access_time veröffentlicht 25.10.2022

«Patienten wollen vor allem die Wahrheit erfahren»

Prof. Dr., MPH David Schwappach, Leiter des Forschungsschwerpunkts Patientensicherheit am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern

«Patienten wollen vor allem die Wahrheit erfahren»

25.10.2022

Nach einem Fehler offen zu kommunizieren, erhöht das Rechtsrisiko nicht – ganz im Gegenteil. Das sagt David Schwappach, Leiter des Forschungsschwerpunkts Patientensicherheit am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern.

 

Interview: Susanne Wenger

 

David Schwappach, stehen Ärztinnen und Ärzte vor Patientinnen und Patienten zu ihren Fehlern?

Es sollte so sein. Und ich glaube, es ist auch immer mehr so. Aber was stets unterschätzt wird: niemand macht gerne Fehler, und darüber zu sprechen, erst noch gegenüber der Person, die direkt betroffen ist, ist einfach unangenehm. Das ist nicht nur in der Medizin so, berührt hier aber rollenbildende Grundlagen. Ist es doch die Grundfeste ärztlicher Tätigkeit, Menschen helfen zu wollen und nicht zu schaden. Wenn es doch passiert, fühlt sich das einfach nur schrecklich an. Vermutlich ist es dann ein reflexiver Akt zu sagen: nein, ich wehre mich gegen die Versuchung, das unter den Teppich zu kehren.

Ärztinnen und Ärzte befürchten aber rechtliche Konsequenzen, wenn sie reden. 

Die Problematik, dass Ärztinnen und Ärzte aus Angst schweigen, jede Aussage könnte für sie oder ihre Institution juristische und haftungsrechtliche Konsequenzen haben, ist real. Aber ich glaube, das Risiko wird eher überschätzt. Das Paradoxe ist: Es gibt wirklich gute Studien, die zeigen: Je ehrlicher und offener man kommuniziert, desto geringer ist das Risiko, dass Patienten zum Anwalt oder einer anderen Stelle gehen.

Warum ist das so?

Fragt man Patientinnen und Patienten, was sind eure Erwartungen nach einem Zwischenfall, ist das Allerwichtigste, die Wahrheit zu erfahren. Das Gefühl, Menschen gegenüberzusitzen, die wissen, was passiert ist, aber nichts sagen, ist unerträglich. In einer Untersuchung testeten wir verschiedene Erklärungen, die Ärzte zu Fehlern abgeben. Es war eindrücklich. Patienten spüren es, wenn das Gegenüber sich irgendwie durchwurstelt, und lehnen das sehr stark ab. Das Zweitwichtigste für die Patienten ist, dass der Fehler nicht nochmals passiert. Viele Konflikte liessen sich verhindern, indem man offen und ehrlich redet.

Offener Kommunikation auszuweichen giesst Öl ins Feuer?

Genau. Es befeuert einen Kreislauf,  in dem sich meistens die Ärztin, der Arzt selber nicht wohl fühlt. Und die Patienten werden dann eskalieren, wenn sie die Kraft dazu haben. Viele haben sie aufgrund ihrer Situation nicht. Im Prinzip geht es also darum, dass Ärztinnen, Ärzte und Institutionen Verantwortung übernehmen.

Ist eine Entschuldigung ein Schuldeingeständnis?

Keine Haftpflichtversicherung verbietet Ärzten, Empathie auszudrücken und objektiv zu informieren. Was man aber nicht sagen sollte: Ich komme für den entstandenen Schaden auf. Der Begriff der Entschuldigung ist ein bisschen umstritten. In Deutschland ist heute klar, dass man sich entschuldigen darf, in der Schweiz sind die Juristen zurückhaltender. Ich glaube, am Schluss wirds nicht an den Worten «ich bitte um Entschuldigung» liegen.

Sie forschen zur Patienten- und zur Arztseite. Was hilft Ärztinnen und Ärzten, mit einem Fehler fertigzuwerden?

Am besten helfen Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen über das, was passiert ist. Das Gespräch mit dem Patienten wird ebenfalls als heilsam wahrgenommen. Mein wichtigster Rat ist, sich klar zu sein: die Fehler-Situation wird eintreten, das ist eine Frage der Statistik. Deshalb sollten Institutionen vorbereitet sein, mit einer Leitlinie, die die Abläufe bei einem Ereignis festlegt. Darin steht auch, wer mit dem Patienten spricht und wer dafür zuständig ist zu schauen, wie es der betroffenen Kollegin, dem betroffenen Kollegen geht. Ärztinnen und Ärzten selber empfehle ich, sich mal kurz zu überlegen: welche Worte würde ich in so einer Situation gegenüber dem Patienten wählen, und mit wem würde ich den Vorfall kollegial besprechen wollen. Eine gute Möglichkeit ist auch, die Kontaktdaten des Netzwerks ReMed bereitzuhalten. In der Situation selber ist man dann froh, die Notizen zur Hand zu haben.

Lesen Sie auch den Beitrag «Es tut mir leid» in der Schweizerischen Ärztezeitung.
 

Prof. Dr., MPH David Schwappach

Leiter des Forschungsschwerpunkts Patientensicherheit am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern

Bloggen Sie mit!

Wollen Sie auch einen Blogbeitrag publizieren? Dann schreiben Sie uns!

Mail an Redaktion

Verpassen Sie keinen Artikel!

close