Ein Armband als Pflegehilfe

Ein Armband als Pflegehilfe

Hintergrund
Ausgabe
2023/22
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21850
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(22):18-20

Publiziert am 31.05.2023

Innovation Pflegekräfte messen nur ein paar Mal am Tag Vitalparameter von Erkrankten im Spital. Kritische Werte können deshalb unentdeckt bleiben. Jens Eckstein arbeitet mit seinem Team am Basler Unispital an einer Lösung: ein Armband, das permanent Patientendaten ans Spitalsystem sendet. Einblick in die Entwicklung einer völlig neuen digitalen Infrastruktur.
Bianca Hölz schaut das Kunststoff-Armband an ihrem Handgelenk an. Sie blickt auf das Dashboard am Bildschirm. Wieder zurück aufs Armband und erneut aufs Dashboard. Da. Endlich. Nach Minuten des Wartens, die sich zäh wie Gummi angefühlt haben dürften, erscheint ihr Herzfrequenz-Wert: 111. Er ist rot unterlegt. Zu hoch. Aber die Senior Projektleiterin der Abteilung Innovationsmanagement am Universitätsspital Basel (USB) lächelt erleichtert und entspannt sich. Der Sensor an ihrem Armband hat einen Wert gemessen. Der Algorithmus hat ihn als zuverlässig eingestuft. Das Dashboard hat ihn angezeigt. Die anwesenden Gäste schauen sich die Zahl fasziniert an.
Das USB hat zu einer Pressekonferenz eingeladen, um Einblick zu geben in den Entwicklungsstand einer neuen digitalen Infrastruktur, mit der Patientinnen und Patienten in naher Zukunft besser überwacht und betreut werden sollen. Zentraler Bestandteil dieser Strategie ist ein unscheinbares Armband, das mit einem Sensor ausgestattet ist: das Basler Band. Bisher ist das Team des Innovationsmanagements am Unispital Basel nach eigener Aussage noch auf der Suche nach dem richtigen Partner, mit dem sie das Band nach den klaren Vorstellungen des Spitals entwickeln können. Aber in Studien seien bereits jetzt Herzfrequenz, Herzrhythmus und Körpertemperatur erfolgreich monitorisiert worden [1]. Die Rückmeldungen der Patientinnen und Patienten und der Pflegenden seien positiv gewesen. In Zukunft könnten noch Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Bewegungsdaten und andere Vitalparameter dazu kommen.

Mut zur Datenlücke

Zurück zur Pressekonferenz: Warum ist die rot unterlegte Zahl nach kurzer Zeit schon wieder verschwunden? Weshalb sind gerade keine aktuellen Daten verfügbar und wieso dauert es aufs Neue einige Minuten, bis der nächste aktuelle Wert erscheint? Ganz einfach: weil darin geradezu der Wert der Anwendung liegt. Ja, es wäre besser, das Dashboard könnte durchgehend Messwerte anzeigen. Aber eine lückenhafte und dafür zuverlässige Anzeige ist für Ärztinnen und Ärzte nützlicher als die lückenlosen Messungen, die gängige Smartwatches und Fitnesstracker bieten. Gibt ein Fitnesstracker bei einer gesunden Person einen nur halbwegs korrekten Wert an, dann ist das nicht weiter schlimm. Zeigt das Dashboard aber bei einer hospitalisierten Person einen nicht ganz korrekten Wert an, könnte das gravierende Folgen haben. Auf Nummer sicher gehen, nur höchste Qualität akzeptieren, das heisst in diesem Fall auch: Mut zur Datenlücke.
Prof. Dr. med. Jens Eckstein, Internist, Kardiologe und Chief Medical Information Officer am USB leitet das Forschungsprojekt. Er lächelt. Sein Zustand erscheint bei dieser Pressekonferenz entspannt, aber was können die Anwesenden darüber tatsächlich wissen? Er trägt kein Basler Band. Jedenfalls kommentiert er: «Womöglich ist Bianca Hölz ein wenig aufgeregt und würde sich freuen, wenn mehr Werte angezeigt würden. Doch unser Anspruch ist: lieber gar keine Daten als solche, die nicht sicher valide sind und zu einer Fehleinschätzung des Behandlungsteams führen könnten.»
Ein kleines Armband kann eine grosse Hilfe sein.
© Austin Kehmeier / Unsplash

Von Innosuisse gefördertes Projekt

Aber wozu eigentlich diese automatisierte Datenerhebung? Die Idee aus Basel ist auch Teil des von Innosuisse geförderten Flagship Projekts «Smart Hospital: Integrated Framework, Tools and Solutions» (kurz: SHIFT) [2]. Ziel ist es, nichts weniger als das Spital der Zukunft zu kreieren. Mit neuen Organisationsformen und dem Einsatz digitaler Technologien sollen Spitäler smarter werden. Ein Beitrag aus Basel zu diesem Zukunftsprojekt: die Erforschung der Frage, wie «Wearables», also mit Sensoren ausgestatte Armbänder, im Spital sicher eingesetzt werden können, um Patientinnen und Patienten zu monitorisieren. «Ziel ist es, die Behandlung zu verbessern und die Arbeitsbedingungen des Behandlungsteams zu erleichtern», sagt Jens Eckstein. Denn der Status quo sei durchaus verbesserungswürdig: Die Vitalparameter bei Patientinnen und Patienten im Spital werden, so erklärt er, mindestens einmal am Tag, in der Regel dreimal, gemessen. «Wir verlassen uns also, bei stabilen Patienten, auf nur einen bis drei Werte pro Tag. Was dazwischen passiert, weiss keiner so genau.» Das heisst, Blutdruckschwankungen, Veränderungen der Sauerstoffsättigung oder einen Fieberschub bemerken die Teams möglicherweise nicht. «Wir würden im Spital vermutlich sehr viel mehr über den tatsächlichen Gesundheitszustand der Personen mitbekommen, wenn wir sie longitudinal überwachen würden», sagt der Mediziner. Sein Langzeitziel: erkrankte Personen auch zu Hause mithilfe des Wearables überwachen und die Daten Grundversorgenden zur Verfügung stellen. Aber so weit ist man noch nicht.
Wie weit man bisher ist: Laut Jens Eckstein konnte das Team bereits im Herbst 2022 zeigen, dass das Konzept grundsätzlich funktioniert. Der Sensor am Armband erhebt Daten und leitet diese direkt ans Spitalsystem weiter, damit sie ausgewertet und angezeigt werden können. Allein das ist eine Innovation. Das Besondere: Die Daten bleiben zu jeder Zeit im Spital. Eine technische Herausforderung, die nötig ist, um den Datenschutz der sensiblen Erhebungen zu gewährleisten. Denn eine externe Auswertung durch Drittanbieter würde den Standards nicht genügen.
Und so funktioniert das: Im Spital installierte das Team eine WiFi- und Bluetooth-fähige Netzwerkinfrastruktur eines technischen Partners. Sobald ein registriertes Wearable in der Nähe eines solchen Empfangsgeräts ist, sendet es die Daten. Für den Fall, dass eine Person sich für einen gewissen Zeitraum zu weit weg von einem Empfänger befindet, kann das Wearable die Daten zwischenspeichern. Die Erhebungen werden nach der Datenübertragung direkt im Spital gespeichert, und mit der hinterlegten Patienten-ID verknüpft. Die dafür benötigte Software wurde gemeinsam mit einem Zürcher Start-up entwickelt und mithilfe des Technikpartners im aktuellen Projekt auf den zukünftigen Standardgeräten des Spitals installiert. Im Rahmen des SHIFT-Projektes sollen diese Daten direkt mittels Algorithmen ausgewertet und für das Behandlungsteam visualisiert werden.
Ein Vorteil dieser Entwicklung ist laut Jens Eckstein, dass unterschiedliche Applikationen und Wearables mit dem technischen System verknüpft werden können. Das Spital ist also nicht von einem speziellen Anbieter abhängig. In ihrem Paper «Device- and Analytics-Agnostic Infrastructure for Continuous Inpatient Monitoring: A Technical Note» [3] hat das Team um Jens Eckstein einen detaillierten Einblick in den Weg gegeben, den erhobene Daten vom Patienten bis zur Visualisierung gehen.
Das Konzept stösst laut Jens Eckstein auch bei anderen Klinikerinnen und Klinikern auf Interesse. So zum Beispiel bei Dr. med. Max Maurer und Axel Winter von der Charité in Berlin. Sie erproben derzeit die Erhebung und Auswertung von Vitalparametern chirurgischer Patientinnen und Patienten, um die postoperative Überwachung zu verbessern. Dafür nutzen sie die Technologie aus Basel. Max Maurers Einschätzung zu dem Projekt von Jens Eckstein und Team: «Das Team arbeitet qualitativ sehr hochwertig.» Und Axel Winter ergänzt: «Der Datensatz, den wir hier in Berlin erheben können, ist sehr hoch. Höher als bei anderen Vitalparametermessungen.»

Noch mehr Forschung nötig

Doch obwohl die Innovation schon weit fortgeschritten ist: Bis Jens Eckstein und sein Team den erhobenen Daten wirklich vertrauen können, ist es noch ein langer Weg. «Worauf wir uns jetzt schon verlassen können, ist die Diagnose von Vorhofflimmern mithilfe von Wearables», sagt Jens Eckstein. Er hat bereits vor mehreren Jahren am Thema Diagnostik von Vorhofflimmern mittels Smartphones und Wearables geforscht [4]. Der Algorithmus kann, so erklärt er, nun auch mit dem Basler Band genutzt werden. Obwohl die Daten für Herzfrequenzvariabilität und Herzrhythmuskontrolle mittlerweile valide seien und die Ergebnisse zur Körpertemperatur vielversprechend, führt das Team um Jens Eckstein bei der Erhebung dieser Parameter jeweils zusätzliche manuelle Kontrollen durch und setzt noch nicht allein auf die automatisiert erhobenen Daten.
Erst wenn die Algorithmen genau genug arbeiten, kann das Team die nächste Stufe des Projekts beschreiten: Patientinnen und Patienten ausgestattet mit Wearables in ihrem Zuhause überwachen. Wenn das gelingt, können die Menschen früher wieder in ihre gewohnte Umgebung zurückkehren – zudem werden Gesundheitskosten gespart. «Im ambulanten Bereich ist die Datenerhebung aber noch anspruchsvoller und die Verantwortung ist natürlich wahnsinnig hoch», gibt Jens Eckstein zu bedenken. Wenn es so weit ist, soll die Datenübertragung ans Spital über die bereits existierende myUSB-App laufen: «Unsere App hat eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und die Nutzung erfolgt über eine Doppelauthentifizierung», erklärt er das Sicherheitskonzept.
«Wir versuchen, das bis Ende 2024 zu realisieren», sagt er. Und fügt hinzu: «Sportlich. Ich weiss.» Er lächelt. Und wirkt entspannt.
1 Eine Übersicht über alle Studien von Prof. Dr. med. Jens Eckstein gibt es hier: www.researchgate.net/profile/Jens-Eckstein
3 doi.org/10.1159/000509279