«Bei Mangelernährung sehr engmaschig nachkontrollieren»

Wissen
Ausgabe
2023/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21722
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(17):76-77

Publiziert am 26.04.2023

Ernährungsmedizin Eine individuelle Ernährungstherapie hilft mangelernährten Personen während ihres Spitalaufenthaltes enorm. Das hat die EFFORT-1-Studie gezeigt. In der Nachfolgestudie wird nun untersucht, ob die Fortsetzung solch einer Therapie nach dem Spitalaustritt sinnvoll ist. Studienleiter Philipp Schütz über ein junges Forschungsfeld.
Philipp Schütz, in der EFFORT-1-Studie (siehe Kasten) haben Sie und Ihr Team untersucht, wie sich eine Ernährungstherapie bei krankheitsbedingt mangelernährten Patientinnen und Patienten im Spital auswirkt. Was war das Ziel?
Es handelt sich um die bislang grösste Studie zur Wirksamkeit einer ernährungsmedizinischen Betreuung im Krankenhaus. Patienten in der EFFORT-1-Studie erhielten während des Spitalaufenthaltes eine individuelle Ernährungstherapie. Unser Ziel war eine bedarfsdeckende Ernährung für die Patientinnen und Patienten. Deshalb erhielten die Teilnehmenden der EFFORT-1-Studie während ihres Spitalaufenthaltes eine individuelle Ernährungstherapie, die interdisziplinär durch das Team der Ernährungsberatung, die Pflege und die ärztlichen Fachpersonen organisiert wurde. Beim Austritt wurde die Therapie gestoppt und nur in einzelnen Fällen ambulant zu Hause fortgeführt. Die Patientinnen und Patienten wurden aber während fünf Jahren nachverfolgt und immer wieder befragt.

EFFORT-1 und EFFORT-2

Ein Ernährungsdefizit ist ein starker und unabhängiger Risikofaktor für Mortalität und Rehospitalisierung. Die vor vier Jahren abgeschlossene Studie «Effect of Early Nutritional Therapy on Frailty, Functional Outcomes and Recovery of Undernourished Medical Inpatients Trial», kurz EFFORT-1 [1], belegte, dass eine Ernährungsunterstützung das Risiko unerwünschter klinischer Ergebnisse bei stationären Patientinnen und Patienten mit Ernährungsrisiko während des Spitalaufenthaltes verringert. In der Nachbeobachtungszeit zeigte sich jedoch, dass die Ernährungstherapie keinen nachhaltigen Effekt hatte. Die Sterblichkeitsrate war nach sechs Monaten respektive nach drei Jahren Nachbeobachtung wieder deutlich gestiegen (20% beziehungsweise 60%). Mit der seit April 2022 laufenden EFFORT-2-Studie [2] wird nun untersucht, ob die Fortsetzung der Ernährungstherapie im ambulanten Bereich einen nachhaltigen Effekt auf die klinischen Ergebnisse bei Patientinnen und Patienten mit Ernährungsrisiko hat.

Welche Resultate hat die Studie gebracht? Konnten Sie einen Effekt der Ernährungstherapie feststellen?
Unsere Outcome-Messungen haben gezeigt, dass die positiven Effekte am 30. Tag nach Spitaleintritt sehr stark waren – es bestand eine deutliche Reduktion von Komplikationen und Sterblichkeit. Zudem kam es zu einer Verbesserung der Funktionalität und Lebensqualität. In den darauffolgenden Monaten und mit dem Ende der Ernährungstherapie liessen die positiven Effekte aber kontinuierlich nach. Nach sechs Monaten lag die Sterblichkeit beispielsweise nur noch etwa 10% tiefer als bei der Normalpopulation.
Haben Sie eine Vermutung, weshalb sich der Zustand nach dem Spitalaustritt so stark verschlechtert?
Wir gehen heute davon aus, dass die krankheitsbezogene Mangelernährung ein chronisches Problem ist, ähnlich wie bei Krankheiten wie Diabetes, Hypertonie oder bei Herzinsuffizienz. Dementsprechend erfordert auch die Mangelernährung ein längerfristiges Management. Die betroffene Patientengruppe hat insgesamt ein sehr hohes Risiko für Komplikationen und Mortalität, und wir sollten diese Personen sehr engmaschig nachkontrollieren – insbesondere auch bezüglich ihrer Ernährungssituation.
Seit rund einem Jahr läuft die Nachfolgestudie EFFORT-2 (siehe Kasten). Warum braucht es eine weitere Studie?
Zurzeit gibt es eine grosse Unterversorgung von Patientinnen und Patienten mit Mangelernährung im ambulanten Setting. Ein Grund dafür ist das Fehlen von Studien in diesem Bereich. Somit mangelt es an Evidenz, dass eine ambulante langfristig ausgelegte Ernährungstherapie die Mortalität senken kann. Forschung in diesem Bereich ist sehr wichtig, um diese Evidenz zu generieren.
Kehren mangelernährte Personen aus dem Spital zurück nach Hause, könnte ihnen eine ambulante Ernährungstherapie helfen.
© Pressmaster / Dreamstime
Konkret: Wie gehen Sie vor? Wie ist die Studie aufgebaut?
Personen mit hohem Mangelernährungsrisiko werden bei Spitalaustritt randomisiert und entweder langfristig individuell ernährt oder per «usual care» entlassen. Bei der Gruppe mit individueller Ernährung liefern wir orale, eiweissreiche Ernährungssupplemente mit dem Ziel, den Eiweiss- und Kalorienbedarf decken zu können. Zudem führen wir regelmässig telefonische Kontrollen durch. Die Studie schaut als primären Endpunkt die Gesamtmortalität der Teilnehmenden an.
Wie viele Personen nehmen daran teil?
Wir haben aktuell rund die Hälfte der geplanten 800 Patienten in zehn Spitälern in der Schweiz einschliessen können. Wir hoffen, dass die Rekrutierung bis in einem Jahr abgeschlossen sein wird und wir noch einmal während rund zwölf Monaten nachkontrollieren können. Ziel ist, dass wir bis im Jahr 2026 finale Daten zur Effektivität der ambulanten, individuellen Ernährungstherapie auf Mortalität und andere Endpunkte liefern können.
Wie sehen Sie die Zukunft der Forschung in der Ernährungsmedizin?
Die Forschung versucht zurzeit, die verschiedenen Mangelernährungsphänotypen besser zu verstehen. Das ermöglicht eine individualisierte und personalisierte Ernährung. Konkret bedeutet dies, dass wir mithilfe von spezifischen Biomarkern und klinischen Parametern voraussagen möchten, ob eine Person auf eine Ernährungstherapie anspricht oder nicht und welche Ernährung optimal wirkt. Damit könnte man in Zukunft Ernährungsformen für spezifische Krankheiten entwickeln, wie beispielsweise die mediterrane Diät für kardiovaskuläre Krankheiten. In der EFFORT-1-Studie haben wir bereits vielversprechende Resultate erzielt und gesehen, dass zum Beispiel das Ausmass der Entzündung stark mit dem Ansprechen auf die Therapie korreliert. Diese Resultate werden nun in der EFFORT-2-Studie validiert und finden dann hoffentlich Eingang in den klinischen Alltag.
Lesen Sie auch die Beiträge auf Seite 12 und Seite 42 in dieser Ausgabe zum Thema Ernährung.
Prof. Dr. med. Philipp Schütz
Chefarzt Allgemeine Innere und Notfallmedizin sowie Vizepräsident des Forschungsrats am Kantonsspital Aarau.