Internationale Lungenfachgesellschaften warnen vor E-Zigaretten

Tribüne
Ausgabe
2018/37
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2018.17039
Schweiz Ärzteztg. 2018;99(37):1235-1237

Affiliations
a Prof. Dr. med., Leitender Arzt Pneumologie/Allergologie, Ostschweizer Kinderspital, St. Gallen
b Prof. Dr. med., Leiter Abt. für Pneumologie und Intensivmedizin, Universitäts-Kinderklinik beider Basel

Publiziert am 12.09.2018

Einführung

Mit dem Aufkommen von neuen Tabakprodukten ist die Tabakepidemie deutlich komplexer geworden [1]. Im letzten Jahrzehnt haben sich zunehmend E-Zigaretten auf dem Tabakmarkt etabliert, die das Rauchen mit technischen Mitteln simulieren, ohne dabei Tabak zu verbrennen [2]. Dabei wird unterschieden zwischen E-Zigaretten, die eine Flüssigkeit mittels einer Heiz­spirale ver­dampfen, und solchen, die Tabak erhitzen («heat not burn devices»). Die E-Zigaretten wurden ­Anfang dieses Jahrhunderts mit dem Ziel entwickelt, Rauchern eine Alternative zum gesundheitsschäd­lichen Tabakrauchen zu geben bzw. als Ausstieghilfe für einen Rauchstopp lanciert. Der Erfolg bei den Rauchstopp-Bemühungen ist jedoch gering und kaum nachhaltig [3–5]. Heute werden E-Zigaretten durch die Tabakindustrie mit Slogans wie «Kein Feuer», «Keine Asche» und «Kein Zigarettengeruch» als «Eine bessere Alternative zur Zigarette» beworben.

Einstiegshilfe in die Nikotinabhängigkeit

Inzwischen hat sich die E-Zigarette unter jungen Menschen rasant verbreitet und ist auch auf dem Pausenhof angekommen. E-Zigaretten, von den Heranwachsenden auch E-Shishas genannt, werden von Kindern und Jugend­lichen nicht als Tabakprodukte, sondern als harmlose «Verdampfer» wahr­genommen, die im Aussehen kaum mehr Tabakzigaretten ähnlich sind (Abb. 1). Dank attraktiven Aromen und intensivem Marketing entwickelten sich E-Shishas zum Trend­produkt und sind auch bei Jugendlichen in der Schweiz sehr beliebt. Gemäss Stiftung Sucht Schweiz hat ein Drittel der 15–24-Jährigen bereits einmal zu einer ­E-Zigarette gegriffen [6]. Viele Jugendliche ver­wenden heute nicht nur ein einzelnes sondern verschiedene Tabakprodukte (dual users), dazu gehören nicht-rauchbare Tabakprodukte (Snus) und E-Zigaretten [7]. Vor wenigen Jahren ist in den USA eine neue E-Zigarette auf den Markt gebracht worden, die sich dank des trendigen Aussehens wie ein USB-Stick unter den amerikanischen Jugendlichen schnell verbreitet hat. Nun plant die amerikanische Firma mit ihrem Produkt «Juul» die Eroberung des europäischen Marktes [8]. In den USA «dampfen» bereits mehr Jugendliche E-Zigaretten als dass sie herkömmliche Tabakzigaretten rauchen [9].
Abbildung 1: Moderne E-Zigaretten.

Verkauf auch an Minderjährige möglich

Bis vor kurzem war in der Schweiz nur der Verkauf von nikotinfreien E-Zigaretten erlaubt. Nach einer Beschwerde einer Herstellerfirma hat das Bundesver­waltungsgericht das Verbot des Bundesamtes für ­Lebensmittel und Veterinärwesen (BLV) gekippt und nikotinhaltige Liquids für E-Zigaretten dürfen seit Mai dieses Jahres auch in der Schweiz verkauft werden. Aufgrund einer Gesetzeslücke dürfen in der Schweiz nikotinhaltige Liquids für E-Zigaretten sogar von Minder­jährigen erworben werden. Die E-Zigaretten fallen nämlich nicht unter das Tabakproduktegesetz, sondern in den Geltungsbereich des Lebensmittelgesetzes [6]. Damit werden Kinder ohne ihr Wissen sehr früh der Gefahr einer Nikotin­abhängigkeit ausgesetzt, von der sich später viele nicht mehr lösen können und der Tabakindustrie ihre Profite sichern [10]. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse zeigte, dass Jugendliche, die ­E-Zigaretten «dampfen», ein 3–4-mal erhöhtes Risiko haben, später mit dem Tabakrauchen anzufangen [11].

Schädlichkeit der E-Zigaretten

Gemäss aktuellem Wissensstand enthält das Aerosol von E-Zigaretten zwar etwas weniger giftige und krebserregende Schadstoffe als diese im herkömmlichen ­Tabakrauch zu finden sind, aber E-Zigaretten und ­E-Shishas können nicht als bedenkenlos bewer­tet werden [12]. Insbesondere fehlen bisher systematische toxiko­logische Daten zu allen Substanzen, die mittels eines mit Propylen­­glykol oder Glyzerin erzeugten Nebels inhaliert werden [2]. Eine kürzliche Untersuchung der Universität Bern konnte nachweisen, dass im Aerosol von erhitztem Tabak praktisch die gleichen giftigen und krebserregende Stoffe wie im herkömmlichen Tabakrauch nachgewiesen wurden, und man deswegen keineswegs sagen kann, dass dieser «Dampf» ungefährlich sei [13]. Da es bis heute Hunderte von verschiedenen E-Zigaretten-Produkte gibt und die Herstellung in keiner Weise standardisiert ist, variieren die Aerosol-Untersuchungen beträchtlich [14]. So kommt es auch auf die verwendete Energiequelle an, wie hoch die Konzentration von Formaldehyd, ein sehr potentes Karzinogen, im Aerosol vorhanden ist: Beim Erhitzen von Propylenglykol und Glycerin entsteht bei sehr hoher elektrischer Spannung Formaldehyd sogar in deutlich höherer Konzentration als beim Zigarettenrauchen [15]. Ebenso konnten zahlreiche Schwermetalle im Aerosol nachgewiesen werden, wobei als Quelle die Heizspiralen vermutet werden [16]. In Laborversuchen konnte nach­gewiesen werden, dass der Dampf von ­E-Zigaretten zu den gleichen Gen-Expressionen bei menschlichen Lungenzellen führt wie der Tabakrauch von herkömmlichen Zigaretten [17]. Die bisher vorhanden Studienresultate von unabhängigen Forschern berichten von verschiedensten Auswirkungen auf die Lunge wie zum Beispiel bronchiale Hyperreaktivität, verminderte Immunabwehr, vermehrten Nekrosen und Zytoxizität [18]. Da E-Zigaretten erst seit wenigen Jahren auf dem Markt verfügbar sind, gibt es noch keine Studien zu möglichen gesundheitlichen Langzeitfolgen. Aber das, was bisher durch unabhängige Forschung bekannt ist, reicht aus, um vor E-Zigaretten als gesundheits­schädliches Produkt zu warnen.

Lungenfachgesellschaften warnen vor ­E-Zigaretten

Angesichts dieser Faktenlage haben jetzt die Lungenfachärzte Alarm geschlagen. Das Forum of International Respiratory Societies (FIRS) hat ein Positionspapier zu E-Zigaretten und Jugendlichen veröffentlicht und die European Respiratory Society (ERS) hat ein Positions­papier zu den erhitzen Tabakprodukten («heat not burn devices») herausgegeben [19, 20]. In der ersten Stellungnahme wird in klaren Worten vor den gesundheitsschädlichen Folgen von E-Zigaretten gewarnt. Insbesondere wird darauf aufmerksam gemacht, dass Kinder und Jugendliche sehr anfällig für eine Nikotin­abhängigkeit sind, was die Hirnentwicklung relevant beeinträchtigt, auch wenn E-Zigaretten nicht häufig benützt würden [19]. Es wird zudem davor gewarnt, dass E-Zigaretten als Einstieg für das spätere Tabakrauchen zu betrachten sind, und diese Kinder und Jugendlichen ein höheres Risiko haben, lebenslang tabakabhängig zu werden. Die E-Zigaretten seien so gemacht, dass sie sehr attraktiv für Kinder und Jugendliche sind (und dementsprechend beworben und vermarktet werden), was zu einer neuen Generation von Nikotinabhängigen führen werde. Die Lungen­fachgesell­schaf­ten fordern deshalb, dass E-Zigaretten wie alle anderen Tabakprodukte streng geregelt werden. Dazu gehört ein Verkaufs­verbot an Minderjährige, ein Verbot von Aromastoffen, die Anwendung gleicher Regeln beim Passivrauchschutz wie bei den Tabakzigaretten sowie ein konsequentes Werbeverbot.
In der Stellungnahme zu den erhitzen Tabakprodukten («heat not burn devices» wie iQOS und GLO) meint die European Respiratory Society unmissverständlich, dass allen Studien, die bisher durch die Tabakindustrie gemacht oder bezahlt wurden, nicht vertraut werden kann [20]. Unabhängige Studien hätten gezeigt, dass auch im Aerosol dieser Produkte zahlreiche giftige und krebserregende Stoffe gefunden wurden, teilweise sogar in beinahe identischer Konzentration als in den herkömmlichen Tabakprodukten, und dass die von der Tabakindustrie gemachten Behauptungen, dass ihre Produkte 90–95% weniger Schadstoffe enthielten, ­einer unabhängigen Prüfung nicht standhält. Die Europäische Lungengesellschaft kann keine Produkte ­empfehlen, die die Lungen bzw. die Gesundheit der Menschen schädigt und meint abschliessend, dass auch erhitze Tabakprodukte gefährlich sind und abhängig machen. Ausserdem würden sie den Wunsch von Rauchern, mit dem Rauchen aufzuhören, unterlaufen und eine grosse Versuchung für Nichtraucher und Minderjährige darstellen. Zusätzlich stellen E-Zigaretten ein Risiko dar, die bisherigen Anstrengungen der Tabak­prävention zu unter­laufen und stehe damit im Konflikt mit der WHO-Tabak-Rahmenkonvention (www.who.int/fctc), namentlich mit der De-Normali­sierung des Tabakkonsums und dem Passiv­rauch­schutz. In der Schlussfolgerung betont die European Respiratory Society, dass sowohl erhitzte als auch herkömmliche Tabakprodukte sowie orale Formen wie Snus den Menschen vom Nikotin abhängig machen und gesundheitsgefährdend sind, und deshalb streng reguliert werden müssen.

Schlussfolgerung

Das Geschäft der Tabakindustrie ist der Verkauf von Nikotin, einer süchtig machenden Droge. Der Tabakindustrie ist es egal, ob junge Menschen via E-Zigaretten oder herkömmlichen Tabak­zigaretten nikotinabhängig werden – wichtig für sie ist, dass das Geschäft floriert. Wie sonst will man die zunehmenden Aktivi­täten der Zigarettenindustrie im E-Zigaretten­markt erklären? Wohl kaum damit, dass die Tabakkonzerne einen Rauch­stopp bei ihren Konsumenten fördern wollen. E-Zigaretten machen genauso nikotinabhängig wie Tabakzigaretten und unsere Kinder müssen davor konsequent geschützt werden. Um zu verhindern, dass die bisherigen Präventions­­bemühungen mit E-Zigaretten unterlaufen werden und das Rauchen wieder zu ­einem normalen Verhalten rehabilitiert wird, ist auch ein Engagement aller Ärzte notwendig. Es ist zu hoffen, dass unsere nationalen Politiker die Stellungnahme der internationalen und europäischen Lungenfach­gesellschaften mitberücksichtigen, wenn sie das neue Tabakproduktegesetz diskutieren und im Parlament verabschieden. Andernfalls müssen sie sich wohl den Vorwurf gefallen lassen, sich zum Handlanger der ­Tabakindustrie zu machen, denn die Tabakindustrie hat ihre Interessen bisher immer durch ubiquitäre Einflussnahme verteidigt, indem sie Public Health Massnahmen sehr gezielt bekämpft hat [21–24].
Prof. Dr. med. Jürg Barben
Leitender Arzt ­Pneumologie/Allergologie & CF-Zentrum
Ostschweizer Kinderspital
Claudiusstr. 6
CH-9006 St. Gallen
juerg.barben[at]kispisg.ch
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