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Auf den Punkt

Das Leiden nach der Geburt

DOI: https://doi.org/10.4414/saez.2023.22139
Veröffentlichung: 06.09.2023
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(36):8-9

Adrian Ritter

Postpartale Depression Sie ist eine Gefahr für die Gesundheit von Eltern und Kind. Erstmals wurde jetzt in den USA eine Behandlung gegen postpartale Depression in Pillenform zugelassen. In der Schweiz liegt noch kein Antrag auf Zulassung vor.

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat dem Medikament Zurzuvae von Sage Therapeutics Anfang August die Zulassung erteilt [1]. Es ist das erste orale Medikament gegen postpartale Depression. Zurzuvae war in zwei randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Multizenterstudien geprüft worden. Die Patientinnen in den Gruppen, die den Wirkstoff erhielten, zeigten dabei gemäss FDA eine signifikant stärkere Verbesserung der Symptome im Vergleich zu denjenigen in den Placebo-Gruppen.

Das stösst auch in der Schweiz auf Interesse. «Es ist sehr wertvoll, dass nun ein orales Antidepressivum spezifisch für die postpartale Depression verfügbar ist», sagt Prof. Dr. med. Daniel Surbek, Chefarzt an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am Inselspital Bern und Präsident der Kommission Qualitätssicherung der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.

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Auch mit der neuen Behandlungsmöglichkeit für postpartale Depression bleibt die Herausforderung, die Krankheit überhaupt zu erkennen.

© Sergiu Vălenaș / Unsplash

Schneller wirksam

Zwischen 10 und 20% der Frauen [3] erleiden nach der Geburt eine postpartale Depression – umgangssprachlich bisweilen als postnatale oder Wochenbettdepression bezeichnet. Auch Väter können davon betroffen sein [4]. Davon zu unterscheiden ist der «Baby-Blues», der meist nur kurz dauert und als normale Reaktion auf hormonelle Veränderungen gilt. Die postpartale Depression hingegen ist eine ernste Erkrankung, welche die Gesundheit der Mutter beziehungsweise des Vaters, des Kindes und auch ihre Beziehung gefährdet. Die Depression beginnt meist nach der Geburt, kann aber auch bereits in späten Stadien der Schwangerschaft auftreten.

«Bei der Behandlung wurden bisher vor allem herkömmliche Antidepressiva wie selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer verwendet», sagt Surbek. Zudem stand ein anderer Wirkstoff von Sage Therapeutics seit 2019 in der Form einer intravenösen und damit stationären Behandlung zur Verfügung – allerdings nicht in der Schweiz.

Für Surbek liegen die Vorteile von Zurzuvae in Pillenform auf der Hand: «Einerseits ist damit auch eine ambulante Behandlung möglich. Zudem wirkt das neue Medikament im Vergleich zu herkömmlichen Antidepressiva deutlich schneller – bereits nach wenigen Tagen.» Die Wirkung soll dabei mindestens vier Wochen anhalten – das Medikament wird zwei Wochen lang täglich eingenommen.

Mit Psychotherapie kombinieren

Allerdings gilt es gewisse Einschränkungen zu beachten. So darf Zurzuvae nicht während der Schwangerschaft verschrieben werden. Stillen ist während der Behandlung nicht möglich. Und auch das neue Medikament wird wie herkömmliche Antidepressiva nicht bei allen Patientinnen wirksam sein, wie die Psychiaterin Katherine Wisner von der Northwestern University Feinberg School of Medicine in einem Kommentar in den JAMA Medical News zitiert wird [5]. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Zurzuvae seien bisher nicht in einem direkten Vergleich untersucht worden. Wisner rechnet bei beiden Medikamenten mit einem Ansprechen von rund 60% der Patientinnen.

Noch unklar ist bei Zurzuvae auch die langfristige Wirksamkeit. Zudem hat die neue Behandlungsoption Nebenwirkungen – zu den häufigsten gehören unter anderem Schläfrigkeit, Schwindel und Erkältungen. Für den Gynäkologen Daniel Surbek ist zudem klar: «Jede medikamentöse Behandlung der postpartalen Depression sollte immer einhergehen mit einer psychiatrisch-psychologischen Therapie.»

Zu oft ein stilles Leiden

Für Sage Therapeutics war die Zulassung von Zurzuvae durch die FDA nicht nur ein Freudentag. Man zeigte sich zugleich «sehr enttäuscht» [2], dass das Medikament nicht auch für die Behandlung von schweren Depressionen allgemein zugelassen wurde. Die FDA befand die Evidenzlage als zu dünn. Die nächsten Schritte von Sage diesbezüglich stehen noch aus.

Surbek hofft, dass Zurzuvae für die Behandlung der postpartalen Depression bald auch in der Schweiz zur Verfügung stehen wird. Gemäss Sage Therapeutics liegt der Schwerpunkt allerdings vorerst auf dem Markteintritt in den USA. Auch mit der neuen Behandlungsmöglichkeit bleibt die grosse Herausforderung, die Krankheit überhaupt zu erkennen. Noch zu oft wird sie gemäss dem Verein Postpartale Depression Schweiz [6] gar nicht behandelt.

Literatur

1 https://www.fda.gov/news-events/press-announcements/fda-approves-first-oral-treatment-postpartum-depression

2 https://investor.sagerx.com/news-releases/news-release-details/fda-approves-zurzuvaetm-zuranolone-first-and-only-oral-treatment

3 https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/html/10.1055/s-0042-112631#N10C30

4 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6659987/

5 https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2808852

6 https://postpartale-depression.ch

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