Flüssigbiopsie zur Behandlung von Urogenitalkrebs

Schwerpunkt
Ausgabe
2023/22
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21804
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(22):74-75

Publiziert am 31.05.2023

Patientenmanagement Die Verbesserung der Patientenergebnisse bei Urogenitalkrebs hängt massgeblich von einem guten Screening, der Früherkennung eines metastasierten Rezidivs und einer hochmodernen Verlaufskontrolle der Behandlungswirksamkeit ab. Die Flüssigbiopsie kann die klinische Behandlung von Prostatakrebs, Blasenkrebs und Nierenzellkarzinom verbessern.
Laut Weltgesundheitsorganisation waren in der Schweiz 2020 mehr als 2 400 Todesfälle und 10 000 Neudiagnosen auf Urogenitalkrebs zurückzuführen. Prostatakrebs, Blasenkrebs und Nierenzellkarzinom sind die drei Hauptentitäten bei Urogenitalkrebs, auf die mehr als 90% der Neuerkrankungen und Todesfälle zurückzuführen sind [1]. Screening ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen alle Arten von Krebs – Urogenitalkrebs ist dabei keine Ausnahme. Screenings zu priorisieren kann zu einer früheren Diagnose führen, letztendlich den Therapiebeginn beschleunigen und die Chancen auf eine vollständige Remission erhöhen. Derzeit variiert die Rezidivrate bei Urogenitalkrebs nach einer Operation oder Strahlentherapie zwischen 20-50% bei Prostata- [2–5] und Nierenkrebs [6, 7], kann aber bei Blasenkrebs [8, 9] je nach Grad der Erkrankung bis zu 70% betragen.

Urogenitalkrebs: Diagnose und Monitoring

Zwar sind diagnostische Bildgebungsverfahren wie CT oder MRT wichtige Methoden und können wichtige Informationen über Grösse, Lage und Ausbreitung von Tumoren liefern, allerding können sie möglicherweise nicht zwischen gutartigen und bösartigen Läsionen unterscheiden und erkennen unter Umständen keine Tumore von kleiner Grösse. Zudem haben klassische diagnostische Tests wie PSA-Tests für Prostatakrebs und Urinzytologie für Blasenkrebs eine begrenzte Sensitivität/Spezifität [10, 11]. Dies kann manchmal zu einer verzögerten Diagnose, zu inadäquaten Behandlungsentscheidungen und Versäumnissen einer frühzeitigen Intervention führen. Herkömmliche Biopsiemethoden wie die transrektale, ultraschallgesteuerte Biopsie bei Prostatakrebs oder die Zystoskopie bei Blasenkrebs sind äusserst invasive Behandlungsmethoden für den Patienten [12–14]. Die Invasivität von Gewebebiopsien beeinträchtigt in hohem Masse die Fähigkeit der Klinikärzte, die Wirksamkeit der Therapie zu überwachen und das Auftreten resistenter Mutationen zu erkennen. Wiederholte Blasen-, Nieren- oder Prostatabiopsien sind mit erheblichen Risiken für die Patienten verbunden und die Menge des entnommenen Materials ist naturgemäss durch die Tumorgrösse begrenzt. Bildgebende Verfahren stossen auf die gleichen Hürden, da Tumore erst ab einer bestimmten Grösse erkannt werden können.

Mehr Präzision, weniger Invasivität

Eine ideale Lösung wäre eine nicht-invasive Biopsiemethode in Kombination mit einer hochsensiblen Technologie, um die Diagnose und das Therapiemonitoring sowie die Erkennung von Rezidiven und Resistenzmutationen zu verbessern. In dieser Hinsicht könnte die Flüssigbiopsie die Methode der Wahl sein. Eine Flüssigbiopsie ist eine einfache und minimalinvasive Alternative zu chirurgischen Gewebebiopsien, bei der hauptsächlich eine Blut- oder Urinprobe verwendet wird. Einfacher gesagt können bei Krebs verschiedene Arten von Analyten in biologischen Flüssigkeiten gefunden werden, wie z. B. zirkulierende Tumorzellen, Metaboliten, Exosomen oder von Tumorzellen freigesetzte Nukleinsäuren [15]. Die Analyse der zellfreien DNA (cfDNA) und der zirkulierenden Tumor-DNA (ctDNA) ist besonders weit entwickelt, vor allem durch ultrasensitive, PCR-basierte Methoden oder Next-Generation-Sequencing (NGS), zumal die ctDNA nur einen kleinen Teil der gesamten cfDNA ausmacht. Neben der einfacheren wiederholten Entnahme von Proben bietet die Flüssigbiopsie auch einen erheblichen Vorteil bei der Erfassung der Mutationsheterogenität des Tumors, da die Analyse nicht auf einen kleinen Teil des Tumors beschränkt ist. So wurde beispielsweise die Analyse von ctDNA in Urinproben mit einer Urinzytologie-Analyse für die Blasenkrebsdiagnostik verglichen. Durch die Flüssigbiopsie in Kombination mit NGS wurden 80% der Fälle von hochgradigem Blasenkrebs nachgewiesen, bei der Urinzytologie hingegen nur 50%. Dieser Nutzen war bei niedriggradigem Blasenkrebs sogar noch grösser, da keiner dieser Fälle durch die Urinzytologie nachgewiesen wurde, aber 67% durch die Flüssigbiopsie [16]. Ebenso wurde der ctDNA-Gehalt positiv mit dem Rezidiv von Nierenzellkarzinomen in Verbindung gebracht, was den Nachweis von ctDNA als prognostischen Faktor erscheinen lässt [17, 18].
Zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) im Blut: fragmentierte DNA in der Blutbahn, die von Tumoren stammt und als Biomarker in der Krebsdiagnostik dient.
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Herausforderungen für die Flüssigbiopsie

Auch wenn die Flüssigbiopsie die Türen für eine genauere und patientenfreundlichere Diagnose, Therapieüberwachung und Rezidiverkennung von Urogenitalkrebs geöffnet hat, kann man diese technologischen Fortschritte nicht ganz vorbehaltslos betrachten. Die Analyse des Mutationsstatus der cfDNA kann kostspielig und langwierig sein, wenn Methoden mit geringem Durchsatz verwendet werden. Bisher galten digitale, PCR-basierte Assays als sensibelste Tests zum Nachweis von ctDNA-Molekülen. Die NGS-Methoden haben sich allerdings weiterentwickelt und bieten nun die gleiche oder eine höhere Empfindlichkeit und analysieren grössere genomische Bereiche. Eine weitere Herausforderung für NGS-basierte Flüssigbiopsie-Assays ist die Korrektur von Inter-Run Variation. Die meisten NGS-basierten Flüssigbiopsie-Technologien liefern eine relative Quantifizierung der ctDNA im Vergleich zur gesamten cfDNA, um die Häufigkeit der Mutantenallele zu ermitteln. Externe Faktoren können sich jedoch auf die Menge der cfDNA auswirken, was zu Verzerrungen beim Vergleich der Ergebnisse über verschiedene Zeitpunkte hinweg führt [19]. Bei NGS-basierten Lösungen ermöglicht die Zugabe von Spike-in-DNA in die Probe während der «Library Preparation» die absolute Quantifizierung der ctDNA-Moleküle für eine aussagekräftigere Verlaufskontrolle der Patienten.

Innovative Lösung für Gegenwart und Zukunft

Die Flüssigbiopsie bringt enorme Vorteile für das Patientenmanagement in der Onkologie. Ihre geringe Invasivität ermöglicht eine einfache Krankheitsverlaufskontrolle, um die Wirksamkeit einer (neo-)adjuvanten Therapie zu beurteilen, eine minimale Resterkrankung zu erkennen, das Auftreten von Resistenzmutationen zu erfassen und ein Rezidiv des Krebses zu signalisieren, meist Monate früher als mit klassischen bildgebenden Verfahren [20]. Hinzu kommen auch neue diagnostische Anwendungen, insbesondere für Krebserkrankungen des Urogenitaltrakts, von denen sowohl Ärzte als auch ihre Patienten profitieren.
Dr. Maxime Mazille
Application Specialist Oncology bei
Sysmex Suisse AG.
Dieser Beitrag wurde von Sysmex Suisse AG zur Verfügung gestellt und zeigt die Sicht des Unternehmens. Schweizerische Ärztezeitung und Swiss Medical Forum übernimmt für den Inhalt keine Verantwortung.
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