Glaubwürdigkeit schafft nur das Urteil anderer

Zu guter Letzt
Ausgabe
2021/41
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20155
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(41):1348

Affiliations
Dr. h.c., Gründer der wissenschaftsjournalistischen Plattform higgs.ch

Publiziert am 12.10.2021

Luca prahlt auf dem Schulhof: «Ich bin der Grösste.» Und er tut dies so aufdringlich, bis sich die Klasse von ihm abwendet: «Luca spinnt.» Silvie hingegen macht wenig Aufhebens um sich selbst, tut einfach das, was sie gut kann. Mehr und mehr scharen sich die Kinder um sie: «Silvie ist toll.» Bald ist Silvie der Star der Schule. Diese kommunikativen Effekte nennt der emeritierte Professor für Kommunikation, Ottfried Jarren, «Selbstreferenz» beziehungsweise «Fremdreferenz». Und wie die Beispiele Luca und Silvie zeigen, erzeugt nur Fremdreferenz Glaubwürdigkeit.
Was sich auf dem imaginären Schulhof zutrug, ist seit einigen Jahren auch in der Schweizer Medien- und Hochschulwelt im Gang: Immer weniger Medienhäuser leisten sich eine Wissenschaftsredaktion – aktuell sind es noch die NZZ, Tamedia sowie die Radio- und Fernsehprogramme der SRG. Daneben gibt es bei einigen wenigen noch Reste von Wissenschaftsbericht­erstattung in Misch-Ressorts mit Namen wie «Leben». Der Rest der Medienlandschaft ist bezüglich Wissenschaftsjournalismus eine ausgetrocknete Wüste.
Das bedeutet, das Publikum wird immer weniger über Forschung informiert. Was wohl mit ein Grund dafür ist, dass die Wissenschaft in der Corona-Krise Schwierigkeiten hatte, das breite Publikum zu erreichen. Als Antwort rüsten die Hochschulen ihre Kommunika­tionsabteilungen massiv auf. So publiziert heute jede Uni und jede Fachhochschule ihr eigenes Magazin, unterhält eine aufwendige Website, ist auf Social Media präsent. Sie posaunen ihre Botschaften in die Welt und verhalten sich damit wie Luca auf dem Pausenplatz. Was in der Wissenschaftskommunikation zunehmend fehlt, ist die Fremdreferenz. Denn diese kann nur unabhängiger Journalismus bieten. Dieser preist nicht nur die Leistungen der Wissenschaft, sondern hinterfragt sie auch, ordnet ein, kritisiert. Nur mit Journalismus gewinnt die Wissenschaft die nötige Glaubwürdigkeit gegenüber der breiten Bevölkerung.
Trotz der medialen Krise wegen schwindender Werbeeinnahmen sind in den vergangenen Jahren neue Medien entstanden – allesamt online: als prominenteste die Politmagazine Infosperber und Republik, die Lokalmedien Tsüri und Bajour und in der Westschweiz heidi.news. Zudem der von mir gegründete Wissenskanal higgs. Jedoch ist die Gründung eines Medien-Start-ups ein enormes Risiko. Erstens hat Qualität ihren Preis, und zweitens reicht Qualität allein nicht, um das Publikum zu gewinnen und Einkünfte zu generieren. Ohne Marketing geht nichts. Dafür aber ist das Budget oft zu knapp – ausser man hat wie die Republik und heidi.news millionenschwere Mäzene als Geburtshelfer.
Higgs hingegen war neben einem beschränkten Beitrag der Gebert Rüf Stiftung und aktuell des Schweizerischen Nationalfonds nicht mit philanthropischen Millionen gesegnet und suchte darum einen anderen Weg. Es wurde eine Stiftung zur Förderung des unabhängigen Wissenschaftsjournalismus gegründet. An ihr sollten sich jene Kreise finanziell beteiligen, die ein Interesse an einer aufgeklärten Bevölkerung haben und zur Stärkung ihrer Glaubwürdigkeit an einer Fremdreferenz interessiert sind (oder sein sollten): Hochschulen, Akademien, Wirtschaft, Bildungsdirektionen.
Die Idee der Stiftung – das muss ich nach dreieinhalb Jahren zugeben – ist gescheitert. Die Akteure liessen sich nicht gewinnen. Im krassen Gegensatz dazu steht der Publikumserfolg von higgs, zu dem wohl auch die Pandemie beigetragen hat. Anfang 2020 zählten wir monatlich 20 000 Besucher, heute sind es 108 000. Die Zahl der Seitenansichten stieg von 50 000 monatlich auf 340 000. Dieses Potenzial gilt es nun, mit einem Abo-System in finanziellen Ertrag zu übersetzen.
Dass die Fremdreferenz für die eigene Glaubwürdigkeit essentiell ist – dass es also unabhängigen Wissenschaftsjournalismus braucht –, haben unterdessen auch die Schweizer Akademien erkannt. Sie haben ­einen Bericht zur Wissenschaftskommunikation in der Schweiz erarbeitet [1]. Unter anderem empfehlen sie die Gründung einer Stiftung, die Kanäle wie higgs unterstützt. Auch der ETH-Rat stellt solche Überlegungen an. Womöglich ist es sinnvoller, wenn die Institutionen eine solche Förderstiftung gründen, weil sie mehr Kraft entwickeln können als Private. Wir sehen die Idee der Akademien als Silberstreif am Horizont.