Alleingelassen bei beruflichen Übergängen

FMH
Ausgabe
2020/2930
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19083
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(2930):885-886

Affiliations
Dr. med., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Leitungsausschuss ReMed

Publiziert am 14.07.2020

Eine Assistenzärztin zu Beginn ihres ersten Weiter­bildungsjahres schildert ihre psychische Verfassung der beratenden Ärztin der ReMed-Helpline folgendermassen:

ReMed ist für Sie da

Brauchen Sie oder jemand aus Ihrem Umfeld pro­fessionelle Hilfe? Wenden Sie sich an ReMed: Das Unterstützungsnetzwerk für Ärztinnen und Ärzte ­respektiert das Arztgeheimnis und berät Sie kompetent. Auch bei anderen beruflichen und persönlichen Krisen kann Ihnen ReMed Lösungswege aufzeigen. Dieses Angebot gilt auch für Personen aus dem Umfeld von Ärztinnen und Ärzten, 24 Stunden am Tag. Die ärztlichen Beratenden melden sich innerhalb von 72 Stunden:
www.swiss-remed.ch, help[at]swissremed.ch, Tel. 0800 07 36 33.
«Es ist sehr beschämend, und ich kenne mich einfach selbst nicht mehr! Noch nie habe ich in meinem Leben versagt oder eine Niederlage erlitten, immer war ich erfolgreich. Zum ersten Mal im Leben bricht jetzt alles zusam­men. Wie peinlich! Bereits nach sechs Monaten an meiner allerersten Stelle als Assistenzärztin fühle ich mich völlig unfähig in meinem Beruf. Man sagt mir, ich wolle alles viel zu perfekt machen und würde meine Leistungen mit einem überstrengen Massstab messen. Wie auch immer: Ich bin an einem Punkt angekommen, an dem ich am liebsten einfach vor allem davonlaufen möchte und ich für mich kein Zurück in den Arztberuf mehr sehe.
Ich befinde mich noch in der Probezeit meiner ersten Stelle als Assistenzärztin. Es wäre also sehr einfach, dem ganzen Leiden ein Ende zu setzen. Ich befürchte jedoch, wenn ich jetzt aufgebe, gar nichts mehr in meinem Leben hinzukriegen. Während meine Kolleginnen und Kollegen offenbar Freude an ihrem Beruf haben und aufblühen in ihrer Rolle, wird das für mich jeden Tag schwieriger. Ich bewundere und beneide die anderen und sehe mich im Vergleich zu ihnen völlig unfähig, den Arztberuf aus­zuüben, und schlussendlich als Versagerin. Ich verstehe nicht, wie mein Chef mir eine genügende, ja sogar eine gute Beurteilung geben konnte bei der ersten Qualifikation von letzter Woche. Gut, nach einem halben Jahr überschätzt er mich wahrscheinlich einfach völlig. Deshalb soll ich ab dem nächsten Monat nach einer ­gerade mal dreitägigen Kurzeinführung auf den medizinischen Notfall wechseln – weil ich so kompetent und ­zuverlässig sei! Dieses Bild von mir ändert sich mit Sicherheit noch, und die nächste ‘Quali’ wird mit Bestimmtheit ein Destaster, nur schon wegen der vielen unnötigen Überstunden, die ich möglichst geheim halte, und aufgrund meiner Unsicher­heit und Unfähigkeit, Entscheidungen zu fällen. Ich kann nicht weiter Ärztin sein!
Ich habe viel zu viele Ängste! Zum Beispiel Angst davor, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen, Ängste davor, verheerende Fehler zu machen und dabei Patienten zu schädigen, allgemein davor zu versagen und davor, dass meine Unfähigkeit für andere immer sichtbarer wird. Ich bin verzweifelt und am Ende meiner Kräfte. In letzter Zeit habe ich mich immer häufiger auf die Toilette zurückgezogen. Dort bin ich dann, bis ich ­fertig geweint habe, geblieben, und das dauerte schon ­20–30 Minuten! Ich versuche mir nicht ansehen zu lassen, wenn ich auf der Station oder an Rapporten bin, was in mir drin wirklich vorgeht. Ich verstecke mich hinter einer undurchdringbaren Fassade und bin für die anderen, was ich für sie immer war: die stets und makellos Brillierende. Das verschafft mir Bewunderung und nette Rückmeldungen – zum hohen Preis, dass ich jetzt beinahe zusammenbreche. Niemand bekommt mit, dass ich es inzwischen kaum noch schaffe, das Spital zu ­betreten. Niemand weiss davon, wie es mir wirklich geht.»
Diese anonymisierten Schilderungen einer Assistenzärztin «frisch ab Presse» stehen exemplarisch für viele ähnliche Äusserungen von Kolleginnen, welche die Beratung bei ReMed in Anspruch nehmen. In der Regel sind es durch und durch kompetente Kolleginnen, sowoh­l Berufseinsteigerinnen, Praxiseinsteigerinnen als auch Kolleginnen und Kollegen bei einem bedeut­samen Karriereschritt. Sie fühlen sich allein gelassen in herausfordernden Übergangssituationen mit ihren Unsicherheiten, Zweifeln und Belastungen. Vertrauenswürdige Ansprechpartner, die das Gefühl vermitteln, Zeit «für Probleme anderer» zu haben und helfen zu können, sind nicht leicht zu finden. Erfahrene Kolleginnen oder direkte Vorgesetzte stehen häufig selbst unter hohem Druck und wirken mit ihren eigenen ­Aufgabenbereichen und Sorgen bereits ausgelastet. Hemmungen, Scham und Ängste, mit den eigenen Problemen zu stören, stehen im Weg, um sich zu öffnen. So bleibt man in der Einsamkeit zurück – dort wo der innere Stress fast unbemerkt ansteigen kann, manchmal bis zum «Gehtnichtmehr».

ReMed ist schon vorher für Sie da!

Eine offene, vertrauensvolle und unterstützende Atmosphäre, in welcher ein Austausch über den Umgang mit Verantwortung, Entscheidungen, Unsicherheiten, Grenzen und Fehlern und der Ungewissheit im medizinischen Alltag vertieft werden kann, ist unabdingbar für eine menschliche Medizin und die nachhaltige Zufrieden­heit und Gesundheit von uns Ärztinnen und Ärzten. Durch die Angebote des Gruppencoachings und neu des Café ReMed bietet ReMed Ärztinnen und Ärzten zwei Möglichkeiten an – genau dafür!

ReMed-Intervisionen für Erstberatende und Netzwerkmitglieder

Neben den Unterstützungsangeboten für ratsuchende Ärztinnen und Ärzte führt ReMed auch regionale Intervisionen zum Erfahrungsaustausch für Kolleginnen und Kollegen durch, die Ärztinnen und Ärzte als ­Patienten betreuen. Diese ermöglichen Vernetzung und Bildung von Peer-Groups (jeweils 6–8 Teilnehmer, 2–3 Treffen pro Jahr), welche gemeinsam Fallfragen zu Mentoring, Coaching, Beratung, Therapie oder anderen Aspekten (juristisch, versicherungsrechtlich etc.) erarbeiten. Setzen Sie sich mit uns in Verbindung, nehmen Sie an einer Sitzung teil, und lernen Sie unsere Arbeit kennen. Kontakt und Anmeldung: Dr. med. Sabine Werner, Mitglied Leitungsausschuss ReMed, dr.s.werner[at]hin.ch
Mögliche nächste Daten 2020: 17. September und 19. November, jeweils 14–18 Uhr, in Zürich
ReMed
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