Mehr Sicherheit bei der Arzneimitteldosierung für Kinder

Aktuell
Ausgabe
2023/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21756
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(17):30-32

Affiliations
a MSc ETH Pharm. Wiss., Geschäftsführerin, SwissPedDose, Zürich; b Prof. Dr. med., Präsident, SwissPedDose, Zürich

Publiziert am 26.04.2023

SwissPedDose Der Verein SwissPedDose stellt in seiner Datenbank allen Gesundheitsfachpersonen kostenlos die nationalen pädiatrischen Arzneimitteldosierungen zur Verfügung. Diese harmonisierten Dosierungsempfehlungen sind ein Konsens von Schweizer Fachexpertinnen und Fachexperten, basierend auf der internationalen Forschungsliteratur.
SwissPedDose ist ein gemeinnütziger Verein der acht Kinderkliniken des Collège A (Aarau, Basel, Bern, Genf, Lausanne, Luzern, St. Gallen und Zürich), der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie, von Pädiatrie Schweiz und des Schweizerischen Vereins der Amts- und Spitalapotheker (Organigramm – Abbildung 1). Er betreibt im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit seit 2018 die gleichnamige nationale Datenbank zur Dosierung von Arzneimitteln bei Kindern mit dem Ziel, die Sicherheit des Arzneimitteleinsatzes bei Kindern einschliesslich der Neugeborenen zu erhöhen. Im Jahr 2021 endete die erste Betriebsphase und es konnten bereits über 500 Dosierungsempfehlungen zu 160 verschiedenen Wirkstoffen in einem etablierten standardisierten Harmonisierungs-Prozess erarbeitet und online publiziert werden (db.swissepdose.ch). Bis zum Ende der zweiten Betriebsphase im Jahr 2025 sollen nationale pädiatrische Arzneimitteldosierungen zu über 230 in der Pädiatrie verwendeten Wirkstoffen in der Datenbank abrufbar sein.
Abbildung 1: Organigramm von SwissPedDose: Kinderkliniken des Collège A. SGN, Schweizerische Gesellschaft für Neonatologie. GSASA, Schweizerischer Verband der Amts- und Spitalapotheker/innen. QM, Qualitätsmanagement. AG, Arbeitsgruppe.
© SwissPedDose

Der Auftrag (Hintergrund)

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat den Verein SwissPedDose mit dem Betrieb der Datenbank beauftragt, um die Sicherheit und die Anwendung von Arzneimitteln bei Kindern einschliesslich der Neugeborenen zu verbessern. Die rechtlichen Grundlagen für die Schaffung dieser nationalen Datenbank wurden mit dem Artikel 67a des revidierten Heilmittelgesetzes per 1. Januar 2018 geschaffen [1].
SwissPedDose deckt damit einen Handlungsbedarf in der Pädiatrie ab, der schon vor einiger Zeit, nämlich nach Einführung der Europäischen pädiatrischen Regulierung im Jahr 2006 [2], auch in der Schweiz insbesondere von den Fachgesellschaften und dem BAG erkannt wurde.
In der Vergangenheit beschränkten sich klinische Versuche mit Medikamenten mehrheitlich auf Erwachsene. Kinder wurden aus ethischen Gründen aus den Studien zur Dosisfindung ausgeschlossen. Wie in der EU sind die Zulassungsinhaber seit 2019 auch in der Schweiz gesetzlich verpflichtet, ein pädiatrisches Prüfkonzept einzureichen, wenn sie für ein neues Medikament eine Zulassung beim Schweizerischen Heilmittelinstitut (Swissmedic) beantragen möchten oder bei einer bestehenden Zulassung eine Indikationserweiterung, eine neue Darreichungsform oder eine Änderung des Verabreichungswegs beantragen wollen [1]. Erfreulicherweise haben diese Regulierungen im In- und Ausland dazu geführt, dass nun mehr Studien bei Kindern durchgeführt werden. Leider zeigen Untersuchungen aber, dass zum Beispiel. ältere Medikamente, deren Patentschutz bereits abgelaufen ist, dabei nicht berücksichtigt werden [3, 4]. Tatsache ist, dass heute in der Schweiz immer noch 45% der im Handel erhältlichen Arzneimittel ausschliesslich für Erwachsene zugelassen sind [5]. Neben den regulatorischen Anstrengungen zur Senkung des Off-Label Use in der Pädiatrie sollten die Behörden deshalb stärker auf die Verbesserung der Sicherheit des Off-Label Use setzen [4]. Mit dem durch SwissPedDose ausgeführten Dienstleistungsauftrag wird dieser Empfehlung gefolgt und die Sicherheit des Off-Label Use von Arzneimitteln in der Pädiatrie gefördert.
Der Off-Label Use ist als Anwendung fertiger und in der Schweiz zugelassener Arzneimittel, abweichend von der genehmigten und im Arzneimittelkompendium veröffentlichten Fachinformation, definiert (zum Beispiel die Anwendung eines Arzneimittels in einer nicht registrierten Indikation, Altersgruppe oder die Verabreichung in einer nicht zugelassenen Dosierung, Applikationsform oder Anwendungsdauer) [6]. SwissPedDose harmonisiert gemäss der gesetzlichen Grundlage Dosierungsempfehlungen für den Off-label Use (Art. 69 VAM).

Der Harmonisierungs-Prozess (Methode)

Die nationale Harmonisierung der Dosierungsempfehlungen verläuft nach einem standardisierten Prozess [7]. Sämtliche Prozessschritte (zum Beispiel die Literaturrecherche), die Zusammenarbeit der einzelnen Akteure sowie die Aufgaben und Profile der beteiligten Personen sind in einem Qualitätsmanagement-Handbuch beschrieben.
Mit Hilfe eines eigens dafür entwickelten webbasierten Harmonisierungstools werden Evidenz- und Experten-basierte Daten zur korrekten Dosierung von Arzneimitteln bei Kindern in den verschiedenen Spitälern und in der wissenschaftlichen Literatur gesammelt, durch Experten in den jeweiligen Fachgebieten (zum Beispiel Infektiologie oder Neonatologie) harmonisiert und anschliessend veröffentlicht. Die acht Kinderkliniken des Collège A sind dabei zentrale Akteure; ihre Spitalapothekerinnen und Spitalapotheker liefern die Grundlagendaten und ihre Fachärztinnen und -ärzte beurteilen und beschliessen gemeinsam die Off-Label Dosierungsempfehlungen (Harmonisierungsprozess – Abbildung 2). Unterstützt werden sie dabei von den SwissPedDose Harmonisierungsspezialisten, welche die Literaturrecherche durchführen und Dosierungsvorschläge erstellen. Sie überarbeiten die publizierten Dosierungsempfehlungen spätestens nach vier Jahren und aktualisieren diese bei Bedarf (zum Beispiel aufgrund neuer Forschungsergebnisse). Diese nationalen pädiatrischen Arzneimitteldosierungen entsprechen also aktuell in der Schweiz der bestmöglichen Evidenz kombiniert aus verfügbaren publizierten Daten und Expertenkonsens.
Abbildung 2: Harmonisierungsprozess SwissPedDose: Die publizierte nationale pädiatrische Arzneimitteldosierung ist der evidenzbasierte Konsens aller beteiligten Expertinnen und Experten.
© SwissPedDose
In manchen Fällen, bei denen die Angaben in der Literatur oder das Expertenwissen für spezielle Wirkstoffe, Indikationen oder Altersgruppen nicht ausreichen, werden zusätzliche Daten benötigt, um eine geeignete Dosierungsempfehlung abzugeben. Es ist wichtig, diese Lücken zu ermitteln und daraus Forschungsfragen zu entwerfen, um schliesslich geeignete klinische Studien oder pharmakokinetische Modellierungen zu veranlassen. SwissPedDose arbeitet deshalb eng mit dem Schweizer Netzwerk der pädiatrischen Forschungszentren (SwissPedNet) zusammen. Dadurch konnten bereits mehrere solche Dosierungsprobleme erfolgreich bearbeitet werden [8-11].

Die Datenbank (Resultate)

Die 561 in der Datenbank von SwissPedDose zur Publikation aktuell freigegebenen nationalen pädiatrischen Arzneimitteldosierungen (Stand 07.12.2022) werden über eine Webapplikation online veröffentlicht (db.swisspeddose.ch). Sie stehen den Nutzern in den drei Sprachen Deutsch, Französisch und Englisch zur Verfügung. Alle Gesundheitsfachpersonen in der Schweiz und weltweit können kostenlos darauf zugreifen. Die Anwendung lässt sich auch auf mobilen Geräten als sogenannte Web-App hinterlegen und nutzen. Aktuell werden rund 40 000 Zugriffe/Jahr (Stand 02.11.2022) verzeichnet. Bis vor Kurzem konnte nur nach Wirkstoffen unter der Eingrenzung des Verabreichungswegs oder nach den beiden Altersbereichen Neonatologie und Kinder ab einem Monat gesucht werden. Inzwischen wurden die Dosierungsempfehlungen mit den im Schweizer Handel verfügbaren Arzneimitteln verknüpft, was neu auch eine direkte Suche nach Handelsnamen erlaubt. Bei allen Dosierungsempfehlungen sind die jeweiligen Literaturreferenzen angegeben, welche während dem Harmonisierungsprozess berücksichtigt wurden (Dosierungsempfehlung – Abbildung 3). Für Fragen und Anregungen zu den einzelnen Dosierungsempfehlungen steht den Nutzern ein Feedback-Button zur Verfügung. Neben der Einzelnutzung besteht die Möglichkeit für Institutionen wie Spitäler, Kinderarztpraxen oder öffentliche Apotheken, den kompletten Export der Datenbank als XML-File zu beziehen, um die Daten direkt in die eigenen Systeme (zum Beispiel Klinikinformationssysteme) zu integrieren. Mit dem Luzerner Kantonsspital und dem Universitätsspital Genf sind zwei grosse innovative Institutionen vertreten, in welchen die direkte Implementierung von SwissPedDose in die verwendeten IT-Systeme bereits erfolgt ist.
Abbildung 3: Dosierungsempfehlung für Wirkstoff Amoxicillin. Durch Anklicken des jeweiligen Buttons kann man ein Feedback zur Dosierungsempfehlung erfassen, die konsultierten Literaturreferenzen einsehen oder die verknüpften, in der Schweiz zugelassen Präparate anzeigen lassen.
© SwissPedDose

Wie geht es weiter? (Ausblick)

Die Autorenschaft einer 2022 vom BAG in Auftrag gegebenen Situationsanalyse des Einsatzes der nationalen Datenbank zur Dosierung von Arzneimitteln bei Kindern empfiehlt, SwissPedDose auch nach Ende der zweiten Betriebsphase im 2025 weiterzuführen und deren Bekanntheit im ambulanten Bereich zu erhöhen [12].
Diese Empfehlung basiert auf der positiven Wahrnehmung von SwissPedDose durch die Nutzenden und involvierten Fachpersonen, dem generierten Mehrwert im Hinblick auf die möglichst optimale medikamentöse Behandlung von Kindern und auf der breiten Akzeptanz der Dosierungsempfehlungen unter Kinderärztinnen und -ärzten und Apothekerinnen und Apothekern.
romy.tilen[at]swisspeddose.ch
christoph.berger[at]kispi.uzh.ch
1 Therapeutic Products Act. 15 December 2000 ( Status as of 1 January 2019), The Federal Assembly of the Swiss Confederation: https://www.admin.ch/opc/en/classified-compilation/20002716/index.html.
2 Regulation (EC) No 1901/2006 on medicinal products for paediatric use. 2006, European Parliament and Council of the European Union: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/uri=CELEX:32006R1901&from=EN.
3 Wimmer S, Rascher W, Neubert A. How often do SmPCs Contain Contraindications and Special Warnings that are Specific for the Paediatric Population. Klin Padiatr, 2019. 231(4): p. 191–8.
4 Haniman A et al. Situationsanalyse der Zulassungsmassnahmen «pädiatrisches Prüfkonzept» und «wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten» bei Kindern. 2022, Interface Politikstudien Forschung Bratung AG: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/publikationen/evaluationsberichte/evalber-biomedizin-forschung.html.
5 Tilen R et al. Information in Swiss drug labels about use in children is limited and need standardisation. 2022: GSASA Kongress Luzern.
6 SAMW, Abgrenzung von Standardtherapie und experimenteller Therapie im Einzelfall (2014, adaptiert 2015).
7 Tilen R, et al. Development of the Swiss Database for dosing medicinal products in pediatrics. Eur J Pediatr, 2022. 181(3): p. 1221–31.
8 Gotta V, et al. In silico studies to evaluate dosing intervals associated with low risk of amikacin accumulation in preterm neonates. 2022: GSASA Kongress Luzern.
9 Ravix A, et al. Dosing optimization of amoxicillin in children treated for Lyme disease. 2022: GSASA Kongress Luzern.
10 Paioni P, et al. Gentamicin Population Pharmacokinetics in Pediatric Patients-A Prospective Study with Data Analysis Using the saemix Package in R. Pharmaceutics, 2021. 13(10): p. 1596.
11 Tilen R, et al. Pharmacogenetic Analysis of Voriconazole Treatment in Children. Pharmaceutics, 2022. 14(6): p. 1289.
12 Kägi W, et al. Situationsanalyse des Einsatzes der nationalen Datenbank zur Dosierung von Arzneimitteln bei Kindern «SwissPedDose». 2022, BSS Volkswirtschaftliche Beratung: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/publikationen/evaluationsberichte/evalber-biomedizin-forschung.html.