Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Arztpraxen

FMH
Ausgabe
2021/2728
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.19988
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(2728):906-909

Affiliations
a Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Sektion Gesundheitsversorgung, Bundesamt für Statistik, Neuenburg; b Leiterin Abteilung Daten, Demographie und Qualität DDQ/FMH, Bern

Publiziert am 06.07.2021

Die Arztpraxen waren im Jahr 2020 von der Covid-19-Pandemie massiv betroffen. Das zeigen die Ergebnisse der jüngsten «Erhebung Strukturdaten Arztpraxen und ambulante Zentren» durch das Bundesamt für Statistik. Jede zweite Praxis musste zwischen Mitte März und Ende April ihre Tätigkeit reduzieren oder einstellen und konnte auch zwischen Mai und Oktober nicht zum normalen Betrieb zurückkehren. Ein Drittel der Praxen hat auf Kurzarbeitsentschädigung zurückgegriffen.
Während der Corona-Pandemie mussten viele Arztpraxen ihre Tätigkeit stark reduzieren oder zeitweise ganz einstellen.
Die Covid-19-Pandemie und die Massnahmen zu ihrer Eindämmung haben in der Schweiz massive Auswirkungen gehabt. Insbesondere die Tätigkeit von Leistungserbringern im Gesundheitswesen war stark betroffen, namentlich von Arztpraxen. Diese mussten die Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten umstellen und zugleich den Schutz ihrer Mitarbeitenden gewährleisten. Zwischen Mitte März und Ende April 2020 waren ihnen bestimmte Behandlungen untersagt. Die meisten Arztpraxen sind kleine Unternehmen. Fast 90 Prozent sind im Besitz eines selbstständig tätigen Arztes oder einer selbstständig tätigen Ärztin, und in 90 Prozent der Fälle arbeitet dort nur ein Arzt oder eine Ärztin [1].
Um die Auswirkungen der Pandemie auf die Tätigkeit der Arztpraxen im Jahr 2020 zu beurteilen, hat das Bundesamt für Statistik entsprechende Daten erhoben. Dazu hat das BFS den elektronischen Fragebogen «Erhebung Strukturdaten Arztpraxen und ambulante Zentren» (MAS-Erhebung) um ein Themenmodul erweitert. Dieses Modul umfasste zehn Fragen. Ziel war es, sowohl die Auswirkungen der Pandemie auf die ärztliche Tätigkeit in den Arztpraxen als auch die wirtschaftlichen Auswirkungen im Zeitraum März bis Oktober 2020 zu betrachten. Das Themenmodul wurde in den Fragebogen der MAS-Erhebung für das Datenjahr 2019 eingebunden; die Daten wurden zwischen dem 9. November 2020 und dem 22. April 2021 erhoben. Die vollständige Liste der Fragen ist auf der Website des BFS verfügbar: www.mas.bfs.admin.ch.
Die MAS-Erhebung zu den Daten des Jahres 2020 wird ein vollständigeres Bild der Pandemieauswirkungen auf die Arztpraxen liefern, insbesondere im Hinblick auf deren finanzielle Situation. Auch die nächste Erhebung, die im November 2021 beginnt, wird dieses Themenmodul enthalten, um das Jahr 2021 abzudecken.

Rund 11 000 Praxen haben ihre Daten übermittelt

Im Rahmen der MAS-Erhebung zu den Daten von 2019 wurden 18 068 Arztpraxen und ambulante Zentren befragt, die in der Schweiz ärztliche Leistungen erbringen. Da lediglich 64% von ihnen geantwortet haben, dürfen die unten dargestellten Ergebnisse nur mit einer gewissen Vorsicht verallgemeinert werden.
Insgesamt haben 11 124 Unternehmen ihre Daten übermittelt und deren Verwendung für statistische Zwecke zugestimmt. 84% dieser Unternehmen verfügten über eine eigene Infrastruktur (Räumlichkeiten, Mobiliar, medizinische Geräte und so weiter) und 86% waren als Einzelunternehmen im Besitz eines selbstständigen Arztes oder einer selbstständigen Ärztin organisiert. Das Haupttätigkeitsgebiet war bei 36% der Unternehmen die Grundversorgung, bei 20% die Psychiatrie.

Bei fast 9 von 10 Praxen war die Tätigkeit betroffen

Über den gesamten Zeitraum von März bis Oktober 2020 war die ärztliche Tätigkeit in fast 9 von 10 Praxen von der Covid-19-Pandemie und den Massnahmen zu ihrer Eindämmung betroffen. Nur 1 von 10 Praxen war in der Lage, die normale Aktivität aufrechtzuerhalten oder sogar zu erhöhen. 49% der Praxen erlebten mittlere bis starke Auswirkungen: Ihre Aktivität war von Mitte März bis Ende April reduziert oder ganz zum Erliegen gekommen und blieb auch zwischen Mai und Oktober unter dem Niveau eines normalen Geschäftsjahrs. Es gibt grosse Unterschiede je nach Tätigkeits-
gebiet (siehe Abb. 1). Bei 62% der fachmedizinischen Praxen mit chirurgischer Tätigkeit wurde die Tätigkeit mässig oder stark betroffen.
Abbildung 1: Arztpraxen, deren Aktivität mässig bis stark betroffen wurde, März bis Oktober 2020, Quelle: BFS – MAS.

Deutlich reduzierte Aktivität im März und April

Vom 17. März bis zum 26. April 2020 war es Arztpraxen in der ganzen Schweiz untersagt, nicht dringende Untersuchungen, Behandlungen und Therapien (Eingriffe) durchzuführen. Dieses Verbot wirkte sich sehr stark auf ihre ärztliche Tätigkeit aus, also auf die Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten. Während dieses eineinhalbmonatigen Zeitraums verzeichneten 73% der Arztpraxen eine Reduktion ihrer medizinischen Aktivitäten, während 9% sogar vorübergehend schliessen mussten (siehe Abb. 2). Fachmedizinische Praxen mit chirurgischer Tätigkeit waren am stärksten betroffen; 94% von ihnen verzeichneten eine Reduktion ihrer medizinischen Tätigkeit oder stellten diese sogar ganz ein. Bei den psychiatrischen Praxen traf dies nur auf 66% zu; sie stellten den am wenigsten betroffenen Tätigkeitsbereich dar. Im Kanton Tessin, der an vorderster Front stand, als die Covid-19-Pandemie die Schweiz erreichte, mussten 9 von 10 Praxen ihre Tätigkeit reduzieren oder ganz einstellen.
Abbildung 2: Entwicklung der ärztlichen Tätigkeit der Arztpraxen, Mitte März bis Ende April 2020, Quelle: BFS – MAS.

Unterschiedlich verlaufene Wiederaufnahme der Tätigkeiten ab Mai

Per Ende April 2020 wurde das Verbot von nicht dringenden Untersuchungen, Behandlungen und Eingriffen aufgehoben. Die Gesundheitslage in der Schweiz verbesserte sich im Laufe des Sommers trotz regionaler Unterschiede, bevor die Zahl der Covid-19-Neu-
infektionen ab Ende September wieder stark anstieg. Die medizinische Tätigkeit in den Arztpraxen normalisierte sich im Zeitraum von Mai bis Oktober 2020 jedoch nur teilweise. Während 48% der Arztpraxen wieder ein ähnliches oder höheres Tätigkeitsniveau im Vergleich zu einem normalen Jahr erreichten, blieb es bei 46% der Praxen niedriger. Im Kanton Tessin meldeten 56% der Arztpraxen einen Rückgang der Tätigkeiten, in der Ostschweiz 39%.

Unterstützung für die Spitäler

In der Anfangsphase der Pandemie war das Arbeitsaufkommen in den Spitälern besonders hoch, mit einer erheblichen Anzahl an Covid-19-Patientinnen und -Patienten. Von Mitte März bis Ende April 2020 haben in 14 % der Arztpraxen ein oder mehrere Ärzte beziehungsweise Ärztinnen ihre Tätigkeit reduziert oder vorübergehend eingestellt, um die Tätigkeit von Spitälern zu unterstützen. Den grössten Beitrag leisteten die Praxen in der Genferseeregion und im Espace Mittelland mit 18% beziehungsweise 16%.
Im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise haben einige Kantone spezielle Gesundheitsmassnahmen ins Leben gerufen. Die Arztpraxen konnten dabei auf unterschiedliche Weise eingebunden werden. Manche Praxen wurden beispielsweise als Covid-19-Testzen-
tren bestimmt; in anderen wurden die Mitarbeitenden ganz oder teilweise zur Arbeit in einer öffentlichen Gesundheitseinrichtung abgestellt; manche Ärztinnen und Ärzte aus Arztpraxen dienten als Sachverständige in einem Krisenstab. Insgesamt gaben 14% der Arztpraxen an, dass sie in ein spezifisches kantonales System eingebunden waren.

Ein Drittel der Praxen griff auf ­Kurzarbeitsentschädigung zurück

In wirtschaftlicher Hinsicht konnten die Arztpraxen verschiedene Massnahmen, insbesondere die des Bundes, in Anspruch nehmen, sofern sie die notwendigen Voraussetzungen erfüllten (siehe Abb. 3). Liquiditätshilfen und Kurzarbeitsentschädigung waren die am häufigsten genutzten Massnahmen. Zwischen März und Oktober 2020 griffen 35% der Arztpraxen auf Kurzarbeitsentschädigung zurück. Diese Massnahme konnte Mitarbeitende der Praxis, aber auch Lernende oder arbeitgeberähnliche Angestellte betreffen. 18% der Arztpraxen nahmen eine Liquiditätshilfe in Anspruch. Diese konnte zum Beispiel Überbrückungskredite (Covid-Darlehen) oder einen Aufschub der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen umfassen.
Abbildung 3: Inanspruchnahme von wirtschaftlichen Massnahmen durch Arztpraxen, März bis Oktober 2020, Quelle: BFS – MAS.
Einige der ergriffenen Massnahmen waren speziell auf Selbstständigerwerbende ausgerichtet. So profitierten 7% der selbstständigen Ärztinnen und Ärzte von der Erwerbsausfallentschädigung für Selbstständige, die von den Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 indirekt betroffen waren (Härtefälle). Diese Massnahme stand jedoch nur Selbstständigen offen, deren AHV-pflichtiges Jahreserwerbseinkommen 2019 zwischen 10 000 und 90 000 Franken lag. Nur 2% der selbstständig erwerbend tätigen Ärztinnen und Ärzte wurden aufgrund eines engen Kontakts mit einer positiv auf Covid-19 getesteten Person unter Quarantäne gestellt und erhielten aus diesem Grund eine Erwerbsausfallentschädigung.
Je stärker die Tätigkeit der selbstständig erwerbenden Ärztinnen und Ärzte von der Covid-19-Pandemie be-
troffen war, desto mehr nahmen sie eine der folgenden drei wirtschaftlichen Unterstützungsmassnahmen in Anspruch: Liquiditätshilfen, Kurzarbeits- und Er-
werbsausfallentschädigungen, um die Auswirkungen der Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 zu kompensieren. Zwischen März und Oktober 2020 nutzten 36% der selbstständig erwerbend tätigen Ärztinnen und Ärzte, deren Tätigkeit wenig oder gar nicht betroffen war, mindestens eine dieser Massnahmen. Bei den mässig und stark betroffenen selbstständig Erwerbenden belief sich dieser Anteil auf 52%.

Die Statistiken der FMH zeigen ein ­vergleichbares Bild

Die FMH führte im Mai 2020 eine Mitgliederbefragung durch, um die Situation der Ärzteschaft im Zeitraum März bis Mai 2020 besser erfassen zu können. 12 111 und damit 36,4% der 33 269 angeschriebenen Ärztinnen und Ärzte nahmen an der Befragung teil. Die Covid-19-Krise wirkte sich auf die Arbeitssituation der Ärzteschaft sehr unterschiedlich aus. Während im März 2020 knapp 13% der Ärztinnen und Ärzte «deutlich mehr zu tun» hatten, berichtete die Mehrheit der Befragten, «etwas weniger» (22%) oder sogar «deutlich weniger» (32%) zu tun zu haben. Im April verschärfte sich diese Situation weiter: Nur noch knapp 12% der Befragten erlebten die gleiche Arbeitsbelastung wie sonst. Fast die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte (46%) hatte «deutlich weniger zu tun» als sonst, weitere 24% hatten «etwas weniger» zu tun. Die geringere Beschäftigung schlägt sich auch in den Erwartungen über die persönlichen finanziellen Folgen nieder. Über zwei Drittel der Befragten erwarten Einkommensverluste, fast die Hälfte «deutliche» (43%) oder sogar «allenfalls existenzbedrohende» (4%) Einkommensverluste (siehe Abb. 4). Die Frage, ob sie während der Covid-19-Krise Kurzarbeitsentschädigung als Massnahme ergriffen hätten, bejahten 36,5% der Befragten; 1,6% hatten Entlassungen von ärztlichem oder nicht ­ärztlichem Personal ausgesprochen [2].
Abbildung 4: Welche finanziellen Auswirkungen erwarten Sie durch die Covid-19-Krise für sich persönlich? (n = 11 521), Quelle: FMH
Die Ergebnisse aus der Erhebung MAS wie auch aus der Mitgliederbefragung der FMH widerspiegeln sich auch im tatsächlichen TARMED-Abrechnungsvolumen [3]. Im praxisambulanten Bereich verbuchten Arztpraxen im April 2020 je nach Disziplin bis zu 40% Verlust des TARMED-Abrechnungsvolumens im Vergleich zum Vorjahr, die Patientenkontakte gingen um einen ähnlichen Anteil zurück. Insgesamt lag der Umsatzrückgang pro Arztpraxis im zweiten Quartal durchschnittlich bei circa 14%. Weiterhin stellten die Mehrkosten, die durch die erhöhten Schutzmassnahmen sinnvollerweise getroffen werden mussten, die Ärzteschaft vor grosse Herausforderungen. Nach der starken Reduktion in den Frühlingsmonaten (der Umsatz pro Praxis sinkt deutlich unter den Wert von 2017) konnten viele Arztpraxen durch deutlichen Mehraufwand aufgeschobene Behandlungen nachholen. Jedoch ist für nahezu alle Fachrichtungen ein Rückgang im Gesamt-
volumen zu beobachten und das Vorjahresniveau wird nicht erreicht.

Fazit

Sowohl die Ergebnisse des BFS wie auch der FMH ­zeigen ein vergleichbares und deutliches Bild. Die ­Pandemie hatte deutliche Auswirkungen auf den ­praxisambulanten Bereich (Arbeitsbelastung, Schutz­massnahmen, finanzielle Auswirkungen usw.). Die Patientinnen und Patienten konnten aber jederzeit auf eine optimale und qualitativ hochstehende Versorgung zählen. Das TARMED-Volumen pro Patientin und pro Patient ist analog der Vorjahresentwicklungen im Jahr 2020 konstant, was bedeutet, dass in den Sommer- und Herbstmonaten nur Behandlungen und Eingriffe nachgeholt wurden, die im Frühjahr nicht durchgeführt werden konnten.
Frédéric Clausen
Bundesamt für Statistik (BFS)
Sektion Gesundheits­versorgung (GESV)
Espace de l’Europe 10
CH-2010 Neuenburg
Tel. 058 467 16 30
frederic.clausen[at]bfs.admin.ch
1 Bundesamt für Statistik (2019). Arztpraxen und ambulante Zentren 2017: Tätigkeit, Zugänglichkeit und räumliche Verteilung. ­Neuenburg: Bundesamt für Statistik.
2 Nora Wille, Schlup Jürg. Schweiz Ärzteztg. 2020;101(29–30):882–4.
3 Schutz Kerstin, Zehnder Sabine. Schweiz Ärzteztg. 2021;102(19–20):640–2.