Repräsentative Befragung der Ärzteschaft im Auftrag der FMH

Ärzteschaft bewertet die Pandemie-Massnahmen mehrheitlich positiv

FMH
Ausgabe
2020/43
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19298
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(43):1393-1395

Affiliations
a Leiterin Abteilung Stationäre Versorgung und Tarife, FMH; b Dr. phil., Experte, Abteilung Stationäre Versorgung und Tarife, FMH

Publiziert am 20.10.2020

Die Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte erachtet die eingeleiteten Massnahmen der Behörden während der Corona-Pandemie als angemessen. Kritisch wird hingegen insbesondere die Planung im Vorfeld der Pandemie bewertet. Sorge bereiten der Ärzteschaft die Folgebeschwerden der Patientinnen und Patienten aufgrund ver­zögerter Arzt- und Spitalbesuche sowie die entsprechenden Folgekosten.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Arbeitssituation der Ärztinnen und Ärzte und wie beurteilen sie die ergriffenen Massnahmen? Sind bestimmte Versorgungssektoren und Fachgebiete besonders betroffen? Diese und weitere Fragen untersuchte das Forschungsinstitut gfs.bern im Rahmen seiner jüngsten repräsentativen Befragung der Ärzteschaft im Auftrag der FMH.1 An der aktuellen Erhebung zwischen Juni und Juli 2020 haben insgesamt 1551 Ärztinnen und Ärzte teilgenommen.

Unterschiedliche Auswirkungen auf Arbeitspensum und -belastung

Die Auswirkungen des Lockdowns auf das Arbeitspensum unterscheiden sich deutlich zwischen den praxisambulant und den im Spital tätigen Ärztinnen und Ärzten. In der Akutsomatik blieb das Arbeitspensum für knapp die Hälfte der befragten Spitalärzte konstant und für einen Fünftel erhöhte sich dieses. Für die praxisambulant tätige Ärzteschaft hingegen zeigt sich ein komplett anderes Bild: Lediglich 15% verzeichneten ein gleichbleibendes und nur 7% ein höheres Arbeitspensum. Dafür reduzierte die Hälfte das Pensum und 10% stellten die Arbeit sogar ganz ein. Eine deutliche Mehrheit erhielt dabei keine Kurzarbeitsentschädigung (vgl. Abb. 1). Auch hinsichtlich der Arbeitsbelastung ergaben sich Unterschiede, wobei diese v.a. zwischen den verschiedenen Fachgebieten festzustellen sind. Beispielsweise stimmten 26% aller befragten Ärztinnen und Ärzte mit dem Hauptfachgebiet Allgemeine Innere Medizin der Aussage eher oder sehr zu, dass die Corona-Pandemie ihre Arbeitsbelastung insgesamt stark erhöht hat. Bei Personen mit dem Hauptfach­gebiet Intensivmedizin oder Infektiologie lagen die Werte mit 44% respektive 85% deutlich höher.
Abbildung 1: Vergleich Arbeitspensum während des Lockdowns (Angaben in %).

Zeitintensive Vorbereitung und Umsetzung der Pandemie-Massnahmen

Die Ärztinnen und Ärzte haben während des Lockdowns viel Zeit für die Vorbereitung, Bearbeitung und Verarbeitung der Pandemie-Massnahmen aufgewendet. Die Spitalärztinnen und -ärzte setzten pro Tag durchschnittlich 2,1 Stunden ein für die entsprechenden Mass­nahmen ohne direkten Patientenbezug und zusätzlich 2,9 Stunden für pandemiebezogene Massnahmen mit direktem Patientenbezug. Besonders zeitintensiv waren die Massnahmen ohne direkten Patientenbezug für verschiedene Fachbereiche wie die Infektiologie mit durchschnittlich 5,1 und die Intensivmedizin mit 3,2 Stunden pro Tag. Bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft waren es durchschnittlich 1,8 Stunden pro Tag für die Massnahmen ohne und zusätzlich 1,8 Stunden pro Tag mit direk­tem Patientenbezug.

Folgekosten aufgrund verzögerter Arzt­besuche

Patientinnen und Patienten zögerten teilweise ihren Arzt- oder Spitalbesuch aus Angst vor einer Covid-19-­Ansteckung hinaus. Über die Hälfte der Spitalärzte (Akutsomatik: 51%, Psychiatrie: 60%, Rehabilitation: 56%) und 48% der praxisambulant tätigen Ärzte stimmen der Aussage sehr oder eher zu, dass viele Patienten durch die Angst vor einem Arzt- oder Spitalbesuch Folgebeschwerden mit Kostenfolgen erlitten. Rund 30% der Spitalärzte der Akutsomatik und Rehabilitation sowie der praxisambulant tätigen Ärzte stimmten zudem der Aussage sehr oder eher zu, dass die Patienten aufgrund des temporären Verbots von elektiven Eingriffen und Therapien Folgebeschwerden mit Kostenfolge erlitten haben. In der stationären Psychiatrie waren es sogar 45%.
Aufgrund der Corona-bedingt verzögerten Unter­suchungen oder Behandlungen wurden die befragten Spitalärztinnen und -ärzte der Akutsomatik dann auch durchschnittlich 3,5-mal pro Monat mit Patientinnen und Patienten konfrontiert, die verstärkte gesundheitliche Probleme haben. Bei den praxisambulant tätigen Ärzten war dies durchschnittlich 5,5-mal pro Monat der Fall.
Insgesamt bewerteten rund drei Viertel der Spitalärztinnen und -ärzte die Versorgungsqualität in ihrem unmittelbaren Arbeitsbereich während des Lockdowns als sehr gut oder eher gut. In Corona-freien Zeiten bzw. in den Befragungen der letzten Jahre wurde die Versorgungsqualität jedoch v.a. in der Akutsomatik und Rehabilitation deutlich positiver bewertet. Bei den praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten bewertete sogar nur knapp die Hälfte die Versorgungsqualität in ihrem unmittelbaren Arbeitsbereich während des Lockdowns als sehr oder eher gut.

Umgang mit der Krise mehrheitlich positiv bewertet

Jeweils über 80% der befragten Spitalärztinnen und -ärzte der Akutsomatik beurteilen die Massnahmen während des Lockdowns auf Ebene Bund, Kanton und Spital als angemessen (vgl. Abb. 2). Die Zustimmungswerte fielen bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft jedoch etwas weniger hoch aus (70–78%, vgl. Abb. 3). Dass die Ärzteschaft nicht genügend eingebunden wurde, fanden 34% der Akutsomatiker im Spital und 35% der praxisambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte. 48% der Akutsomatiker und 56% der praxisambulant tätigen Ärzteschaft bemängeln zudem die unzureichende Versorgung mit Medikamenten und Schutzmaterial.2
Abbildung 2: Umgang mit der Corona-Pandemie (nur Akutsomatik, Angaben in %).
Abbildung 3: Umgang mit der Corona-Pandemie (nur praxisambulant tätige Ärzteschaft, Angaben in %).

Nach der ersten Welle 
ist vor der nächsten Welle

Für 55% der im Spital tätigen Befragten hatten die Behörden den Ernstfall einer Pandemie im Masse des Erwart­baren ausreichend vorbereitet. Bei der praxisambulant tätigen Ärzteschaft war die Zufriedenheit mit 38% deutlich weniger stark ausgeprägt. Mit Blick auf eine nächste Pandemie stimmte etwas mehr als die Hälfte (54%) aller befragten Ärztinnen und Ärzte der Aussage zu, dass die Behörden mehr auf Massnahmen wie Social Distancing oder Hygienemassnahmen setzen sollen und weniger auf Verbote und Schliessungen (beispielsweise Läden, Schulen). Direkt danach gefragt, was bei einer nächsten Pandemie besser zu machen sei, wurden insbesondere eine bessere Pandemie­vorbereitung (z.B. bzgl. Schutzmaterial, Desinfektionsmittel, Medikamente), effektivere Massnahmen für die Bevölkerung (z.B. früherer und kürzerer Lockdown, frühere Maskenpflicht), ein höherer Schutz des Gesundheitspersonals und eine bessere Koordination zwischen Bund und Kantonen sowie zwischen den Spitälern genannt. Es ist zu hoffen, dass Verbesserungen bereits für die nächste Welle umgesetzt werden.

Weitere Resultate

Weitere Informationen zur diesjährigen Befragung der Ärzteschaft durch gfs.bern im Auftrag der FMH sind zu finden unter: www.fmh.ch → Themen → Stationäre Tarife → Begleitforschung. Dort sind abgesehen von den Auswertungen zur Corona-Pandemie zudem die Ergebnisse weiterer Fragestellungen dargestellt, wie z.B. zur Entwicklung der Arbeitsumstände der Ärzteschaft.
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