Auf den Punkt

Goodbye, Deutschland

News
Ausgabe
2023/12
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21685
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(12):8-9

Publiziert am 22.03.2023

Migration 730 Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland zogen allein im vergangenen Jahr in die Schweiz. Was treibt sie hierher? Nicht nur die hohe Lebensqualität ihrer neuen Wahlheimat, sondern auch die schlechten Arbeitsbedingungen in ihrem Herkunftsland, erklärt der Präsident der Bundesärztekammer.
Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland zieht es in die Schweiz – nicht nur zum Wandern oder Skifahren, sondern auch, um dort zu arbeiten. Knapp 2000 Ärztinnen und Ärzte haben Deutschland im vergangenen Jahr den Rücken gekehrt. Davon zogen 730 in die Schweiz.
Weiche Faktoren erklären diese Anziehungskraft nur zum Teil. Die Schweiz ist ein wohlhabendes Land im Herzen Europas mit hoher Lebensqualität. Die geografische und kulturelle Nähe sorgen zusammen mit der fehlenden Sprachbarriere dazu, dass es Auswanderern aus Deutschland leicht fällt, sich in ihrer neuen Heimat einzuleben.
Hinzu kommen die Probleme, mit denen das Gesundheitswesen in Deutschland zu kämpfen hat. Eines davon ist der Ärztemangel. In den Krankenhäusern wird die Personalnot durch den Zuzug ausländischer Ärztinnen und Ärzten nur unzureichend abgefedert. Die flächendeckende Versorgung durch niedergelassene Haus- und Fachärzte ist vor allen Dingen in den ländlichen Regionen akut gefährdet.
Knapp 2000 Ärztinnen und Ärzte haben Deutschland im vergangenen Jahr den Rücken gekehrt. Davon zogen 730 in die Schweiz.
© Bartolomiej Pietrzyk / Dreamstime

Zu viel Bürokratie

Wie dringend medizinischer Nachwuchs gebraucht wird, verdeutlicht ein Blick auf die Altersentwicklung der Ärzteschaft. Von allen berufstätigen Ärztinnen und Ärzten haben 9% bereits das 65. Lebensjahr vollendet. Weitere 13% sind zwischen 60 und 65 Jahre alt. Über 20% der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte werden also voraussichtlich bald aus dem Berufsleben ausscheiden. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung – gerade vor dem Hintergrund des steigenden Versorgungsbedarfs in einer Gesellschaft des langen Lebens.
Handlungsbedarf besteht auch bei der Entlastung von Bürokratie und Dokumentationsaufgaben. Im Jahr 2022 berichteten rund 1000 Ärztinnen und Ärzte im Rahmen einer Umfrage der Bundesärztekammer, dass von durchschnittlich 47 Wochenarbeitsstunden rund 38% auf Bürokratie und Dokumentation entfielen.
Frust und Überlastung sind die Folge. In einer Umfrage der Ärztegewerkschaft Marburger Bund aus dem Jahr 2022 bewerteten 28% der befragten Klinikärztinnen und -ärzte ihre Arbeitsbedingungen als schlecht oder sehr schlecht. In den Praxen sieht es nicht besser aus. Jeder dritte niedergelassene Arzt fühlt sich ausgebrannt, wie eine Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ergab.

Schlechte Rahmenbedingungen

Daher verwundert es nicht, dass in Deutschland die Teilzeitarbeit boomt. Junge Kolleginnen und Kollegen sind nicht mehr ohne Weiteres bereit, die Folgen von Personalnot, Arbeitsverdichtung und Wettbewerbsdruck auf Kosten der eigenen Gesundheit abzufedern.
Und in der Schweiz? Befragt nach ihren Erfahrungen berichten aus Deutschland ausgewanderte Kollegen von einer attraktiven Vergütung, hohen Klinikbudgets und guten Personalschlüsseln. Das bedeutet weniger Druck und Stress sowie mehr Zeit für den Patienten. Im Vergleich zum deutschen Gesundheitswesen empfinden viele Auswanderer die Hierarchien in der Schweiz als flach. Der Freizeitausgleich erscheint ihnen klar geregelt und der bürokratische Aufwand deutlich geringer.
Deutschland bietet eine Gesundheitsversorgung auf höchstem Niveau. Das ist aber vor allem den Ärztinnen und Ärzten sowie den anderen Beschäftigten im Gesundheitswesen geschuldet, die sich trotz defizitärer Rahmenbedingungen mit viel Engagement für ihre Patienten einsetzen.
Der Blick über den nationalen Tellerrand hilft, die eigenen Probleme schärfer zu sehen. Im besten Falle entstehen daraus Lösungen, von denen Patientinnen und Patienten ebenso profitieren, wie die im Gesundheitswesen Tätigen. Es wäre viel erreicht, wenn Ärztinnen und Ärzte irgendwann nur noch aufgrund der hohen Lebensqualität in die Schweiz auswandern würden, und nicht mehr wegen der hausgemachten Probleme im deutschen Gesundheitswesen.
Das Brisante ist: Im Schweizer Gesundheitswesen verschlechtern sich die Bedingungen immer mehr, wie die Ärztestatistik auf Seite 24 dieser Ausgabe zeigt. Es ist daher fraglich, ob die Schweiz für Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland attraktiv bleibt.
Dr. med. Klaus Reinhardt
Präsident der Bundesärztekammer Deutschland, Facharzt für Allgemeinmedizin
© Die Hoffotografen