Kopf der Woche

Über die Grenzen des Körpers hinaus

News
Ausgabe
2023/1415
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21719
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(1415):9

Publiziert am 05.04.2023

Doktor-Romancier In seinem ersten Roman «La Fabrique du corps humain» hat sich der Arzt und Psychiater Jérémie André von seinen eigenen Erfahrungen inspirieren lassen, um die Geschichte eines Lausanner Medizinstudenten zu erzählen. An der Seite von Dominique Mercier nimmt der Leser an der Krankenvisite einer Patientin teil, die an einer Lungenentzündung leidet, oder an einer Vorlesung über erektile Dysfunktion an der medizinischen Fakultät. Der analytische Geist des Arztes zeigt sich in den detaillierten Beschreibungen des menschlichen Körpers. Man lauscht dem Herzklopfen einer Patientin, bevor man die Anatomie der Arteria gastroepiploica betrachtet, während sie seziert wird.
Jérémie André
© Céline Michel
Jérémie André schloss 2012 sein Studium an der Universität Lausanne ab. Er absolvierte seine Ausbildung in Allgemeiner Innerer Medizin in Vevey und am Universitätsspital Lausanne (CHUV). Danach spezialisierte er sich in Psychiatrie und Psychotherapie. Diese doppelte Spezialisierung beeinflusst seinen Umgang mit Patientinnen und Patienten. Der Arzt und Psychiater interessiert sich für den Menschen als Ganzes. Sein Denkansatz ist sowohl sozialkritisch als auch philosophisch: «Die Beschäftigung mit der Suizidproblematik zwingt uns, die sozialen Determinanten des Suizids zu kennen. Die Behandlung von Psychosen zwingt uns, mit den Phänomenologen und Existenzialisten nach dem Sinn des Seins zu fragen.»
Jérémie Andrés Blick auf den menschlichen Körper ist ambivalent. Viel Respekt und Bewunderung für die menschliche Anatomie wechseln sich ab mit einer Beschreibung der schädlichen Auswirkungen der Arbeit auf den menschlichen Körper – insbesondere den der Ärzteschaft: «Wir lernen, den Körper des anderen zu heilen, haben aber manchmal ein sehr komplexes Verhältnis zu unserem eigenen: Prüfungsrevisionen und Nachtschichten stellen ihn auf eine harte Probe, ebenso wie die Medizinerpartys, bei denen die Studenten bekanntlich die Sau rauslassen. Oft achten wir mehr auf die Körper der anderen als auf unsere eigenen».
Trotz seines kritischen Blicks auf die Arbeit liebt er den Arztberuf. Kern seiner Tätigkeit ist es für ihn, «sich um andere zu kümmern, manchmal auch in unangenehmen Situationen». Er arbeitet als stellvertretender Klinikleiter in der Krankenhauspsychiatrie in Vevey. Auf der digitalen Plattform der Zeitung Le Temps betreibt er einen Blog über die Schnittstelle zwischen Medizin, Psychiatrie und Gesellschaft: blogs.letemps.ch/jeremie-andre/