Hintergrund
Wie Kliniken ihre Leute im Haus halten
Fachkräftemangel Hohe Anforderungen und unregelmässige Arbeitszeiten sind in der Gesundheitsbranche normal. Deshalb müssen Arbeitgeber mit attraktiven Angeboten punkten. Dazu gilt es, die eigenen Stärken zu kennen und auch regionale Trümpfe auszuspielen. Vier Gesundheitseinrichtungen zeigen, wie das geht.
Der Arbeitsmarkt ist für Fachpersonen attraktiv. In verschiedenen Branchen können sich Expertinnen und Experten Jobs mit idealen Anstellungsbedingungen aussuchen. Dies gilt auch für Ärztinnen und Ärzte, um die Kliniken und Praxen weibeln. Es gilt für die Arbeitgebenden, zu den Mitarbeitenden Sorge zu tragen. Denn wenn das Verhältnis nicht stimmt, gibt es genug Alternativen.
Die Situation ist in manchen Unternehmen schwierig, auch weil der Nachwuchs dem Beruf den Rücken kehrt. Immer mehr junge Assistenzärztinnen und Assistenzärzte verlassen die Branche [1]. (Eine Herausforderung für Kliniken und Spitäler, aber auch eine Chance, mit Vorzügen zu punkten. Wie es gelingt, Ärzte und Ärztinnen längerfristig zu binden, wird auf verschiedene Weise gehandhabt. Je nach Region können spezifische Trümpfe ausgespielt werden. Wir haben bei mehreren Betrieben nachgefragt. Dabei hat sich gezeigt, wie vielschichtig und regional verschieden die Ansätze sind – und dass sich manche Kliniken offensichtlich auf dem richtigen Weg befinden.


© Mick De Paola / Unsplash
Überschaubare Grösse
So ist etwa die Fluktuation im Hôpital du Jura ziemlich stabil, wie Olivier Guerdat, Leiter Kommunikation und Marketing, auf Anfrage mitteilt. «Zunächst einmal hat das Krankenhaus mit insgesamt rund 1820 Mitarbeitenden, darunter fast 200 Ärztinnen und Ärzte, eine überschaubare Grösse. Die Arbeitsatmosphäre ist angenehm und vielleicht weniger unpersönlich als in grossen Einrichtungen.» Als besonderen Pluspunkt erachtet Guerdat die Lage der Klinik. Die Region zeichne sich durch einen sehr angenehmen Lebensraum aus, weit weg von Belästigungen wie Lärm und Staus, und es bestehe keine Wohnungsnot.
Diese grossen Stärken würden bei der Begrüssung von neuen Mitarbeitenden gerne hervorgehoben. «Wir leben zwar praktisch mitten in der Natur, haben aber trotzdem schnellen Zugriff auf Kultur und Sport. Da sind etwa die Nähe zu Basel mit seinen Museen und dem internationalen Flughafen sowie der gut erreichbare Bahnhof Belfort-Montbéliard mit einer TGV-Verbindung, die es ermöglicht, in knapp zweieinhalb Stunden nach Paris zu gelangen.»
Tiefe Lebenskosten
Ein gewichtiger Punkt im Arbeitsmarkt ist der Lohn. Hier müsse sich das Hôpital du Jura nicht verstecken, ist Guerdat überzeugt. Bei den Gehältern der Ärztinnen und Ärzte sei man im Vergleich zu Krankenhäusern derselben Grösse «relativ wettbewerbsfähig». Nicht allein das Gehalt, sondern auch die Lebenskosten würden zu Buche schlagen. Der Jura zählt gemäss mehreren Wirtschaftsstudien zu den Regionen, in denen das in den Haushalten verbleibende Geld nach Steuern, laufenden Ausgaben und Mieten zu den günstigsten in der Schweiz gehört.
«Dies liegt vor allem an den Mietpreisen und den Häusern, die zum Beispiel im Gegensatz zur Region Genfersee sehr erschwinglich sind. Ärztinnen und Ärzte, die eine Familie gründen wollen, finden hier ein sehr günstiges, angenehmes und vorteilhaftes Umfeld», betont Guerdat.
Weitere Gründe, weshalb die Fluktuation im Juraspital stabil gehalten werden kann, ist das Arbeitsumfeld. «Wir versuchen dies interessant zu gestalten. Zum Beispiel, indem wir auf die Bedürfnisse der Ärzte und Ärztinnen eingehen. So passen wir etwa deren Arbeitszeit und die Räumlichkeiten so weit wie möglich den entsprechenden Bedürfnissen an. Wir sind zudem bestrebt, die Medizinerinnen und Mediziner von administrativen Aufgaben zu entlasten.»
Administrativ entlasten
Administration ist einer der Punkte, dem auch im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) in Nottwil immer mehr Gewicht gegeben wird. So werden Arztdisponentinnen und Arztdisponenten angestellt, welche die Ärztinnen und Ärzte auf den Stationen administrativ entlasten und ihnen dadurch mehr Zeit mit den Patientinnen und Patienten ermöglichen, wie Marcel Unterasinger, Leiter HR, ausführt.
Auch die Präsenzzeit ist klar geregelt. «Wir bieten attraktive Anstellungsbedingungen mit einer 48-Stunden-Woche, Zeiterfassung mit Kompensation, wenigen Diensten im Verhältnis zu anderen Spitälern und einer Beteiligung an externen Weiterbildungskosten.» Man sei stets bestrebt, die Arbeits- und Anstellungsbedingungen zu verbessern. Als Beispiele nennt er die Reduktion der Dienstbelastungen, Gehaltserhöhungen oder aber geringere Hürden für Beförderungen. In diesem Zusammenhang stehen auch die Perspektiven für Einsteigende. So etwa mit Anstellungen als stellvertretender Oberarzt und stellvertretende Oberärztin mit klaren inhaltlichen und finanziellen Entwicklungsperspektiven. Diesbezüglich sei man in Nottwil in den vergangenen Monaten viel offener geworden, da man beobachte, dass auch in anderen Häusern Beförderungen zu Oberarzt oder Leitender Ärztin grosszügiger vergeben würden als früher.
Treue belohnen
Insofern seien die Ansprüche der Bewerbenden entsprechend höher geworden. Auch die Ausgewogenheit zwischen Beruf und Privatleben ist ein wichtiges Thema, beschreibt Unterasinger. «Wir ermöglichen sehr viel mehr Teilzeitarbeit, weil dies ein zunehmendes Bedürfnis ist. «Die Leute fordern diese viel aktiver ein als noch vor ein paar Jahren.» Teilzeitstellen seien bei Assistenzärztinnen von 60 bis 100 Prozent möglich. Bei 60 Prozent bietet die Klinik ein Job-Sharing an. Zudem bestehe die Möglichkeit für unbezahlte Urlaube und eine Pensumsreduktion während der Anstellungszeit. Auch die Treue wird belohnt. Als Dienstaltersgeschenk gibt es vier Wochen alle zehn Jahre und einen Tag alle fünf Jahre. Auch die Möglichkeit für ein Sabbatical besteht. Neu gibt es auch die Option eines Langzeitferienkontos. Nicht zuletzt unterstützt das SPZ Mitarbeitende bei der Wohnungssuche. Es steht ihnen eine hauseigene Kindertagesstätte zur Verfügung, die flexibel auf die Bedürfnisse von Mitarbeitenden im Gesundheitswesen eingehen kann.
Als zentral erachtet Unterasinger den spannenden und sinnstiftenden Arbeitsinhalt. Weitere Pluspunkte sind klare Entwicklungsperspektiven, gekoppelt an eine attraktive Gehaltsentwicklung mit guter Balance zwischen Arbeit und Privatleben. Zudem werde es sehr geschätzt, dass die Klinik neben der klinischen Tätigkeit auch im Bereich Forschung interessante Perspektiven anbieten kann.
Das SPZ punktet zudem gemäss Unterasinger bei Ärztinnen, wie bei allen anderen Mitarbeitenden, mit dem Gesamtangebot des Campus. «Bei uns können die Mitarbeitenden verschiedene sportliche Tätigkeiten ausüben. Neben dem Hallenbad, Fitnessraum und einer Aussensportanlage gibt es einen Seeanstoss sowie diverse Kurse.» Da im SPZ im Allgemeinen flache Hierarchien gepflegt würden, kenne man sich untereinander gut und pflege einen wertschätzenden Umgang miteinander.
Teilzeit auf allen Stufen
Die Spitäler Schaffhausen bieten die Möglichkeit der Teilzeitarbeit auf allen Kaderstufen. Gemäss dem Kommunikationsverantwortlichen Lukas Feurer ist das inzwischen ein «Must». Was im Unternehmen attraktiv für Ärzte ist, ist die individuelle Betreuung – etwa wenn es um die Erlangung eines Facharzt-Titels oder eines Schwerpunkt-Titels geht oder bei der Laufbahnplanung. Die Weiterbildungsmöglichkeiten intern und extern mit entsprechender finanzieller Unterstützung sind gemäss Feurer äusserst attraktiv: «Etwa wenn eine Ärztin oder ein Arzt für eine bestimmte Dauer in ein Partnerspital geht, um Zusatzkenntnisse zu erwerben, die wir als Weiterbildung intern nicht anbieten können. Kommt die Person anschliessend zurück, erfolgt der nächste Karriereschritt.»
Auch beim Lohn sei das Unternehmen konkurrenzfähig. Was die Möglichkeit der Teilzeitarbeit betrifft, erläutert Feurer: «Wir haben sowohl im oberärztlichen Bereich als auch im Bereich der Leitenden Ärztinnen und Ärzte einzelne Mitarbeitende mit Minimalpensen.» Dabei unterstreicht er: «Dies funktioniert aber nur, wenn die Person den Klinikbetrieb sehr gut kennt und die Facharztausbildung abgeschlossen ist.»
Für Ärztinnen und Ärzte mit Familie oder Familienplanung seien die Spitäler Schaffhausen ein idealer Arbeitgeber. So sei eine hauseigene Kita für die Rückkehr von Ärztinnen nach Mutterschaftsurlauben zentral. Zudem bestehe die Bereitschaft, bei Assistenzärztinnen die Assistenzzeit nach einem Mutterschaftsurlaub und nachfolgender Reduktion des Arbeitspensums zu verlängern.
Zulagen erhöht
Mit einem Massnahmenpaket für seine Mitarbeitenden will das Luzerner Kantonsspital (LUKS) dem Fachkräftemangel entschlossen begegnen. Gemäss einer Mitteilung von Anfang Juli setzt das LUKS mit der Initiative «Magnet LUKS Gruppe – Spitäler mit Anziehungskraft» bei der Suche nach Fachkräften auf eine Vorwärtsstrategie, bei der sich die Mitarbeitenden aktiv einbringen können. Mit ersten Erfolgen, wie das LUKS ausführt [2]. So sei im Rahmen des Jahresabschlusses eine zusätzliche Einmalzahlung von 0,4 Prozent des Jahreslohnes 2022 zur regulären Lohnerhöhung gesprochen worden.
Ausserdem werden die Zulagen für Spätschicht, Nachtschicht sowie für Dienste an Samstagen erhöht, wie der Mitteilung weiter zu entnehmen ist. Der Zusatzverdienst kann auch in Freizeit reinvestiert werden, indem Ferien gekauft werden. «Mit den beschlossenen Massnahmen steigern wir die Attraktivität der mit Familie und Freizeit schwieriger zu vereinbarenden, in einem Spitalbetrieb aber sehr wichtigen Spät-, Nacht- und Wochenenddienste deutlich», wird Michael Döring, CNO/Leiter Gruppenbereich Pflege und Soziales, in der Mitteilung zitiert. Dies entspreche einem grossen Wunsch der Mitarbeitenden, wie sich bei der Mitwirkung rund um die Magnet-Initiative gezeigt habe.
Von den beschlossenen Massnahmen erhofft sich das LUKS als attraktive Arbeitgeberin Fachkräfte im Beruf und im Unternehmen halten und neue hinzugewinnen zu können, wie Benno Fuchs, CEO und Vorsitzender der Geschäftsleitung, ergänzt: «Anspruch des LUKS ist es, im Rahmen des Machbaren laufend in attraktive Arbeitsbedingungen und damit in unsere Mitarbeitenden zu investieren – und dies trotz sehr schwierigen finanziellen Rahmenbedingungen.»
Die Stärken suchen
Die Beispiele zeigen, wie verschieden die Kliniken und Spitäler zugange gehen, um attraktiv für Ärzte und Ärztinnen zu sein. Dabei gilt es wohl, die eigenen Stärken zu suchen. Olivier Guerdat vom Hôpital du Jura bringt es auf den Punkt: «Die Erwartungen der Mitarbeitenden sind sehr unterschiedlich, auch bei Ärzten und Ärztinnen. Manche wollen ein gutes Gehalt und Zeitpläne, die ein Privatleben ermöglichen. Andere haben Spass daran, Projekte zu entwickeln und zusätzliche Schulungen am Arbeitsplatz zu absolvieren. Einige legen Wert darauf, in der Ausbildung tätig sein zu können.» Um attraktiv zu sein, müsse man flexibel sein und sich an die Bedürfnisse der Einrichtung und die Erwartungen der Ärztinnen und Ärzte anpassen.
Literatur
2 https://www.luks.ch/newsroom/luks-erhoeht-zulagen-fuer-spaet-nacht-und-samstagsdienste-deutlich
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