet war. In der elfköpfigen Geschäftsleitung des BAG fanden sich jahrelang keine Ärztinnen und Ärzte oder andere Angehörige direkt an der gesundheitlichen Versorgung beteiligter Berufe [1]. Und 2021, im zweiten Corona-Jahr, wurde im Zusammenhang mit dem BAG ergänzend von «schwacher Führung, Verwaltungsmentalität, verpassten Entwicklungen» gesprochen und darauf hingewiesen, dass das Amt verpasst habe, «ein Kantone-übergreifendes ‹Contact Tracing› zur Eindämmung von Infektionsketten zu entwickeln, ein funktionstüchtiges nationales Meldesystem für Infektionskrankheiten aufzubauen oder eine zukunftsgerichtete, vernetzte Digitalisierung für das Gesundheitswesen in die Wege zu leiten» [2].
Ein möglicher Grund für diese Unterlassungen ist, dass die Stellen für diese Themen an Mitarbeitende auf einer zu niedrigen Hierarchiestufe vergeben worden waren, was auch das erwähnte Fehlen qualifizierter Spezialistinnen und Spezialisten in der BAG-Geschäftsleitung erklären könnte.
Verzettelt sich das BAG?
© EWesley Tingey / Unsplash

Zurück zum Anfang?

Um in der Schweiz gute, mit den technischen Entwicklungen Schritt haltende Grundlagen für die gesundheitliche Versorgung gewährleisten zu können, sollte sich das BAG voll und ganz diesem Aufgabenkomplex widmen können, ohne gleichzeitig die Verantwortung für dessen Finanzierung zu tragen. Denn der Versorgung die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen und ihr wo nötig finanziell bedingte Grenzen zu setzen, muss Sache des üblichen politischen Prozesses sein und sollte sich nicht innerhalb eines einzelnen, überforderten Amtes abspielen müssen.
Im Hinblick auf die Wichtigkeit einer gut geregelten gesundheitlichen Versorgung und des Public Health in der Schweiz wäre deshalb eine ernsthafte Prüfung der Frage einer Rückführung des Bereichs der Krankenversicherung ins Bundesamt für Sozialversicherung oder der Schaffung eines eigenen Bundesamts für Krankenversicherung innerhalb des EDI angezeigt.
Auch wenn eine solche Veränderung mehrere Jahre erfordern sollte, könnte sie sich für das Gesundheitswesen in der Schweiz als segensreich erweisen.
Prof. em. Dr. med. Theodor Abelin, Bern
1 Forster C, Schäfer F: BAG-Chef Strupler konnte die fehlenden Fachkenntnisse nie wettmachen – darunter leidet das ganze Amt. NZZ, 18.08.2020.
2 Forster C, Ryhn L, Rostetter A: Der Sündenbock: Wie das BAG zur meistkritisierten Behörde des Landes wurde. NZZ, 29.05.2021.