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Auf den Punkt
Wie verlässlich sind Studien?
Forschung Viele klinische Studien stecken voller Mängel, warnen Fachpersonen im Journal «Nature». Victoria Sarraf von der Swiss Clinical Trial Organisation erklärt, was eine seriöse Studie ausmacht – und woran sich praktizierende Ärztinnen und Ärzte halten sollten.
Zur Medizin gehört nicht nur die Behandlung von Patientinnen und Patienten, sondern auch die Suche nach besseren Therapien. In klinischen Studien prüfen Forschende neue Medikamente oder vergleichen die Wirksamkeit von verschiedenen Interventionen. Auf ihre Resultate ist die ärztliche Praxis angewiesen.
Doch nun schreckt ein Artikel im Wissenschaftsmagazin «Nature»[1] auf: Forschende warnen darin, dass in manchen Disziplinen mindestens ein Viertel aller klinischer Studien fehlerhaft, problematisch oder gefälscht sein könnten. John Carlisle etwa, ein Anästhesist beim englischen Gesundheitsdienst, fand in 44 Prozent von mehr als 150 randomisierten kontrollierten Versuchen zumindest einige fehlerhafte Daten – zum Beispiel falsche Kalkulationen oder Statistiken. Bei 26 Prozent waren die Probleme derart gravierend, dass Carlisle befand, man könne diesen Studien unmöglich trauen –wegen Inkompetenz oder gefälschter Daten.


© Sebastiangauert / Dreamstime
Ausmass weitgehend unklar
Das Problem, dass klinische Studien oft qualitativ unzureichend sind, sei weithin anerkannt, sagt Victoria Sarraf, Geschäftsführerin der Swiss Clinical Trial Organisation (SCTO) [2]. «Gerade darum gibt es Institutionen wie die SCTO, deren Auftrag es ist, qualitativ hochwertige akademische klinische Forschung zu fördern.» Die Warnung im «Nature»-Artikel vor falschen oder gar gefälschten Daten sei ernst zu nehmen, doch das Ausmass dieses Problems sei aktuell noch weitgehend unklar.
«Viele Faktoren machen eine seriöse klinische Studie aus», sagt Sarraf. Sie muss methodisch und statistisch richtig konzipiert sein, die sogenannten Good Clinical Practice Richtlinien (GCP) einhalten und von gut ausgebildetem Personal durchgeführt werden. Unabhängige Prüferinnen und Prüfer sollten die Daten kontrollieren, Datenänderungen rückverfolgbar sein. In der Schweiz und vielen anderen Ländern benötigen klinische Studien eine Bewilligung durch die Behörden. Sie müssen registriert sein und nach Abschluss ist die Publikation von Resultaten verlangt.
Anspruchsvolle Doppelverblindung
Besonders häufig sind laut Sarraf Schwierigkeiten bei der Rekrutierung. «Forschende überschätzen zum Beispiel die Machbarkeit ihrer Studie und finden nicht genügend Patientinnen und Patienten, die teilnehmen.» Auch beim Studiendesign lauern Gefahren. Um Verzerrungen zu vermeiden, sollten wenn möglich Studienteilnehmende und Prüfärztinnen und -ärzte im Unwissen darüber gelassen werden, welche Behandlung verabreicht wird – Wirkstoff oder Placebo. Diese Doppelverblindung ist oft nicht einfach.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt die Statistik. Das zeigt eine 2022 erschienene Studie [3], an der auch die Arbeitsgruppe «Research on Research» der SCTO beteiligt war. Die Studie weist nach, dass die Publikationen von Forschungsteams, die statistische Fachpersonen hinzuziehen, qualitativ deutlich besser sind als jene von Teams ohne Biostatistik-Expertise. Keine Hinweise gibt es laut Sarraf darauf, dass von der Industrie finanzierte Studien qualitativ schlechter wären.
Sich an Übersichtsarbeiten halten
Die Ursachen für unsaubere Studien sind divers: Ein Mangel an Ressourcen, unzureichende Ausbildung und der Publikationsdruck dürften eine Rolle spielen, sagt Sarraf. Gerade bezüglich Ausbildung habe sich aber in der Schweiz einiges getan. Einen Beitrag dazu leistet auch das Netzwerk der SCTO als grösster Anbieter von Ausbildungen und Trainingsmöglichkeiten rund um die klinische Forschung. Zudem unterstützt die SCTO Forschende unter anderem beim Daten- und Projektmanagement, bei Statistik und Monitoring.
Und wie können Ärztinnen und Ärzte eine seriöse von einer zweifelhaften Studie unterscheiden? Eine umfassende Prüfung verlange einiges an Expertise, sagt Sarraf. «Daher ist es besser, wenn medizinisches Fachpersonal sich auf systematische Übersichtsarbeiten stützt.» Für sie wird das verfügbare Wissen zu einem Thema gesammelt und kritisch bewertet. Unseriöse Studien werden dabei häufig nicht einbezogen – oder ihr Einfluss auf die Resultate wird explizit ausgewiesen.
Literatur
1 https://www.nature.com/articles/d41586-023-02299-w
3 https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0264819#ack
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