Erfahrungsbericht der Schweizerischen Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation (SGAR)

Herausforderungen einer virtuellen mündlichen Facharztprüfung

Organisationen der Ärzteschaft
Ausgabe
2021/22
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.19806
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(22):732-734

Affiliations
a Lic. phil. II, Geschäftsstellenleiter Schweizerische Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation (SGAR), Geschäftsführer BBS Congress GmbH; b Prof. Dr. med., Abteilungsleiter, Division Anästhesiologie, Departement Akutmedizin, Genfer Universitätsspitäler; c Prof. Dr. med., Chefarzt Division Anästhesiologie, Direktor Departement Akutmedizin, Genfer Universitätsspitäler, Präsident Prüfungskommission SGAR

Publiziert am 02.06.2021

Wegen der Corona-Pandemie fand die mündliche Prüfung zur Erlangung des Facharzttitels Anästhesiologie virtuell statt. Die intensive Vorbereitung führte zu einem reibungslosen Ablauf am Prüfungstag.
Zur Erlangung des Facharzttitels Anästhesiologie müssen die Kandidierenden unter anderem eine schriftliche, gefolgt von einer mündlichen Facharztprüfung be­stehen. Die mündliche Prüfung findet normalerweise im Januar statt. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Durchführung 2021 infrage gestellt. Der Vorstand der SGAR hat darum, auf Antrag der Prüfungskommission, beschlossen, das mündliche Examen am 23. Januar 2021 mittels Videokonferenz durchzuführen. Das Unterfangen, bei dem 103 Prüflinge von 66 Prüferinnen und Prüfern erfolgreich getestet wurden, stellte eine organisa­torische und logistische ­Herausforderung dar.

Das Dilemma

Die mündliche Facharztprüfung für Anästhesiologie wird seit Jahren in den Räumlichkeiten des Inselspitals organisiert. Ungefähr 100 Kandidierende werden von über 20 Teams, welche aus jeweils drei Experten zusammengesetzt sind, geprüft. Kandidierende werden in zwei Durchläufen während jeweils 30 Minuten zu klinischen Fällen, Zusatzfragen und der Beurteilung von EKG und Röntgenbildern examiniert. Voraussetzung für die Zulassung zur mündlichen Facharztprüfung ist das Bestehen des schriftlichen Teils, der jeweils im September des vorangehenden Jahres abgehalten wird.
Im September 2020 konnte die schriftliche Prüfung unter Einhaltung der sanitären Massnahmen durchgeführt werden. Allerdings bestand schon Ende Oktober die Unsicherheit, ob die mündliche Prüfung im Januar 2021 angeboten werden kann.

Die möglichen Szenarien

Da die Räumlichkeiten im Inselspital nicht mit effizienten sanitären Massnahmen vereinbar sind, wurden verschiedene alternative Szenarien in Erwägung ge­zogen.
Eine Lösung wäre die Verteilung des Examens auf mehrere Standorte gewesen. Die pandemiebedingte Bewegungseinschränkung, wie wir sie während der ersten Welle erlebt haben, und das nicht gebannte Infektionsrisiko sprachen jedoch dagegen. Die Verschiebung der Prüfung auf einen späteren Zeitpunkt im ­selben Jahr oder sogar auf 2022 wurde ebenfalls verworfen, da die epidemiologische Lage keine Langzeitplanung zuliess. Vor allem die Verschiebung auf 2022 wäre für die Kandidierenden problematisch gewesen, schliesslich hatten sie sich auf die Prüfung vorbereitet und mit dem Facharzttitel 2021 gerechnet. Die ersatzlose Streichung der Prüfung, also das Erlassen des mündlichen Teils, kam für den SGAR-Vorstand nicht infrage. Es wurde deshalb der Entscheid gefällt, die Prüfung wie vorgesehen am 23. Januar 2021 als Videokonferenz entsprechend dem klassischen Format und Inhalt durchzuführen.

Welche Argumente sprachen für eine virtuelle Prüfung?

Virtuelle mündliche Prüfungen sind seit einiger Zeit gerade im Hochschulbereich [1] bekannt. Im Laufe der Corona-Pandemie wurden virtuelle Konferenzen und Besprechungen immer beliebter und wichtiger; in Spitälern und Universitäten wird diese Technologie mittlerweile täglich angewandt. Im Oktober 2020 führte die SGAR ihren Jahreskongress als rein virtuelle Ver­anstaltung erfolgreich durch, dank der Erfahrung des Teams von BBS Congress GmbH, welches die SGAR-Geschäftsstelle führt und den SGAR-Jahreskongress seit über 20 Jahren organisiert. Wir durften auf die Erfahrung mit Videokonferenz-Verfahren der Kandidaten und Experten und die technische Kompetenz eines ­unterstützenden Teams zählen.

Die Herausforderungen einer virtuellen mündlichen Prüfung

Die Hauptrisiken einer virtuellen mündlichen Prüfung sind Betrug und technisches Versagen. Man kann davon ausgehen, dass die Gefahr von Betrug vor allem bei virtuellen schriftlichen Prüfungen, aber weit weniger bei virtuellen mündlichen Prüfungen besteht. Die Kandidierenden können aufgefordert werden, mittels ihrer Kamera den Raum zu zeigen, in dem sie die Prüfung bestreiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kandidaten während der Prüfung in einem Nachschlagewerk oder im Internet recherchieren, ohne dass dies den Prüfenden auffallen würde, kann als gering eingestuft werden. Zeitknappheit und die grosse Anzahl der behandelten klinischen Fälle machten einen Austausch per Telefon oder SMS in den Pausen unwahrscheinlich. Natürlich musste davon ausgegangen werden, dass die diskutierten Fälle nach der Prüfung zirkulierten. Das ist jedoch auch bei Vorort-Prüfungen der Fall.
Die eigentlichen Schwachstellen einer virtuellen mündlichen Prüfung sind technischer Natur. Bei den Teilnehmenden, Prüfern wie Prüflingen, können plötzlich technische Probleme auftreten, vom Stromausfall über Verbindungsstörungen bis zum Totalabsturz des Computers. Die Gefahr solcher Zwischenfälle wurde als real, bei entsprechend seriöser Vorbereitung aber als gering eingestuft.

Die Vorbereitung

Als Videokonferenz-Tool wurde wegen der Benut­zer­freundlichkeit und Zuverlässigkeit ZOOM ausgewählt [2]. Wir gingen davon aus, dass die meisten Teilnehmenden mit diesem Tool einigermassen vertraut waren.
Insgesamt hatten sich 103 Kandidierende für die Prüfung eingeschrieben. Dem Aufruf nach Prüfenden folgten rund 70 SGAR-Mitglieder. Schlussendlich wurden 22 Gruppen mit je drei Experten gebildet (jeweils zwei nahmen die Prüfung ab, die dritte Person figurierte als Beobachterin resp. Beobachter).
In den Wochen vor der Prüfung organisierte das SGAR-Sekretariat mit jeder der 22 Gruppen ein ZOOM-­Mee-ting. Es wurde sichergestellt, dass alle Prüfenden mit den Funktionalitäten des Tools vertraut waren (zum Beispiel Bildschirm teilen). Alle sollten in der Lage sein, den Prüflingen die Prüfungsdokumente zu präsentieren. Während dieser Probemeetings wurden auch die technische Ausstattung (Mikrofon, Kamera usw.) und die Kapazität der Internetverbindung getestet. Alle Prüfenden nahmen an einem dieser vorbereitenden ZOOM-Meetings teil, die im Nachhinein als ausserordentlich hilfreich und nützlich bezeichnet wurden.
Auch den Prüflingen wurde in den Wochen vor dem Examen ein technischer Probelauf via ZOOM angeboten, was ebenfalls rege genutzt wurde.
Für das Examen wurden vier ZOOM Accounts eingesetzt. In jedem wurde ein virtueller Wartesaal und sechs resp. vier virtuelle Examensräume eingerichtet. Insgesamt 22 Prüfungsräume, entsprechend den 22 Expertengruppen, standen somit zur Verfügung. Jeder ZOOM-Account wurde von einer Administratorin oder einem Administrator vom SGAR-Sekretariat betreut.
Zudem wurde ein virtuelles Büro für die Verantwort­lichen der Prüfungskommission eingerichtet. Um die Kommunikation im Falle von Problemen zu verein­fachen, richteten die Administratoren für jede von ­ihnen betreute Expertengruppe und jeweils einen ­Vertreter der Prüfungskommission eine WhatsApp-­Gruppe ein. Es zeigte sich, dass die Mitglieder der ­Expertengruppen die Gruppenchats schon vor dem ­Examen eifrig nutzten, um Details des Prüfungsablaufs zu besprechen.
Ein paar Tage vor der Prüfung wurden alle relevanten Prüfungsdokumente (klinische Fallbeschreibungen, EKG, Röntgenbilder, Evaluationsunterlagen) den Experten in einem geschützten Bereich auf der SGAR-Website zur Konsultation und zum Herunterladen zur Verfügung gestellt.
Am Vortag der Prüfung waren alle Prüfenden zu einem letzten Briefing via ZOOM eingeladen, während dem Vertreter des SGAR-Sekretariats und der Prüfungskommission noch einmal den Ablauf des Examens ­erläuterten und offene Fragen beantworteten.

Der Prüfungstag

Am Morgen des Prüfungstages meldeten sich die Prüfenden in dem ihnen zugewiesenen Account an und wurden von ihrer Administratorin oder ihrem Administrator in ihren Prüfungsraum verschoben.
Jeweils 20 Minuten vor Prüfungsbeginn meldeten sich die Prüflinge in dem ihnen zugewiesenen Account an. Die Administratoren überprüften ihre Identität (mittels Identitätskarte) und kontrollierten, ob sie sich auch wirklich alleine in einem Zimmer be­fanden. Kurz vor Prüfungsbeginn wurden sie dann in ihren Prüfungsraum verschoben, wo sie von ihren Prüferinnen und Prüfern in Empfang genommen wurden und während fünf Minuten Gelegenheit hatten, den klinischen Fall, der ihnen mittels Screensharing ­gezeigt wurde, zu studieren. Anschliessend startete das Examen wie oben beschrieben.
Nach dem ersten Durchlauf von 30 Minuten kehrten die Prüflinge wieder in den virtuellen Wartesaal zurück und wurden ein paar Minuten später von ihrer Administratorin oder ihrem Administrator für das zweite Examen von 30 Minuten mit einer neuen Expertengruppe in einen anderen Raum verschoben. Nach Beendigung der zweiten Prüfung konnten die Kandidierenden die Videokonferenz verlassen.
Nach jeder Prüfung sendete jede Expertengruppe ein ausgefülltes Notenblatt per E-Mail ans Büro der Prüfungskommission. Die Prüfer schickten ihre ­signierten Notenblätter ebenfalls noch per Post an den Präsidenten der Prüfungskommission.

Resultate

Die Expertengruppen prüften maximal zehn Prüflinge. Insgesamt haben 93 der 103 Prüflinge das Examen bestanden, was der durchschnittlichen Erfolgsquote der vergangenen Jahre entsprach.
Im Anschluss an die letzten Prüfungen wurde wie­der­um via ZOOM ein Debriefing mit Vertreterinnen und Vertretern aller Expertengruppen, den Mitarbeitenden des SGAR-Sekretariats und den Vertretern der Examenskommission organisiert. Neben der Diskussion von Grenzfällen bot das Debriefing auch Gelegenheit, sich über das Erlebte zu äussern. Die Kommentare der Prüfenden waren mehrheitlich sehr positiv. Einige bedauerten den fehlenden sozialen Kontakt, der bei eine­r virtuellen Prüfung natürlich nicht mit einer Prüfung vor Ort konkurrieren kann. Die lebhaften Kontakte über die Gruppenchats, welche schon Tage vor der Prüfung einsetzten (und zum Teil noch bis zwei Tage nach der Prüfung anhielten), waren jedoch Zeuge eines alternativen, durchaus intensiven und belebenden Austausches unter den Examinatorinnen und Examinatoren.
Die Prüflinge erhielten ein paar Wochen nach der Prüfung einen Link zu einem kurzen Internet-Fragebogen. Die Beantwortungsquote war 63%. Die grosse Mehrheit war einverstanden oder sehr einverstanden mit den folgenden Aussagen: «Die Prüfungskonditionen waren fair» (98%); «Ich war froh, dass das mündliche Examen wie geplant stattfinden konnte» (92%); «Die Möglichkeit, vor dem Examen meinen Computer und die Internetverbindung zu prüfen, war sehr beruhigend» (85%); «Die Interaktionen mit den Examinatoren entsprachen einem mündlichen Präsenzexamen» (83%) und schliesslich «Verglichen mit einem mündlichen Präsenzexamen war mein Stressniveau durchaus vergleichbar» (75%).

Schlussfolgerungen

Die Etablierung von Videokonferenzen als Mittel zur Lehre und zur Durchführung von wissenschaftlichen Kongressen, Sitzungen oder mündlichen Examen ist sicher einer der positiven Kollateraleffekte der Pandemie. Wir haben mit Erfolg mit einer grossen Kohorte von Prüflingen und Experten die Machbarkeit einer virtuellen mündlichen Facharztprüfung geprüft. DieResultate einer kurzen Umfrage bestätigen, dass das Prüfungsformat auf grosse Akzeptanz bei den Prüflingen stiess.
Unsere Erfahrungen zeigen, dass der Erfolg eines solchen Projektes von verschiedenen Faktoren abhängt: Bereitschaft, relativ viel Zeit und Energie in die Vorbereitung des Examens zu investieren, inklusive methodischen und technischen Briefings aller Beteiligten; ein eingespieltes technisches Team, das Erfahrung mit ­Videokonferenzen mitbringt und mit einer gewissen Routine die Administration und Organisation eines solchen Unterfangens abdecken kann; sowie motivierte Prüfungsexpertinnen und -experten, die bereit sind, Neuland zu betreten. Die Chatgruppen, welche es den Examinatoren erlaubten, trotz den Distanzen untereinander im ständigen Kontakt zu bleiben, waren ebenfalls ein echter Gewinn.
Andererseits waren die Vorteile am Prüfungstag eindeutig: keine Reisen und keine Übernachtungen im Hotel und somit eine willkommene Einsparung von Zeit und Geld. Der SGAR-Vorstand erwägt, auch ohne Pandemie in ­Zukunft die mündliche Facharztprüfung mittels Videokonferenz durchzuführen.

Dank

Ein besonderer Dank gilt den Administratorinnen und Administratoren des SGAR-Sekretariats, Mirjam Zürcher, Sujani Ragumar und Peter Salchli, die im Vorfeld der Prüfung und am Prüfungstag Aussergewöhnliches geleistet und den reibungslosen Ablauf der Prüfung durch ihren unermüdlichen Einsatz ermöglicht haben.

Das Wichtigste in Kürze

• Vorbereitende ZOOM-Meetings für Prüfende und Prüflinge sorgten für einen reibungslosen technischen Ablauf.
• Fast alle Prüflinge bewerteten den Ablauf als fair und waren froh, dass das Examen stattfinden konnte.
• Der SGAR-Vorstand erwägt, die mündliche Facharztprüfung auch ohne Pandemie in Zukunft virtuell durchzuführen.
Adrian König
SGAR/SSAR
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