Die Position der FMH

Die Position der FMH - «Choosing Wisely»: Weniger Leistungen für mehr Nutzen

FMH
Ausgabe
2017/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05276
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(05):144–145

Publiziert am 31.01.2017

Im Rahmen von «Choosing Wisely»-Kampagnen ver­öffentlichen medizinische Fachgesellschaften Top-5-Listen von unnötigen medizinischen Leistungen. Diese sollen eine partnerschaftliche, evidenzbasierte Entscheidungsfindung von Ärzten1 und Patienten an­regen und dürfen nicht zu Rationierungen führen. Bei der Ausarbeitung der Top-5-Listen sind Qualitätskriterien einzuhalten und die Wirksamkeit der Kampagne ist mit Begleitforschung zu überprüfen.

Die Ausgangslage

Die Choosing-Wisely-Kampagne wurde 2012 von der American Board of Internal Medicine (ABIM) Foun­dation mit dem Ziel lanciert, unnötige medizinische Leistungen zu vermeiden und die vorhandenen Ressourcen im Gesundheitswesen verantwortungsvoll zu nutzen. Medizinische Fachgesellschaften verschiedener Länder haben im Rahmen der Kampagne sogenannte Top-5-Listen veröffentlicht: Listen mit fünf häufig durchgeführten Leistungen, welche Ärzte und Patienten in Frage stellen sollten. In Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen werden Bevölkerung, ­Patienten und Ärzte für das Thema Überversorgung sensibilisiert und eine Diskussion zwischen Ärzten und Patienten angeregt. In der Schweiz veröffentlichte die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) unter dem Namen «Smarter Medicine» 2014 und 2016 je eine Top-5-Liste für den ambulanten und stationären Bereich.
Choosing Wisely ist ein pragmatischer Ansatz, der aus der Ärzteschaft selbst kommt und sich durch die klare Botschaft international schnell verbreitet hat.

Die Argumente

Ein möglicher Lösungsansatz für ein wichtiges Anliegen

Unnötige medizinische Leistungen sind im Interesse der Patientensicherheit zu vermindern. Choosing Wisely ist ein möglicher Ansatz dazu. Seine Stärken liegen in der Kommunikation zum Thema Überversorgung, gerade durch die Ausrichtung auf Patienten. Wie andere Qualitätsansätze hat Choosing Wisely aber auch Schwächen wie die kaum definierten methodischen Vorgaben. Um die vorhandenen Ressourcen für die Weiterentwicklung der Qualität effektiv zu nutzen, ist es wichtig, dass die Ziele einer konkreten Kampagne vorgängig festgelegt und dass Aufwand und Nutzen im Vergleich zu anderen Qualitätsmassnahmen gegeneinander abgewogen werden.

Definition von unnötigen Leistungen erfolgt durch die Fachgesellschaften

Die ärztlichen Fachgesellschaften definieren basierend auf der aktuellen Evidenz und den WZW-Kriterien unnötige Leistungen. Zentral für die Glaubwürdigkeit und Verbreitung von Choosing Wisely sind ein breit abgestützter Konsensprozess und die Verabschiedung der Top-5-Listen durch die betroffenen Ärzteorganisationen. Ebenfalls sind die Empfehlungen interdisziplinär abzustimmen.

Stärken der Arzt-Patienten-Beziehung

Eine gute Arzt-Patienten-Beziehung ist ein zentrales Anliegen von Choosing-Wisely-Kampagnen. Die Empfehlungen der Top-5-Listen dienen der Sensibilisierung und als Diskussionsgrundlage für eine partnerschaft­liche, evidenzbasierte Entscheidung von Arzt und ­Pa­tient (Shared Decision Making). Das gemeinsame Gespräch zwischen Patient und Arzt benötigt Zeit, ­welche entsprechend zu vergüten ist. Die Choosing-­Wisely-Empfehlungen gelten für den Regelfall und sind für ­jeden Einzelfall individuell zu prüfen. Ab­weichungen sind zu begründen, wobei der admini­strative Aufwand auf ein Minimum beschränkt bleiben muss. Einschränkungen in der Vergütung von Leistungen richten sich gegen den Geist von Choosing Wisely, da sie Shared Decision Making verunmög­lichen.

Einhalten von Qualitätskriterien

Damit Top-5-Listen glaubwürdig sind, müssen für deren Erstellung Qualitätskriterien eingehalten werden. Die Initiatoren von Choosing Wisely machen vier minimale Vorgaben:
1) Evidenzbasierung
2) Transparentes methodisches Vorgehen
3) Empfehlungen liegen im Bereich der eigenen Fachdisziplin
4) Empfehlungen beziehen sich auf häufig erbrachte Leistungen
Darüber hinaus ist das Vorgehen in drei Bereichen zu ­reflektieren und zu planen:
1) Konsensfindung
2) Generierung und Auswahl von Empfehlungen
3) Verbreitung und Implementation

Wirksamkeit von Choosing-Wisely-Kampagnen

Bisher kann die Wirksamkeit von Choosing-Wisely-Kampagnen aufgrund fehlender Studien nicht beurteilt werden. Die Einführung und Umsetzung von Choosing-Wisely-Kampagnen sowie deren Wirkung sind deshalb unbedingt im Rahmen von Evaluationen bzw. Begleitforschung zu untersuchen.

Unsere Forderungen

– Für eine bestmögliche Qualität und Patientensicherheit ist Überversorgung zu vermindern.
– Ärzteorganisationen beurteilen selbst, welcher Lösungs­ansatz zur Verminderung von Überversorgung für sie passt, sei es Choosing Wisely oder ein anderer.
– Die Top-5-Listen werden von den betroffenen Ärzteorganisationen erarbeitet und verabschiedet. Eine interdisziplinäre und interprofessionelle Weiterentwicklung ist anzustreben.
– Top-5-Listen halten vier minimale Voraussetzungen ein: 1) Evidenzbasierung, 2) transparentes Vorgehen, 3) Empfehlungen liegen in der eigenen Fachdisziplin und 4) betreffen häufig erbrachte Leistungen. Sie orientieren sich darüber hin­aus an Qualitätskriterien zur 1) Konsensfindung, 2) Generierung und Auswahl von Empfehlungen und 3) Verbreitung und Implementation.
– Top-5-Listen regen eine partnerschaftliche, evidenzbasierte Entscheidungsfindung von Ärzten und Patienten an und dienen nicht der Rationierung. Abweichungen von den Empfehlungen sind zu begründen. Der administrative Aufwand wird dabei auf ein Minimum beschränkt, und die benötigte Gesprächszeit ist angemessen zu vergüten.
– Die Einführung und Umsetzung von Choosing-Wisely-Kampagnen sowie deren Wirkung sind im Rahmen von Evalua­tionen bzw. Begleitforschung zu untersuchen.
Verabschiedet durch den FMH-Zentralvorstand, Bern, 15. Dezember 2016
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