Corona-Krise

Stärkt die Pandemie den politischen Willen zur Versorgungssicherheit?

FMH
Ausgabe
2020/2122
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.18952
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(2122):667-668

Affiliations
Verantwortlicher Public Affairs

Publiziert am 20.05.2020

Verknappung von Impfstoffen und Arzneimitteln oder Unterbrüchen in der Lieferkette sind über die letzten Jahre in der Schweiz und in Europa zunehmend zu einer ernst zu nehmenden Herausforderung geworden. Arzneimittel, welche nicht oder vorübergehend nicht erhältlich sind, sind typischerweise Generika oder Originalpräparate, deren Patentschutz abgelaufen ist. Engpässe in der Medikamentenversorgung können die Möglichkeiten des Arztes zur adäquaten Therapierung des Patienten erheblich einschränken. Es ist im Interesse der guten Gesundheitsversorgung des Landes und der Patientinnen und Patienten, Versorgungsunterbrüche und Verknappungen zu vermeiden.
In Zusammenhang mit der aktuellen Pandemie haben Mangelerscheinungen eher noch zugenommen. So ist zu beobachten, dass es zu einer Steigerung der Nachfrage nach Pneumokokken-Impfungen gekommen ist und deshalb der Impfstoff für jene Menschen knapp wurde, denen eine solche Impfung ohnehin empfohlen wird: Menschen ab 65 sowie chronischen Asthmatikern und Menschen, welche an der chronisch obs­truktiven Lungenentzündung (COPD) leiden.
Dass Impfstoffe nicht in genügender Menge verfügbar sind oder nach wenigen Wochen nach der Ankündigung einer Impfkampagne nicht mehr erhältlich sind, gehört leider mittlerweile zum Alltag. Diese Symptome einer verletzlichen Versorgung mit Impfstoffen waren 2018 bei der Ankündigung der Impfkampagne gegen Masern, Mumps und Röteln oder auch 2019 bei der Impfempfehlung gegen Zecken festzustellen. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung dokumentiert die Versorgungsstörungen bei Impfstoffen und Arzneimitteln mit Übersichtslisten, welche regelmässig aktualisiert werden. Aufgelistet werden auf einem halben Dutzend Seiten jene Versorgungsengpässe im Heilmittelsektor, welche gemäss Verordnung über die Meldestelle für lebens­wichtige Humanarzneimittel gemeldet werden. Die Liste wäre noch länger, wenn sie nicht auf jene Präparate mit Pflichtlagervorschriften beschränkt wäre.

Vielfältige Gründe für unsichere ­Versorgung

Die Gründe für die Versorgungsstörungen sind multifaktoriell. Festzustellen ist einmal, dass einerseits bei den Herstellern und andererseits bei den Produktionsstätten weltweit eine Konzentration stattgefunden hat. Die Wirkstoffherstellung, namentlich jene von ­älteren Wirkstoffen, deren Patentschutz längstens abgelaufen ist, findet oft in Indien oder China statt. Nicht selten wird der Alleinhersteller des Wirkstoffs mit einem Qualitäts­problem konfrontiert, was die (vorübergehende) Schliessung der Produk­tionsstätte zur Folge haben kann mit entsprechenden Engpässen auf den Märkten. Weil gleichzeitig die Lager­mengen aus Kostengründen auf allen Stufen abgebaut werden, akzentuieren sich auftauchende Pro­bleme in den Versorgungsketten von Heilmitteln. Der Hersteller eines Präparats zieht sich jedoch auch aus ökonomischen Gründen zum Beispiel aus kleinen Märkten zurück oder verabschiedet sich vollständig von dessen Produktion. Dies kann dann geschehen, wenn die Gesundheitssysteme nicht bereit sind, eine genügend hohe Vergütung gutzusprechen und damit einen Anreiz zu bieten, mit dem typischerweise «alten» Präparat auf dem Markt zu bleiben.

Keine einfachen Lösungen

Was ist zu tun? Einfache Rezepte liegen nicht vor. Bei der Entstehung von Lieferengpässen könnte man noch zwischen Flaschenhälsen wegen des Mangels an Wirkstoffen und deren Formulierung unterscheiden. Bei lang haltbaren Wirkstoffen wäre an eine Massnahme wie Vorratshaltung zu denken. Wird an eine Rückkehr zu einer Produktion in Europa oder der Schweiz gedacht, ist von nationalen Lösungen abzusehen. In der Schweiz befinden sich Produktionsanlagen, welche nach Ansicht von Branchenkennern zwar innerhalb von zwei Monaten hochgefahren werden könnten. Allerdings könnte die Anlage nach zwei, drei Tagen wieder abgeschaltet werden. In dieser kurzen Zeitspanne würde die Nachfrage des Heimmarkts Schweiz bedient werden können. Für Hersteller, welche bereit wären, in der Schweiz zu produzieren, wäre es deshalb unabdingbar, dass sie Zugang zu weiteren und grossen Märkten hätten. Es wäre deshalb über eine minimale Abnahmegarantie und über Abnahmeverpflichtungen nachzudenken. Wäre die Schweiz als prominenter Pharma- und Produktionsstandort nicht prädestiniert, hier eine aktive Rolle zu spielen? Allerdings fragt man sich in unserer kurzlebigen Zeit auch, ob nach der Abflachung der Corona-Pandemie der politische Wille, endlich eine Lösung für die Medikamentenverknappungen zu finden, lange fortbestehen wird.
Es ist deshalb sehr verdienstvoll, dass die ständerät­liche Gesundheitskommission einen neuen Anlauf unternimmt und die Erhöhung der Versorgungssicherheit bei Medikamenten und Impfstoffen fordert.

Link auf die Motion 20.3166

Erhöhung der Versorgungssicherheit bei Medikamenten und Impfstoffen
bruno.henggi[at]fmh.ch