Defizite in der Ausbildung von Hausärztinnen und Hausärzten

Defizite in der Ausbildung von Hausärztinnen und Hausärzten

Tribüne
Ausgabe
2018/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.06407
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(11):356

Affiliations
Dr. med., Mitglied FMH, 1951, 33 Jahre freipraktizierend, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, früher Facharzt für Allgemeinmedizin

Publiziert am 14.03.2018

In der NZZ vom 1. Dezember 2017 erschien unter dem Titel «Junge Ärzte sollen gipsen und schienen lernen» [1] ein Artikel, dessen Inhalt älteren Hausärzten schon länger Sorge bereitet. Diskutiert wurde das Thema bisher kaum. Wahrscheinlich will man sich nicht mehr exponieren oder Kraft aufwenden um zu sagen, was doch nicht zu ändern ist. «Wer beim Skifahren verunfallt, wird auch bei leichteren Verletzungen immer häufiger ins Spital gebracht», steht da. «Jetzt fördern Fachgesellschaften und SUVA die Hausärzte in den Bergregionen.» Und weiter stellt die NZZ fest. «Seit kurzem müssen Ärztinnen und Ärzte im Rahmen ihrer Grundausbildung nämlich keine Kenntnisse im Bereich der Unfallchirurgie mehr erwerben.» Das gehört nicht mehr zur obligatorischen Grundausbildung. Ab kommendem Jahr will die SGTV (Schweizerische Gesellschaft für Traumatologie und Versicherungsmedizin) gemäss NZZ spezielle Kurse durchführen. Junge Ärzte sollen lernen zu gipsen, zu schienen und Röntgenbilder zu beurteilen. Unterstützt wird diese Offensive von der SUVA.

Vom Allgemeinpraktiker zum ­Allgemeininternisten

Seit der Fusion von SGAM und SGIM ist der Hausarzt wörtlich zu einem Allgemeininternisten geworden und eben nicht ein Allgemeinpraktiker geblieben. Es wird den angehenden Kolleginnen und Kollegen ein Aus­bildungs-Curriculum vorgeschrieben, das nicht die ­Situation in der Hausarztpraxis widerspiegelt. Die obli­ga­to­rische Ausbildung am Bewegungsapparat wurde schlicht wegradiert. Keine Chirurgie, keine Traumatologie, keine Orthopädie, keine Rheumatologie wird verlangt, aber mindestens drei Jahre Innere Medizin. Auch eine Zusatzausbildung in manueller Medizin wäre mehr als empfehlenswert.
Und wie sieht der Alltag in einer durchschnittlichen Hausarztpraxis aus: Mindestens 33–66 Prozent der Konsultationen (je nach Lage bis zu 80%) erfolgen wegen eines Leidens am Bewegungsapparat. Aufsteigend von der Lumbalgie zum Nackenschmerz über die schmerzhafte Schulter wieder absteigend über Hüfte/Becken via Knie zu OSG und Fuss, ob unfallbedingt, entzündlich oder ­degenerativ. Wie soll sich der junge Arzt oder die junge Ärztin in diesem Dschungel zurechtfinden, wenn er/sie den Kompass nicht mitbekommen hat? Dass die SUVA (die weiteren privaten UVG-Versicherer übrigens auch!) diese Insuffizienz unter den Leistungserbringern jetzt schon erkennt, bevor die junge Generation die alte Garde abgelöst hat, sollte nachdenklich stimmen. 

Fehlendes Wissen, grosse Unsicherheit

Ich begegne dieser Furcht Diagnosen zu stellen, Behandlungen einzuleiten ohne teuren apparativen Support bei vielen meiner Assistenten in der Praxis. Es herrscht eine grosse Unsicherheit. Die Beratung operatives versus konservatives Vorgehen wird an den Facharzt delegiert. Für eine abwartende-beobachtende Behandlung fehlt das Wissen. Dafür kennt man sich in exotischen Syndromen aus, denen man in einer 30-jährigen Praxiskarriere einmal bis gar nie begegnet. Die Zahl echter internistischer Knacknüsse liegt weit unter 10 Prozent.
Durch eine breitere Ausbildung am Bewegungsapparat könnten wir nicht nur den Standard halten, den wir ­unseren Patienten in den Allgemein(internen)-Praxen schuldig sind, sondern auch die Kosten für die Versicherungen senken (lange Arbeitsunfähigkeiten, teure Abklärungen, Spitalüberweisungen, unnötige operative Eingriffe, endlose Therapien). Der Novalgin-Dafalgan-Reflex (manchmal sogar noch mit PPI-Zusatz) genügt nicht zur effizienten Behandlung am Bewegungsapparat. Injek­tionstechniken sollten erlernt und durchgeführt, die Kenntnisse der medikamentösen Möglichkeiten erweitert werden und schliesslich soll eine korrekte, dem Berufsprofil angepasste Beurteilung der Arbeitsfähigkeit möglich sein.
Zur vielgepriesenen Nachwuchsförderung gehört auch, dass man den Nachwuchs darauf aufmerksam macht, was auf ihn zukommt. Zum grossen Glück haben unsere Ausbildungs-Experten wenigstens ein Jahr Hausarzt-Assistenz als Ausbildung anerkannt. Es sollten deren zwei zu Beginn des Curriculums sein, dann wissen die Jungen nämlich, was in ihrem Alltag auf sie zukommen wird und welche Ausbildungsstätten sie wählen sollen, um eine allen Qualitätskriterien standhaltende Medizin zu betreiben.
bernhardsorg[at]hotmail.com
Der Artikel ist unter dem Titel «Weshalb Hausärzte Patienten mit einem Bruch ins Spital schicken» online zugänglich: www.nzz.ch/schweiz/junge-aerzte-­sollen-gipsen-und-­schienen-lernen-ld.1333401