Berichtet die Ärztezeitung ausgewogen? (mit Replik)

Briefe / Mitteilungen
Ausgabe
2020/35
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19142
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(35):1026-1027

Publiziert am 25.08.2020

Berichtet die Ärztezeitung aus­gewogen? (mit Replik)

Seit einigen Monaten beherrscht ein einziges Thema die Ärztezeitung: Covid-19.
Das ist erstmalig und einmalig. Unser geschätztes Standesblatt hat die bewährte Diversität der Themen praktisch verlassen und richtet sich nach der weltweiten «Unité de Doctrine». Als Ärzte wissen wir von der Vielfalt der Erscheinungen und kennen die Unwahrscheinlichkeit «einer einzigen» grossen Gefahr aus dem Praxisalltag. Diese Erfahrung muss vermehrt berücksichtigt werden.
Zur Wiederherstellung der Ausgewogenheit setzen wir uns ein als «Aletheia – Medizin und Wissenschaft für Verhältnismässigkeit». Drei Kernbereiche werden angesprochen:
a) Der Umgang mit Wissenschaftlichkeit: Zurzei­t stehen die praktischen Erfahrungen abseits vom wissenschaftlichen Diskurs. Sie müssen einbezogen werden. Hypothesen und Fakten sind klar auseinanderzuhalten. Resultate müssen geprüft und Analysen genügend validiert sein. Verhinderte Methodenkritik schadet der Wissenschaft, sie muss breit abgestützt stattfinden.
b) Der Umgang mit Statistik: Gegenwärtig ist er unvollständig und unverhältnismässig. Das Herumschleudern von Zahlen, hauptsächlich in den Main-Stream-Medien, hat mit Sachlichkeit nichts zu tun und muss sich ändern. Die Ärztezeitung könnte diesbezüglich einen Beitrag leisten und mit entsprechenden Artikeln die Praxisrelevanz der Zahlen im Sinne einer Übersicht offen darlegen.
c) Der Umgang mit Massnahmen: Die Wirksamkeit vieler Massnahmen ist ungenügend belegt, medizinisch widersprüchlich und unverhältnismässig. Ein Shunt von den Hypothesen zu Handlungskonzepten ist unwissenschaftlich, voreilig und oft fragwürdig. In der Praxis zeigen viele der pandemieasso­ziierten Massnahmen schädliche Nebenwirkungen, die weder genügend bedacht noch berücksichtigt sind. Holistische Gesichtspunkte werden ausgeblendet. Die hippo­kra­tisch-­­deontologischen Anforderungen an unsere Praxis müssen die Verhältnismässigkeit von Schaden und Nutzen berücksich­tigen. Letztere müssen offen zur Sprache kommen.
Wir erwarten von der Ärztezeitung Schritte in diese Richtung. Die Hinterfragung der Praxisrelevanz von Infektions-Studien braucht ein Forum für einen breit gefächerten Diskurs. Wir wünschen uns, dass die Ärztezeitung weiterhin diesen Ort zur Verfügung stellt. Ausserdem besteht die Welt nicht nur aus Infektionen, auch nicht unsere medizinische Welt. Auch andere Themen verdienen unsere Aufmerksamkeit.
Die Unterzeichnenden beteiligen sich an der kritischen Diskussion mit besonderer Beachtung der Verhältnismässigkeit und sind offen für das Gespräch.

Replik auf: «Berichtet die Ärztezeitung ausgewogen?»

Leider enthält der Brief einige Unschärfen, die wir gerne berichtigen möchten.
Wissenschaftliche Themen: Die Schweizerische Ärztezeitung (SÄZ) wurde vor hundert Jahren gegründet, um gesundheits- und standespolitische Fragen getrennt von wissenschaftlichen Themen aufzunehmen [1]. Dieser Grundsatz findet bis heute noch Anwendung. Für wissenschaftliche Beiträge steht das Swiss Medical Forum (SMF) bzw. Swiss Medical Weekly (SMW) zur Verfügung. In diesen beiden Zeitschriften werden wissenschaftlich fundierte Artikel (auch zum Teil zu den von Ihnen erwähnten Themen) von zwei verschiedenen ­Redaktionen peer-­reviewed und publiziert.
Ressourcen: Die von Ihnen vorgeschlagenen Übersichts­artikel sind zweifelsohne interessant. Die ­Umsetzung benötigt jedoch auch beachtliche Ressourcen. Mit dem Beschluss der Ärztekammer, die Sockelbeiträge für die SÄZ und das SMF per Januar 2019 vollständig zu streichen, fehlen uns beim Schweizerischen Ärzteverlag EMH die entsprechenden Ressourcen.
Themenvielfalt: Sie schreiben: «Unser geschätztes Standesblatt hat die bewährte Diversität der Themen praktisch verlassen ...» Dazu möchte ich festhalten, dass der «vordere» Teil (alle Rubriken vor den Stelleninseraten) Texte beinhaltet, die von der FMH, den Fachgesellschaften und weiteren Organisationen der Ärzteschaft eingereicht werden. Auf die Themenwahl haben wir als Verlag wenig Einfluss. Zudem: Eine Zählung sämtlicher Artikel (Leserbriefe ausgenommen) der letzten fünf Ausgaben ergibt, dass von den total 58 Artikeln, die im Zeitraum zwischen dem 3. Juni und 10. August ­publiziert wurden, nur elf Beiträge im weitesten Sinne etwas mit ­Covid-19 zu tun hatten. Damit können wir die von Ihnen beschriebene Gefährdung der Themenvielfalt nicht nachvollziehen.
Wir werden auch künftig grossen Wert dar­auflegen, die Schweizerische Ärztezeitung als ­offene Diskussionsplattform für sämtliche am Gesundheitswesen beteiligten und interessierten Kreise attraktiv und qualitativ hochstehend zu gestalten.