«Der Status Quo funktioniert nicht»
Auf den Punkt

«Der Status Quo funktioniert nicht»

News
Ausgabe
2023/16
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21758
Schweiz Ärzteztg. 2023;(16):6-7

Publiziert am 19.04.2023

Arbeitszeit Schluss. Aus. Die Zürcher Sektion des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (vsao) hat den Gesamtarbeitsvertrag mit dem Kanton auf Ende Jahr gekündigt. Grund sind die darin vorgesehenen 50 Wochenarbeitsstunden. Philipp Thüler, Leiter Politik und Kommunikation beim vsao Schweiz, über die Forderungen der neuen Ärztegeneration.
Philipp Thüler, der vsao Zürich hat den Gesamtarbeitsvertrag gekündigt. Die vorgesehenen 50 Wochenarbeitsstunden seien nicht zeitgemäss. Wieso wollen Assistenzärztinnen und -ärzte weniger arbeiten?
Als der Gesamtarbeitsvertrag vor 20 Jahren ausgehandelt wurde, waren die 50 Arbeitsstunden pro Woche eine Errungenschaft. Doch die Idee war schon damals, 42 Stunden für die Dienstleistung an Patientinnen und Patienten einzusetzen und die restliche Zeit für die Weiterbildung zu nutzen. In der Realität ist es so, dass Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung im Schnitt fast 56 Stunden pro Woche arbeiten, wie eine vsao-Umfrage gezeigt hat [1]. Für die Weiterbildung bleibt so oft nicht mehr genügend Platz. Das ist auf Dauer ein unhaltbarer Zustand.
«Nur» 42 statt 50 Stunden: Der vsao setzt sich für eine tiefere Wochenarbeitszeit für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung ein.
© Grandmaisonc / Dreamstime
Welche Alternativen gibt es aus Sicht des vsao?
Wir setzen uns für das Modell der 42-plus-4-Stunden-Woche ein. Das bedeutet 42 Stunden Dienstleistung an Patientinnen und Patienten und 4 Stunden strukturierte Weiterbildung pro Woche. Es ist wichtig, dass diese Stunden separat geplant und erfasst werden. Denn Assistenzärztinnen und -ärzte haben Anrecht auf ihre Weiterbildung. Wenn jedoch von Anfang an mit 50 Wochenarbeitsstunden geplant wird, bleibt die strukturierte Weiterbildung auf der Strecke.
Ausgerechnet in Zeiten des Fachkräftemangels die Arbeitszeit verringern – ist das überhaupt realistisch?
Ja. Wir sind überzeugt, dass das umsetzbar ist. Der vsao Tessin hat im vergangenen Jahr einen Gesamtarbeitsvertrag mit den kantonalen Spitälern ausgehandelt, der genau das vorsieht: Ab 2025 wird die 42-plus-4-Stunden-Woche umgesetzt. Und am Institut für Intensivmedizin des Universitätsspitals Zürich läuft zurzeit ein Pilotprojekt mit einer 42-plus-4-Stunden-Woche. Anscheinend funktioniert das gut und hat bereits zu mehr Bewerbungen geführt. Es braucht diese Veränderungen – gerade wegen des Fachkräftemangels. Die Spitäler müssen ihre Arbeitsbedingungen zeitgemässer gestalten, um neue Mitarbeitende zu gewinnen.
Und der beste Weg dorthin sind kantonal geregelte Gesamtarbeitsverträge?
Nicht nur. Die Vertragsverhandlungen müssen natürlich in den Kantonen stattfinden. Aber wir arbeiten auch auf nationaler Ebene daraufhin, dass eine Sensibilisierung stattfindet und die Probleme wahrgenommen werden. Grundsätzlich anerkennen alle, dass der Status Quo auf Dauer nicht funktioniert. Eine Verbesserung der Situation ist aber nicht in Sicht. Deshalb wollen wir noch in diesem Sommer einen runden Tisch mit den relevanten Akteuren aus der Ärzteschaft, den Spitälern, den Krankenkassen, den Kantonen und dem Bund organisieren.
Was erhoffen Sie sich von diesem Austausch?
Dass wir konkrete Lösungen diskutieren. Momentan sind die Verzweiflung und der Frust gerade unter den jungen Ärztinnen und Ärzten gross – dem Gesundheitswesen drohen empfindliche Qualitätseinbussen, wenn es uns nicht gelingt, Lösungen auf den Weg zu bringen.
Welche Massnahmen schlägt der vsao vor?
Neben der 42-plus-4-Stunden-Woche muss auch der administrative Aufwand reduziert werden. Wir publizieren demnächst unser Handbuch «Medizin statt Bürokratie», in dem wir Wege aufzeigen, wie sich die Bürokratie in Spitälern reduzieren lässt. Und für die Einführung der 42-plus-4-Stunden-Woche bieten wir eine Dienstplanberatung an. Es gibt durchaus Möglichkeiten, wie die Arbeitsbedingungen verbessert werden können.
Der vsao Zürich klagte über den fehlenden Austausch mit den kantonalen Kliniken. Werden die Gesprächspartner überhaupt offen sein für Ihre Vorschläge?
Unsere Ankündigung, einen runden Tisch zu organisieren, ist durchaus positiv aufgenommen worden. Prinzipiell bin ich überzeugt, dass alle Seiten an Lösungen interessiert sind. Auch in Zürich ist die Sektion weiterhin an Gesprächen um Neuverhandlungen interessiert und hofft, bis zum 1. Januar 2024 einen neuen Gesamtarbeitsvertrag aushandeln zu können.
Philipp Thüler
Leiter Abteilung Politik und Kommunikation, Zentralsekretariat des vsao