FMH
Prämienbelastung der Schweizer Haushalte – die aktuellsten Zahlen des BFS
Was geben Schweizer Haushalte für die Prämien aus?
a Dr. phil., persönliche wissenschaftliche Mitarbeiterin des Präsidenten; b Dr. med., Präsident der FMH
Die Bedeutung eines allgemein zugänglichen und qualitativ hochstehenden Gesundheitswesens wird uns im Pandemiejahr 2020 täglich vor Augen geführt. Aber auch die Höhe der OKP-Prämien, die einen Teil dieses Gesundheitswesens finanzieren, ist für die Schweizer Haushalte relevant. Auf Basis der letzten Zahlen der Haushaltsbudgeterhebung zeigen wir auf, welche Rolle die Prämienzahlungen für verschiedene Haushalte spielen.
Mindestens einmal im Jahr – anlässlich der Verkündung der Prämienentwicklung – stehen die Prämien für die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) zuverlässig im Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Die Diskussion des Themas ist dabei vielfach geprägt von Aussagen, die Anlass zur Sorge geben, wenn nicht sogar alarmieren. Einige dieser Aussagen von politischen Parteien, Behörden und anderen Akteuren erweisen sich jedoch als kaum haltbar, wenn man sie anhand der verfügbaren Daten überprüft [1]. Leider findet sich übersichtlich aufbereitetes Zahlenmaterial über die OKP-Prämienzahlungen der Schweizer Wohnbevölkerung, das eine nüchterne Analyse erlaubt, eher selten. Als Beitrag zu einer differenzierten Diskussion über die Belastung der Schweizer Haushalte durch OKP-Prämien haben wir darum einige Zahlen aus der aktuellsten Haushaltsbudgeterhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS) aufbereitet.
Was zeigen die Daten der Haushaltsbudgeterhebung?
Die Daten der Haushaltsbudgeterhebung (HABE) liegen aktuell bis zum Zeitraum 2015–2017 vor und beinhalten alle Haushaltseinkommen und -ausgaben, differenziert nach verschiedensten Subgruppen wie Haushaltstypen und Einkommensgruppen. Die Erhebung unterscheidet dabei das Bruttohaushaltseinkommen vom verfügbaren Einkommen. Das Bruttohaushaltseinkommen umfasst Einkommen aus Erwerbsarbeit, Vermögen, Vermietung, Renten, Sozialleistungen und Transfereinkommen von anderen Haushalten. Das verfügbare Einkommen ist hingegen der Betrag, der den Haushalten nach den obligatorischen Abgaben – also Steuern, Sozialversicherungen und OKP-Prämienzahlungen – sowie nach Transferausgaben an andere Haushalte bleibt. Zu beachten ist auch der ausgewiesene Sparbetrag, der nicht nur aufzeigt, wie viel die Haushalte zurücklegen, sondern auch negativ sein kann, z.B. wenn Haushalte ihr Erspartes verbrauchen.
Gibt man die Höhe der OKP-Prämien in Prozent vom Bruttoeinkommen an, hängt das Ergebnis folglich von der Höhe der Prämien, aber auch von der Höhe des Einkommens ab. Gibt man die Prämien in Prozent vom verfügbaren Einkommen an, spielt zusätzlich eine Rolle, wie stark das verfügbare Einkommen bereits durch andere obligatorische Abgaben reduziert wurde.1 In beiden Prozentangaben ist nicht berücksichtigt, dass insbesondere Seniorenhaushalte ihren Lebensunterhalt auch durch Vermögensverzehr finanzieren. Solche Haushalte verfügen real über mehr Geld als in den Einkommenszahlen der HABE berücksichtigt wird: Der für die Prämien aufgewendete Anteil des Einkommens wird dadurch überschätzt.
Die Mehrheit der Haushalte gibt zwischen 5,9 und 8,8% des Bruttohaushaltseinkommens für die OKP-Prämien aus
Die Daten des Bundesamts für Statistik zeigen, dass Schweizer Haushalte im Zeitraum 2015 bis 2017 durchschnittlich 2,2 Personen umfassten und ein Bruttoeinkommen von 9951 CHF erzielten. Davon entrichteten sie 27,6% für obligatorische Transferausgaben, wobei 11,7% auf die Steuern, 9,7% auf Sozialversicherungen und 6,2% auf die OKP-Prämien entfielen.
Der Anteil der Prämienzahlungen am Haushaltsbudget unterscheidet sich jedoch deutlich in den verschiedenen Einkommensgruppen (Tab. 1). Die Mehrheit der Haushalte (60%) gehört weder zum einkommensstärksten noch zum einkommensschwächsten Fünftel und wendet zwischen 5,9% und 8,8% des Bruttoeinkommens bzw. zwischen 7,7% und 10,9% des verfügbaren Einkommens für die Prämienzahlungen auf.
Im einkommensschwächsten Fünftel der Schweizer Haushalte verfügen jedoch durchschnittlich 1,3 Personen über ein Bruttoeinkommen von 3389 Franken. Diese Haushalte, in denen mehrheitlich Rentner (58,3%) leben, müssen 14,1% ihres Bruttohaushaltseinkommens bzw. 16,5% ihres verfügbaren Einkommens für die Prämienzahlungen aufwenden. Nicht berücksichtigt ist hierbei jedoch der negative Sparbetrag dieser Haushalte (siehe oben), der 706 Franken beträgt. In den einkommensstärksten Haushalten leben hingegen durchschnittlich drei Personen, die nur 3,9% des Brutto- bzw. 5,3% des verfügbaren Haushaltseinkommens für die OKP-Prämien ausgeben. Auch für Zusatzversicherungen und weitere Gesundheitsausgaben (wie z.B. Medikamente oder Sehhilfen) verwenden die Haushalte mit dem geringsten Einkommen mit 2,2% und 5,3% grössere Anteile ihres Bruttoeinkommens als die anderen Einkommensgruppen.
Während die Belastung durch die OKP-Prämien in den verschiedenen Einkommensgruppen sehr unterschiedlich ausfällt, weist die Gesamtheit der obligatorischen Abgaben durchgehend eine ähnliche Grössenordnung auf: Alle Einkommensgruppen wenden für Steuern, Sozialversicherungen und OKP-Prämien zusammen zwischen 25,9% und 29,0% ihres Bruttohaushaltseinkommens auf (Tab. 1).
Tabelle 1: Haushaltseinkommen und obligatorische Transferausgaben nach Einkommensklasse (Quelle: Haushaltsbudgeterhebung 2015–2017, T20.02.01.00.12, Bundesamt für Statistik). | |||||||
Haushalte nach Einkommensklasse | Gesamt | 1. Quintil | 2. Quintil | 3. Quintil | 4. Quintil | 5. Quintil | |
Personen pro Haushalt | 2,2 | 1,3 | 1,7 | 2,2 | 2,6 | 3,0 | |
Bruttoeinkommen: Range in CHF | <4914 | 4914–7264 | 7265–9990 | 9991–13 621 | >13 622 | ||
Bruttoeinkommen: Durchschnitt in CHF | 9951 | 3389 | 6119 | 8573 | 11 637 | 20 023 | |
Oblig. Transferausgabena (CHF) | 27,6% (2749) | 27,6% (937) | 25,9% (1587) | 26,4% (2260) | 27,1% (3151) | 29,0% (5805) | |
Steuerna (CHF) | 11,7% (1166) | 10,5% (358) | 10,2% (625) | 10,1% (868) | 10,5% (1217) | 13,8% (2757) | |
Sozialversicherungena (CHF) | 9,7% (963) | 3,0% (102) | 7,0% (426) | 9,0% (772) | 10,7% (1244) | 11,3% (2268) | |
OKP-Prämiena (Grundversicherung) | 6,2% (620) | 14,1% (477) | 8,8% (536) | 7,2% (619) | 5,9% (690) | 3,9% (779) | |
Prämien in Prozent vom verfügbaren Einkommen | 8,1% | 16,5% | 10,9% | 9,1% | 7,7% | 5,3% | |
Sparbetrag | 14,7% (1460) | –20,8% (–706) | 3,6% (223) | 11,2% (962) | 16,8% (1958) | 24,3% (4859) | |
a Angaben in Prozent vom Haushaltsbruttoeinkommen und absoluter Betrag in Franken |
Die grösste Gruppe gibt prozentual am wenigsten für die Prämien aus – Senioren hingegen am meisten
Unter den verschiedenen Haushaltstypen (Abb. 1) weist die mit 41,4% grösste Gruppe – Alleinstehende und Paare unter 65 Jahren – die geringsten prozentualen Ausgaben für die OKP-Prämien auf. Sie verwenden durchschnittlich lediglich 4,7% bzw. 4,9% ihres Bruttoeinkommens bzw. 6,4% bzw. 6,5% ihres verfügbaren Einkommens für die OKP-Prämien.


Die höchsten prozentualen Ausgaben für die OKP-Prämien finden sich hingegen in Seniorenhaushalten. Dies zeigt sich besonders bei den einkommensschwächsten Senioren, die 5,2% aller Haushalte stellen: Das unterste Einkommensquintil der Alleinstehenden bzw. Paarhaushalte ab 65 Jahren hat laut BFS durchschnittlich Bruttoeinkommen von 2298 bzw. 3983 Franken zur Verfügung – auch wenn ihre negativen Sparbeträge von 804 bzw. 1095 Franken vermuten lassen, dass der Vermögensverzehr in diesen Haushalten eine wichtige Rolle spielt. Berücksichtigt man ausschliesslich die erhobenen Bruttoeinkommen, machen die OKP-Prämien in dieser Gruppe 17,4% bzw. 19,2% des Bruttohaushaltseinkommens aus. Auch unter den Senioren gibt es jedoch eine grosse Spannweite: Das einkommensstärkste Fünftel von ihnen verwendet lediglich 4,5% bzw. 5,3% des Bruttoeinkommens auf die OKP-Prämien.
Paare mit Kindern stellen gemäss Haushaltsbudgeterhebung 24,4% der Schweizer Haushalte und wenden durchschnittlich 6,1% ihres Bruttoeinkommens bzw. 7,9% ihres verfügbaren Einkommens für die OPK-Prämien auf. Während diese Haushalte unabhängig von der Kinderzahl immer etwa 22% ihres Bruttohaushaltseinkommens für Steuern und Sozialversicherungen entrichten müssen, steigt die Belastung durch die OKP-Prämien mit der Kinderzahl an: So gibt ein Paar mit einem Kind gemäss BFS durchschnittlich 5,6% des Brutto- und 7,3% des verfügbaren Haushaltseinkommens für die Grundversicherung aus, bei Paaren mit drei und mehr Kindern sind es 6,7% bzw. 8,6% (Tab. 2).
Tabelle 2: Haushaltseinkommen und obligatorische Transferausgaben von Paaren mit Kindern (Quelle: Haushaltsbudgeterhebung 2015–2017, T20.02.01.00.43, Bundesamt für Statistik). | |||||
Paarhaushalte nach Kinderzahl | Paare mit Kindern | Paare mit einem Kind | Paare mit zwei Kindern | Paare mit >2 Kindern | |
Personen pro Haushalt | 3,9 | 3,0 | 4,0 | 5,22 | |
Anteil der Haushalte | 24,4% | 8,5% | 11,7% | 4,1% | |
Bruttoeinkommen: (Durchschnitt in CHF) | 13 677 | 13 314 | 13 670 | 14 448 | |
Oblig. Transferausgabena (CHF) | 27,6% (3781) | 27,2% (3620) | 27,7% (3791) | 28,3% (4086) | |
Steuerna (CHF) | 9,9% (1360) | 10,1% (1339) | 9,9% (1356) | 9,8% (1416) | |
Sozialversicherungena (CHF) | 11,6% (1586) | 11,5% (1534) | 11,6% (1583) | 11,8% (1701) | |
OKP-Prämiena (Grundversicherung) | 6,1% (835) | 5,6% (747) | 6,2% (852) | 6,7% (969) | |
Prämien in Prozent vom verfügbaren Einkommen | 7,9% | 7,3% | 8,0% | 8,6% | |
Sparbetrag | 17,7% (2418) | 19,3% (2570) | 16,7% (2279) | 17,3% (2497) | |
a Angaben in Prozent vom Haushaltsbruttoeinkommen und absoluter Betrag in Franken |
Fazit: Ein breites Spektrum und eine doppelte demographische Herausforderung
Die Höhe der OKP-Prämien ist für die Haushalte in der Schweiz von sehr unterschiedlicher Bedeutung. Die Mehrheit der Bevölkerung – darunter vor allem Alleinstehende und Paare unter 65 Jahren aber auch viele Familien – gibt weniger als zehn Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die OKP-Prämien aus. Die Haushalte des einkommensschwächsten Fünftels – darunter viele Senioren – müssen jedoch einen spürbaren Anteil ihrer Einkünfte für Prämien aufwenden. Wie stark genau die OKP-Prämien in Seniorenhaushalten ins Gewicht fallen, lässt sich auf Basis der Haushaltsbudgeterhebung allerdings schwer beurteilen: Da die Rolle des Vermögensverzehrs nicht erfasst wurde, werden die Einkommen wohl unterschätzt und die Prämienlast damit überschätzt.
Auch dass Familien prozentual vergleichsweise weniger von ihrem Einkommen für die OKP-Prämien aufwenden müssen, gilt es mit Vorsicht zu interpretieren: In einem Schweizer Familienhaushalt sind von einem Haushaltseinkommen durchschnittlich 3,9 Personen zu versorgen – sie haben also deutlich mehr Ausgaben zu bewältigen als Alleinstehende oder Paarhaushalte. Dies ist insbesondere bei kinderreichen Familien der Fall, die neben höheren Lebenshaltungskosten auch höhere obligatorische Abgaben stemmen müssen.
Die grosse Belastung durch die OKP-Prämien in einkommensschwachen Haushalten zeigt, dass sich hier sozialpolitische Fragen noch vor gesundheitspolitischen Kostendiskussionen aufdrängen. Ein möglichst effizientes und nachhaltig finanzierbares Gesundheitswesen ist ein unbestrittenes Ziel. Dennoch kann gesundheitspolitische Kostendämpfung Haushalte mit 3389 Franken Bruttoeinkommen kaum spürbar entlasten. Vielmehr müssen diese einkommensschwachen Haushalte gezielt durch Prämienverbilligungen unterstützt werden. Da besonders Seniorenhaushalte höhere Anteile ihres Einkommens für Prämien ausgeben müssen, stellt sich zudem eine demographische Herausforderung im doppelten Sinne: Senioren benötigen nicht nur mehr Gesundheitsversorgung, sie haben auch geringere Einkommen – und ihr Anteil an der Bevölkerung steigt. In diesem Sinne ist eine zukunftsfähige Altersvorsorge auch für die finanzielle Tragbarkeit des Gesundheitswesens bedeutsam.
Die differenzierte Betrachtung der Prämienlast verdeutlicht auch, wie wenig das aktuell unter dem Deckmantel einer «Zielvorgabe» diskutierte Globalbudget der Situation gerecht wird. Eine solche Massnahme würde die Gesundheitsversorgung aller Haushalte beschränken – obwohl die meisten sie schätzen und finanzieren können. Gleichzeitig würden einkommensschwache Haushalte nicht relevant entlastet – wären aber die ersten Leidtragenden eines schlechteren Zugangs zu einem solidarisch finanzierten Gesundheitswesen. Staatliche Planwirtschaft lässt auch keinerlei Effizienzgewinne erwarten. Erfolgversprechend und der Situation angemessen wäre hingegen die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen: Diese könnte nicht nur grosse Effizienzpotentiale freisetzen, sondern auch die Prämienzahler entlasten – was angesichts der OKP-Kopfprämien besonders finanzschwächeren Haushalten zugutekäme.
1 Zu beachten ist auch, dass das verfügbare Einkommen normalerweise den verbleibenden Betrag nach der Prämienzahlung bezeichnet. Um zu berechnen, wie viel Prozent des verfügbaren Einkommens die OKP-Prämien ausmachen, muss darum die Prämienhöhe vorab zum verfügbaren Einkommen hinzuaddiert werden, will man die Prämienzahlung nicht doppelt berücksichtigen.
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Dr. phil. Nora Wille
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CH-3000 Bern 15
1 Wille N, Schlup J. Prämienbelastung der Schweizer Haushalte – ein Faktencheck. Schweizer Krankenkassenprämien: Wer zahlt wie viel? Schweiz Ärzteztg. 2019;100(37):1212–5.
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