Nur in ganz nüchternen Momenten beschleicht mich das beunruhigende Gefühl, dass es vielleicht doch nicht ganz so einfach sein könnte. Gute Bücher und Geschichten sind spannend, ziehen hinein, treiben weiter, sind rund und finden ein Ende. Die Welt da draussen ist öfters nicht spannend, verlangt einen Effort von mir, überfordert mich mit ihrer Komplexität, hat viel zu viele Brüche, hört nicht auf. Im Buch handelt, schwitzt, leidet ein anderer, im Leben bin ich es. Was Wunder, dass ich mich lieber in die Geschichten flüchte. Eine Flucht ist es tatsächlich, ein Ausblenden der fordernden Wirklichkeit und ein Verdrängen dessen, wozu ich mich selber aufraffen müsste. Ist Lesen wirklich so gut? Was unterscheidet die Lesesucht von anderen Süchten, anderen Fluchten – ausser dass sie keine körperlichen Nebenwirkungen hat? Umso mehr hat sie geistige Nebenwirkungen, sie verleitet dazu, auch die Welt ausserhalb der Bücher geschichtenförmig sehen zu wollen: Es muss Menschen geben, mit denen ich mich identifizieren kann, Storys, in die ich hineingezogen werde. Gut erzählte Geschichten wie die von Stephen Hawking, von Michelle Obama, von Freddie Mercury, von Greta Thunberg. Clevere Journalisten wie Claas Relotius haben dies nur noch etwas weitergetrieben und auch dort pralle Geschichten daraus gemacht, wo erst mal nur das Leben war, weniger prall, weniger rund, weniger spannend.