Das Führen von Spitälern als Balanceakt

Zu guter Letzt
Ausgabe
2020/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2020.19365
Schweiz Ärzteztg. 2020;101(48):1632

Affiliations
a Prof. Dr. oec., Mitglied der Redaktion; b MSc, Berner Fachhochschule Gesundheit, Kommunikation

Publiziert am 24.11.2020

In den vergangenen Wochen ging ein Poltern durch die schweizerische Spitallandschaft. Am Spital Uster wurde eine Chefärztin nach Differenzen mit der Spitalleitung entlassen, und kurze Zeit später musste ein Chefarzt am Spital Bülach den Hut nehmen. Die CEOs und Spitalleitungen wurden kritisiert – an vorderster Front der Solidaritätswelle zugunsten der Entlassenen standen Ärztekolleginnen und -kollegen und weitere Mitarbeitende.
Die Entlassung von Kadermitarbeitenden ist grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Und: CEOs von Spitälern haben vermutlich ein höheres Entlassungsrisiko als Chefärztinnen und -ärzte. Doch öffentliche Solidaritätsbekundungen von CEO-Kolleginnen und -Kollegen sind eher unwahrscheinlich. Offensichtlich werden stärkere Emotionen ausgelöst, wenn Chefärztinnen und -ärzte ihren Posten räumen müssen. Das dürfte ­damit zusammenhängen, dass Spitäler spezielle Charakteristika aufweisen.
Spitäler sind sogenannte Expertenorganisationen, wobei die Expertinnen und Experten – also die Ärztinnen und Ärzte – selbst zum Produkt/Service werden. Personen mit Expertencharakter ist eigen, dass sie über viel formelle und informelle Macht verfügen. Ihren Expertenstatus haben sie sich durch Wissensaneignung im jeweiligen Fachgebiet über Jahre hinweg erarbeitet. ­Naheliegend also, dass sie sich in erster Linie ihrer fachlichen Disziplin verpflichtet sehen und autonome Arbeitsbedingungen fordern. Ihre Führung erfordert folglich viel Fingerspitzengefühl.
Hinzu kommt die ökonomische Logik: Der Wettbewerb unter den Spitälern hat sich, nicht zuletzt aufgrund der Diagnosis-Related Groups (DRG), verstärkt. Spitäler müssen sich auf dem Markt behaupten, profitabel sein, um auch die nötigen Mittel für Investitionen in Gebäude oder Geräte zu erwirtschaften. Diese Herausforderung manifestiert sich im Spannungsfeld Medizin–Ökonomie. In der Medizin besassen die Ärztinnen und Ärzte einst das uneingeschränkte Machtmonopol. Jene in Chefpositionen konnten ohne grosse Einschränkungen bestimmen, was läuft und wie es läuft. Die obersten Führungspersonen, namentlich Spitaldirektorinnen, -direktoren oder Spitalverwaltende, hatten vorwiegend administrative und repräsentative Aufgaben. Heute jedoch stehen CEOs an der Spitze der Organisation; zusammen mit der Spital­leitung entwickeln sie Strategien und führen das Spital als Unternehmen. Die ärztliche Entscheidungs- und Handlungsfindung gestalten sich nicht mehr allein über medizinische Kriterien, sondern zunehmend ­unter Einbezug betriebswirtschaftlicher und organisatorischer Faktoren wie Qualität, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. Nur so hat ein Spital auf dem Markt im Wettbewerb um Patientinnen, Patienten (und Fachkräfte!) Erfolgschancen.
Die besondere Herausforderung der CEO-Tätigkeit ist es demzufolge, das Spital als Expertenorganisation im Spannungsfeld Medizin–Ökonomie zu führen. Ak­tuelle Befunde aus der Organisationsforschung und Wirtschaftspsychologie sprechen sich für eine mode­rierende Führungspraxis aus: Führung in Expertenorganisationen kann nicht als reines Top-down-Management funktionieren. Sie muss vielmehr bottom-up erfolgen und unterstützend sein. Zudem sollen die Expertinnen und Experten für die Ziele des Unternehmens sensibilisiert und ihnen soll ein motivierendes Umfeld ermöglicht werden [1]. Nichts­destotrotz müssen Chefärztinnen, -ärzte auch die vom Unter­nehmen definierten Ziele akzeptieren. Derweil müssen sich CEOs des Risikos für Konflikte und Machtkämpfe, das im Kontext des Wettbewerbs um exzellente Fachkräfte bei Chefärztinnen und -ärzten im Besonderen vorherrscht, bewusst sein.
Gemeinsame Werte, Vertrauen und eine transparente Kommunikation bilden das Fundament eines trag­fähigen Führungsverhältnisses zwischen CEOs und der Ärzteschaft. Ökonomische Erwägungen und eine hochwertige Versorgung von Patientinnen und Patienten müssen Hand in Hand gehen. In den meisten Fällen gelingt diese Zusammenarbeit trotz allem glück­licherweise erstaunlich gut.
urs.bruegger[at]bfh.ch
1 Rybnicek R, Bergner S, Suk K. Führung in Expertenorganisationen. In: Felfe J und van Dick R (Hrsg.), Handbuch Mitarbeiter­führung: Wirtschaftspsychologisches Praxiswissen für Fach- und Führungskräfte. Berlin: Springer; 2016 (S. 227–37).