Heureka – oder der Tarifeingriff an einer „Tinguely-Maschine“

FMH
Ausgabe
2017/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2017.05613
Schweiz Ärzteztg. 2017;98(17):511

Affiliations
Dr. med., Mitglied des FMH-Zentralvorstandes, Departementsverantwortlicher Ambulante Versorgung und Tarife

Publiziert am 26.04.2017

Was passiert, wenn man an einem Zahnrad der weltberühmten Plastik «Heureka» von Jean Tinguely dreht? Mindestens drei weitere Zahnrädchen drehen sich in die andere Richtung.
Zum zweiten Mal will der Bundesrat seine subsidiäre Kompetenz gemäss KVG Art. 43, Abs. 5bis wahrnehmen und in den hochkomplexen ambulanten Einzelleistungs­tarif TARMED eingreifen. Anders als beim ersten Eingriff 2014, bei dem es um eine reine Verschiebung von 200 Millionen innerhalb des TARMED-Volumens zugunsten der Hausarztmedizin und zu Lasten der Invasiven ging, liegt jetzt gemäss Bundesrat ein angeblich sachgerechtes Sparpaket von 700 Millionen auf dem Tisch.
Der geplante zweite Eingriff unterscheidet sich wesentlich vom ersten Eingriff, der eine kostenneutrale Umverteilung mittels linearer Absenkung von einzelnen technischen Leistungspositionen umfasste. Die jetzigen Massnahmen greifen auf verschiedenen Ebenen in den Tarif ein und zielen alle fast ausschliesslich in eine Richtung: Absenkung von Tarifpositionen!

Massnahmenkatalog

Es werden Minutagen von Leistungen abgesenkt, Handlungsleistungen in Zeitleistungen tarifiert, die Produktivität von einzelnen Sparten angehoben, die differenzierten quantitativen Dignitäten auf einen einzigen Dignitätsfaktor eingeebnet und technische Leistungen erneut um 10% abgesenkt. Nicht genug damit − auch neue, einschränkende Regeln und Limitationen zur Anwendung von Tarifpositionen werden definiert.

Tarifeingriff wirkt sich auf alle Fach­richtungen aus

Wir haben die Auswirkungen der Massnahmen auf 
die verschiedenen Fachgesellschaften analysiert und simuliert. Wir stellen dabei fest, dass praktisch alle Fachrichtungen von der Absenkung betroffen sind. Durch die Kumulation und Kombination der teils tarifübergreifenden Massnahmen erfahren einzelne Tarifpositionen massive und überproportionale Absenkungen: Diese widersprechen der vom Gesetz geforderten Sachgerechtigkeit und Betriebswirtschaftlichkeit. Für uns nicht unerwartet kommt es zu teils grotesken und ungewollten «Kollateralschäden» in Form von Absenkungen bei Fachrichtungen, welche bereits im jetzigen Tarif unterbewertet sind: Beispiele hierfür sind etwa die Kinderchirurgie, die Kindermedizin oder die Psych­iatrie. Auch innerhalb der gleichen Fachgesellschaft ­sehen wir enorme Verschiebungen: Je nach individuellem Leistungsprofil der einzelnen Fachärztin oder des ­einzelnen Facharztes verlieren die einen durch die Absenkungsmassnahmen sehr stark und andere deutlich weniger. Der Tarifeingriff hinterlässt insgesamt ein wahres Trümmerfeld der Tarifierung der ambulanten Medizin in der Schweiz.* Weitere Informationen erfahren Sie in dieser SÄZ-Ausgabe ab Seite 512.

Falsche Anreize zur falschen Zeit 
am falschen Ort

Entgegen des vom Bundesrat und von der Politik geforderten Grundsatzes «ambulant vor stationär» setzt dieser einseitige, nicht sachgerechte und willkürliche Tarifeingriff falsche Anreize für eine effiziente, wirtschaftliche und qualitativ hochstehende ambulante Medizin. Der Eingriff schwächt die periphere, ambulante und kostengünstige Versorgung der Bevölkerung und widerspricht damit der vom Bundesrat verabschiedeten Gesundheitsstrategie 2020.

Sachgerechte und betriebswirtschaftliche Gesamtrevision – der einzig richtige Weg!

Alle Tarifpartner inklusive der FMH sind mit dem ­Bundesrat darin einig, dass der veraltete TARMED-Tarif nicht mehr sachgerecht ist und deshalb revidiert werden muss. Weitere einseitige und willkürliche Eingriffe in den bestehenden Tarif verzerren diesen aber nur noch stärker. Eine sachgerechte und betriebswirtschaftliche Gesamtrevision des TARMED-Tarifs ist daher aus Sicht der FMH auch weiterhin der einzig richtige Weg, den wir auch weiterhin konsequent verfolgen werden.**