Seit Hume und Darwin ist nicht mehr viel davon übriggeblieben. Carl von Linné hat 1735 alle bekannten Arten in seiner Taxonomie systematisiert und mit einem Abschnitt über Animalia Paradoxa ergänzt, der alle aus Legenden und Mythen bekannten Geschöpfe auflistete. Ähnlich den weissen Flecken auf Landkarten, die noch lange Zeit Reservate für Monstren blieben. Seither hat keine Generation so viel Wissen über unsere reale Umwelt angehäuft wie unsere. Da Fauna und Flora heute fast ausschliesslich einer Verwertungslogik unterliegen, hat sich die Sicht auf die Umwelt dramatisch verändert. Merkwürdigerweise sind wir nicht einfach zufrieden, in allen Primaten die nächsten Familienmitglieder oder in Foraminiferen die Schönheit der Natur zu schätzen. Geblieben ist die Erfahrung, dass die gefährlichsten Ungeheuer für Menschen seine Mitmenschen sind. Geblieben sind die Engel, Dämonen und Geister, der Weihnachtsmann und die Zahnfee, die Aliens, T-Rex und die Comic-Heroen. Vielleicht weil imaginäre Wesen, wozu auch die längst ausgestorbenen gehören, unsere Eigenschaften besser spiegeln als eine zigtausendfach vergrösserte Milbe oder ein Leuchtfisch der Tiefsee. Das Resultat ist auch für die Heilkunst eine gewisse Heimatlosigkeit, auch wenn niemand auf die Fortschritte der Diagnostik und Therapie verzichten möchte. Moderne Märchenerzähler haben die alten Bestiarien abgelöst. Transhumanisten, die unser Heil in der Verschmelzung mit Maschinen suchen, Astrophysiker, die Exoplaneten mit fantastischen Wesen bevölkern, SF-Schreiber, die intergalaktische Abenteuer schildern, und Fantasybuchautoren, die eine neue Zoologie magischer Kreaturen erschaffen. In diesen Chor stimmen die Lockrufe der Medizin ein. Sirenenklänge von einem schönen, gesunden, langlebigen, vielleicht einmal unsterblichen Körper. Im altägyptischen Totengericht wird das Herz des Verstorbenen gegen eine Feder aufgewogen. Wer durchfällt, den verschlingt ein Ungeheuer, halb Krokodil und Nilpferd mit dem Rumpf eines Löwen. Daran hat sich nichts geändert.