Zum Rücktritt von Erhard Taverna aus der SÄZ-Redaktion per Ende Jahr

Verdichtungskünstler mit immensem Spektrum

Zu guter Letzt
Ausgabe
2019/50
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2019.18440
Schweiz Ärzteztg. 2019;100(50):1722

Affiliations
Dr. med. et lic. phil., ehemaliger Chefredaktor der SÄZ

Publiziert am 10.12.2019

«Die SÄZ ohne Dich – das geht eigentlich nich(t).» Mit dieser Einschätzung, die ich als ehrenvoll empfand, verabschiedete mich «mein» Team in der SÄZ im Juni dieses Jahres als Chefredaktor. Dass es auch ohne mich gehen würde, war natürlich allen klar, und der Beweis dafür ist längst erbracht. Als Ausdruck der Wertschätzung freute mich die Formulierung trotzdem.
Noch besser passt sie meines Erachtens auf meinen Redaktionskollegen Erhard Taverna. Er hat sich dazu entschlossen, per Ende Jahr aus der Redaktion der Schweizerischen Ärztezeitung zurückzutreten, der er während über zwei Jahrzehnten angehörte. Der Name Erhard Taverna ist für mich untrennbar mit der SÄZ verbunden, seit ich das «Gelbe Heft» regelmässig in die Hand nehme. Als zwar spätberufener, aber doch einigermassen junger Arzt fand ich durch seine Artikel eine Art geistiger Heimat in der SÄZ, lange bevor ich beruflich selbst für das offizielle Organ der FMH tätig wurde. Erhard sprach in seinen Beiträgen primär meine geisteswissenschaftliche Seite an. Weil mich seine Texte in ihren Bann zogen und ich die SÄZ ihretwegen regelmässig aufschlug, bekam ich zunehmend auch standespolitische Diskussionen mit.
Auch wenn ich dies bisher nie bewusst reflektiert habe: Die durch Erhard Tavernas Artikel katalysierte Verbindung zur SÄZ dürfte nicht unwesentlich zu meinem Entschluss beigetragen haben, mich 2005 auf die ausgeschriebene Stelle des Chefredaktors zu bewerben.Die auf der Erfahrung der persönlichen Lektüre basierende Perspektive, kein trockenes Amtsblatt zu leiten, sondern eine Zeitschrift, in der thematisch und journalistisch vieles möglich war, reizte mich. Erhard war auch der erste externe SÄZ-Mitarbeiter, der mich nach meiner Ernennung anrief und mir gratulierte. Im ­Verlauf unserer gemeinsamen Jahre bei der SÄZ habe ich ihn nicht nur als feinfühligen und grossherzigen, intellektuell brillanten und äus­serst belesenen Kollegen kennen- und schätzen gelernt, sondern auch als Freund.
Zu Beginn meiner Tätigkeit waren Erhard und ich die einzigen «schreibenden Redaktoren» der SÄZ. Dadurch wurde mir sein Talent, innert kürzester Zeit Beiträge zu verfassen, in eindrücklicher Weise vor Augen geführt. Zeitknappheit war für ihn nie ein Faktor. Ich führe dies darauf zurück, dass sein Interessenspek­trum keine Grenze kennt – zumindest konnte ich diese bis heute nicht ausloten. Die Themen fliegen ihm zu, er muss sich nie einen Artikel «aus den Fingern saugen».
Am beeindruckendsten aber war und ist für mich die Dichte seiner Texte. Müsste ich mich auf ein zentrales Merkmal der Artikel von Erhard Taverna festlegen, wäre es dieses. Erhards Texte waren und sind Mono­lithen, in ihrer Urform frei von Absätzen und vollgepackt mit Faktenwissen, intelligenten und witzigen ­Reflexionen und Assoziationen. Weil er sprachlich eine feine Klinge führt, nicht zu komplizierten Verschachtelungen neigt, kommen sie trotzdem leichtfüssig ­daher, wirken nie schwer und schon gar nicht schwer­fällig. Erhard Taverna beherrscht die Kunst des verdichteten Schreibens wie kaum ein Zweiter. Für mich ist er geradezu ein Verdichtungskünstler, der auf einerA4-Seite die Essenz selbst aus komplexesten Themen herausdestilliert. Nicht zufälligerweise nannte er den von ihm lange vor «meiner» Zeit ins Leben gerufenen Kulturteil der SÄZ «Distillerie».
Eine SÄZ ohne Erhard Taverna? Wohl nicht nur für mich unvorstellbar. Doch obwohl es eines Tages so weit sein wird, sehen die Perspektiven zurzeit noch nicht so düster aus. Erhard Taverna wird sich zwar als Redaktionsmitglied von der SÄZ verabschieden. Wie ich aus sicherer Quelle weiss, werden sich die Leserinnen und Leser aber weiterhin auf Artikel freuen können, die er als freier Autor verfassen wird.
Zwar nicht mehr in offizieller Funktion, aber als langjähriger Weggefährte und Leser seiner Artikel, danke ich Erhard Taverna herzlich für seine Arbeit. Alles Gute, lieber Erhard – auf ein baldiges Wiedersehen in der SÄZ!
b.kesseli[at]hispeed.ch