Die Arztpraxis als AG – Entscheidungsgrundlagen

Tribüne
Ausgabe
2019/33
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.17998
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(33):1090-1092

Affiliations
Eidg. dipl. Finanzplanungs-Experte, Financial Planner CFP®, Dipl. Steuerberater NDS HF

Publiziert am 13.08.2019

Ärzte, die erwägen, die Organisationsform ihrer Arztpraxis zu ändern – von einer Einzelfirma oder einfachen Gesellschaft zu einer Aktiengesellschaft (AG) oder in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) –, nennen dafür hauptsächlich drei Gründe: An erster Stelle steht die Steuerersparnis, gleich darauf folgt die Haftungsfrage, danach die Begründung, dass mit einer AG oder GmbH die Nachfolgeregelung einfacher werde. Betrachten wir demnach diese Gründe etwas genauer.

Die Steuerersparnis

Als Erstes sollten die Systemunterschiede der Steuern betrachtet werden:

Einzelpraxis oder auch Gesellschafter ­einer ­Praxisgemeinschaft

Der Arzt versteuert sein Einkommen aus ärztlicher Tätigkeit am Ort der Erbringung, also am Standort der Praxis. Ebenso versteuert er das Geschäftskapital (Vermögenssteuer) am Standort der Praxis. Weitere Nebeneinkommen wie z.B. Vermögenserträge, Eigenmietwert etc. unterliegen am Wohnort der Einkommenssteuer, private Vermögenswerte wie z.B. ein Wertschriftenportefeuille und selbstbewohnte Immobilien unterliegen der Vermögenssteuer am Wohnort. Wenn Wohnort und Praxis nicht in der gleichen Gemeinde liegen oder sogar in anderen Kantonen, gibt es eine interkommunale bzw. eine interkantonale Steuerausscheidung.

AG oder GmbH

Der Arzt erwirtschaftet einen Lohn, er ist Angestellter, somit deklariert er seinen Lohn am Wohnort. Seine Praxis-AG/GmbH erwirtschaftet einen Gewinn, der am Standort der Praxis (Sitz) versteuert wird. Der ­Gewinn der AG/GmbH kann/soll als Dividende ausgeschüttet werden und wird zu einem reduzierten Satz als Einkommenssteuer am Wohnort des Arztes versteuert (mind. Beteiligung 10%). Die Beteiligung an der AG wird zum Ertragswert bewertet und als Vermögen am Wohnort versteuert (die Aktien oder Beteiligungen sind Wertschriften). Dies kann bei ständiger Erwirtschaftung von Gewinn in der AG/GmbH ein Mehr­faches des Nominalwertes (Gründungswert der Aktie) sein.

Vergleichsberechnung

Nehmen wir den Kanton Aargau, steuerlich im Mittelfeld für einen Vergleich.
Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit CHF 300 000, zu versteuern Tarif B, Gemeinde Aarau: Kanton CHF 27 000, Gemeinde CHF 23 000, Bund CHF 25 000. Total Steueraufkommen als Selbständig­erwerbender CHF 75 000.
Einkommen als Angestellter der eigenen AG, CHF 200 000, Dividendenausschüttung CHF 85 000 (Dividendenentlastung 40%), zu versteuern Tarif B, Gemein­de Aarau: Kanton CHF 20 800, Gemeinde CHF 18 000, Bund CHF 23 000. Total CHF 61 800.
Gewinn der AG/GmbH CHF 100 000, Steuern Kanton Aargau CHF 7900, Bund CHF 7200. Total CHF 15 100.
CHF 61 800 und CHF 15 100 ergeben ein totales Steueraufkommen als Inhaber der Praxis-AG von CHF 76 900, also in diesem Fall nicht wirklich eine Steuerersparnis. Nicht berücksichtigt ist die Vermögenssteuer, die je nach Gewinn der AG und der nachfolgenden Ertragswertermittlung der Steuerverwaltung den steuerlichen Vermögenswert der AG um ein Mehrfaches ansteigen lässt.
Ausgelassen haben wir zudem die Verrechnungssteuer von 35%, eine allfällige Kapitalsteuer der AG und das Äufnen der gesetzlichen Reserve.
Der einzige wirkliche Spareffekt liegt bei der AHV. Da rund CHF 100 000 weniger als Erwerbseinkommen dekla­riert werden, spart der Arzt rund CHF 10 000 an AHV-Prämien.
Wesentliche Systemunterschiede: graphische Darstellung Einkommenssteuer.
Dem gegenüber steht erhöhter treuhänderischer Aufwand, es braucht einen Geschäftsbericht, zusätzliche Steuererklärung für die AG und eine sorgfältige Abwicklung der Deklaration zur Verrechnungssteuer. Die Verrechnungssteuer kann überdies nicht bezogen werden, sondern wird mit zeitlichem Verzug den Steuern im Folgejahr angerechnet.
Auch die Umstrukturierung selbst von der Einzelfirma zur juristischen Person braucht einen enormen administrativen Aufwand, von der ZSR-Nummer bis zum Telefonabonnement muss alles geändert werden.
Oft werden Einkäufe in die Pensionskasse sowie ein hoher Sparlohn als versichertes Einkommen bei der Pensionskasse der Selbständigerwerbenden genutzt, um die durch das Studium verpassten Vorsorgebeiträge in die Pensionskasse nachzuholen. Als Lohnempfänger der eigenen AG wird diese Möglichkeit stark reduziert.
Einkäufe von Beitragsjahren in die Pensionskasse bei Selbständigerwerbenden werden zu 50% von den AHV- Beiträgen befreit, bei Lohnempfängern gilt diese Regel nicht.

Praxis-AG mit zwei oder mehr Ärzten

In unserem Beispiel beschliessen zwei Berufskollegen, eine Praxis-AG zu gründen, beide je zu 50%. Ebenfalls beschliessen sie einen Grundlohn von ⅔ und als Dividendenausschüttung ⅓ des zu erwartenden Gewinnes von CHF 600 000. Beide arbeiten das gleiche Pensum, der eine, Aktionär A, erwirtschaftet CHF 350 000, der andere, Aktionär B, CHF 250 000. Nun zahlen sie sich einen Lohn von je CHF 200 000 aus, der Rest wird als Gewinn in Form einer Dividende ausgeschüttet. Da beide je 50% halten, wird auch der Gewinn symmetrisch verteilt, je CHF 100 000. Aktionär A wird hiermit nicht zufrieden sein, denn er hat gegenüber Aktionär B CHF 100 000 mehr erwirtschaftet, erhält jedoch nur CHF 50 000, die anderen CHF 50 000 schenkt er Aktionär B, weil dieser von Gesetzes wegen am Gewinn zu 50% beteiligt ist.
Gegenüber den meisten KMU produzieren/erwirtschaften die Ärzte durch ihre Tätigkeit den Umsatz selber, deshalb wird eine gerechte und genaue Aufteilung des Gewinnes nur in seltenen Fällen erreicht. Bei einer klassischen Praxisgemeinschaft (einfache Gesellschaft) erhält jeder Gesellschafter den Ertrag, den er auch selber erwirtschaftet und verantwortet.

Wo eine AG oder GmbH Sinn macht

Nun stellt sich berechtigterweise die Frage, wo bzw. in welcher Konstellation denn eine AG oder GmbH Sinn macht. Über alle Kantone und deren steuerliche Unterschiede betrachtet gibt es kein Patentrezept. Je nach persönlicher Situation und Gewinn der Praxis kann eine Umstrukturierung bereits ab einem Gewinn von CHF 300 000 attraktiv sein, anderseits kann bei anderer persönlicher Situation und anderem Kanton eine Umstrukturierung erst ab CHF 600 000 Sinn machen. In jedem Fall sollte eine individuelle Berechnung unter Einbezug der bestehenden Pensionskassenlösung und des jeweiligen Kantons, in welchem sich der Standort der Praxis befindet, durchgeführt werden.
Eher Sinn macht eine Umstrukturierung von der Einzelpraxis in eine AG oder GmbH, wenn sich der Wohnort in einem steuergünstigen Kanton und die Praxis in einem steuerdurchschnittlichen Kanton befindet, klassisches Beispiel: Praxis im Kanton Zürich, Wohnort im Kanton Schwyz. Aber auch hier gilt: erst mit allen Konsequenzen und langfristiger Betrachtung durch einen fachlich versierten Berater berechnen lassen.

Wachstum und Expansion

Vermehrt können wir beobachten, dass sich Gruppenpraxen mit mehreren Leistungsanbietern (Physio, Ernährungsberatung etc.) bilden, um den Patienten die medizinischen Leistungen möglichst aus einer Hand anbieten zu können. Sofern diese ambulanten Zentren von einigen Ärzten gegründet werden und diese dann weitere Ärzte und Therapeuten als Leistungserbringer anstellen, wird die Möglichkeit einer ungerechten Aufteilung des Gewinnes entschärft. Da nicht jeder Leistungserbringer Aktionär und Mitinhaber ist, wird dere­n erwirtschafteter Gewinn unter den Aktionären gemäss ihrem jeweiligen Anteil verteilt, es erfolgt ein Ausgleich der individuellen Gewinnerwirtschaftung.

Die Haftungsfrage

Eine juristische Person haftet nur mit dem Gesellschaftsvermögen, das ist richtig. Aber welches sind denn die wirklichen Risiken? Nur selten fällt eine Arztpraxis in Konkurs, es ist die Branche mit dem kleinsten Konkursrisiko. Aber das wirkliche Risiko liegt bei einem Kunstfehler, weshalb die Ärzte eine «Berufshaftpflicht» abschliessen müssen, damit sie überhaupt die kantonale Zulassung bekommen. Die Berufshaftpflicht ist immer personenbezogen, egal ob ein Arzt angestellt in eigener AG/GmbH oder als selbständig­erwerbender Arzt tätig ist.

Die Nachfolgeregelung

Ob nun ein nachfolgender Arzt eine bestehende AG bevor­zugt oder auch nicht, ist in den meisten Fällen nicht auf betriebswirtschaftlicher Motivation begründet.
Es ist mehr die Idee des nachfolgesuchenden Arztes, dass eine Praxis-AG attraktiver und moderner scheint. Und anderseits auch die Steuerersparnis beim Verkauf, namentlich der «steuerfreie Kapitalgewinn».
Der steuerfreie Kapitalgewinn ist der Wert bei einem Verkauf von Aktienanteilen, der den Buchwert (Aktiven in der Bilanz) übersteigt, z.B. ein Ultraschallgerät, das auf dem Markt noch einen realen und realisierbaren Verkaufswert für einige Tausend Franken wert ist, aber in der Buchhaltung zum Wert null geführt wird, weil vollständig abgeschrieben. Oder der Goodwill (immaterieller Wert), der sich unter anderem aus dem bestehenden Patientengut ergibt.
Wenn wir also davon ausgehen, dass die AG ein Stammkapital von CHF 100 000 aufweist, dass auf null abgeschriebene Werte noch einen realen Wert von CHF 10 000 haben und ein Goodwill von CHF 10 000 besteht, dann reden wir hier von einem Kaufpreis der Aktien von CHF 120 000. Diese CHF 20 000 bedeuten den «steuerfreien Kapitalgewinn».
Nun könnte die Idee entstehen, Gewinne über die Jahre hinweg nicht als Dividenden zur Auszahlung zu bringen und bei Verkauf als steuerfeien Kapitalgewinn zu beziehen; das wäre dann eine Steuerumgehung und kommt schmerzhaft teuer zu stehen. Es gibt da einige interessante Ideen und Konstellationen, die jedoch auch die Steuerverwaltung alle ausnahmslos sehr gut kennt. Auch zu beachten ist die Sperrfrist bei Verkauf von Aktien. Um einen steuerfreien Kapitalgewinn realisieren zu können, müssen die Aktien mindestens 5 Jahre gehalten werden.
Die Nachfolgeregelung bei der Einzelfirma nennt sich schlicht und einfach Liquidation, ob sie nun verkauft oder geschlossen wird. Im Unterschied zum steuerfreien Kapitalgewinn gewährt hier der Gesetzgeber die sogenannte «privilegierte Liquidationssteuer».
Einziger Wermutstropfen ist hier die AHV, die auf den ganzen «privilegierten Liquidationsbetrag» ihren Beitrag erhebt.

Fazit

Es bedingt eine sorgfältige Analyse der Situation und eine ebenso sorgfältige Planung mit Einbezug der Vorsorgeplanung bei einem versierten Berater, der die Branche kennt.
Jean-Pierre Ceccon
FMH Services (Treuhand)
Ceccon Consulting
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