Ressourcen im Gesundheitswesen sinnvoll einsetzen

smarter medicine: «Top-5-Liste» für Ophthalmologie

Organisationen der Ärzteschaft
Ausgabe
2021/45
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20263
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(45):1479-1480

Publiziert am 10.11.2021

Die Schweizerische Ophthalmologische Gesellschaft (SOG) hat ihrer Qualitäts- und Deontologiekommission den Auftrag gegeben, für die Schweiz «Choosing Wisely»-Empfehlungen auszuarbeiten. Die fünf Empfehlungen liegen eng an der US-amerikanischen Vorlage.
Die Ophthalmologie ist ein von Innovation geprägtes medizinisches Fachgebiet, das sich schnell weiterentwickelt. Entsprechend ist es auch von grosser Bedeutung, die Empfehlungen stets im Auge zu behalten, zu reflektieren und gegebenenfalls an Veränderungen in der Disziplin anzupassen. Es ist ein zentrales Anliegen der SOG, die hohe Qualität der Ophthalmologie in der Schweiz sicherzustellen, weiter auszubauen und gleichzeitig dazu beizutragen, dass die Ressourcen im schweizerischen Gesundheitswesen sinnvoll und effizient eingesetzt werden.
Die Schweizerische Ophthalmologische Gesellschaft gibt die folgenden fünf Empfehlungen ab:

Zur Entstehung dieser Liste

Die SOG hat ihre Qualitäts- und Deontologiekommission damit beauftragt, Empfehlungen in Bezug auf die «Choosing Wisely»-Liste der ABIM Foundation zu entwickeln. Unter Einbezug der jeweiligen Fachgruppen und des Vorstandes der SOG wurden die bereits bestehenden Top-5-Empfehlungen der American Academy of Ophthalmology (AAO) geprüft und positiv bewertet. Nach mehreren Fachgesprächen innerhalb der SOG wurde die Top-5-Liste im Konsens leicht abgeändert, um den schweizerischen Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Die finale Liste wurde dem Vorstand der SOG vorgelegt, von diesem verabschiedet und an der SOG-Generalversammlung 2020 vorgestellt.

1. Kein Einsatz von lokalen Antibiotika bei viralen oder unspezifischen Bindehautentzündungen.

Der Einsatz von Antibiotika ist bei den meisten Bindehautentzündungen unnötig und führt zu zunehmenden Resistenzen weltweit. Nur ein bewusster Umgang mit Antibiotika kann deren Wirksamkeit langfristig erhalten, damit wir auch in Zukunft bakterielle Infektionen zuverlässig kontrollieren können.

2. Verzicht auf den routinemässigen Einsatz lokaler Antibiotika in der Vor­bereitung auf eine Injektion in den Glaskörperraum (intravitreal).

Studien haben gezeigt, dass die prophylaktische Gabe von lokalen Antibiotika keinen Einfluss auf das End­ophthalmitis-Risiko bei intravitrealen Injektionen hat. Eine angemessene präoperative Desinfektion gemäss internationalen Richtlinien ist ausreichend. Durch den reduzierten Einsatz von Antibiotika wirken wir der Selektion resistenter Keime entgegen.

3. Kein Absetzen einer thrombozyten­aggregationshemmenden oder antikoagulativen Therapie vor intra­vitrealen Injektionen oder Kataraktoperationen in Tropfanästhesie.

Das perioperative Blutungsrisiko bei den oben genannten Eingriffen ist sehr niedrig und wird weder durch die Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern noch durch Antikoagulanzien signifikant erhöht. Ein Sistieren dieser Therapien erhöht im Gegenzug das Risiko thromboembolischer Komplikationen bei den Patientinnen und Patienten und ist für die genannten Eingriffe nicht vertretbar.

4. Verzicht auf den routinemässigen Einsatz bildgebender Verfahren bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten, fehlendem klinischem Hinweis auf eine Augenerkrankung und fehlenden Konsequenzen.

Der Einsatz bildgebender Verfahren (z.B. OCT, Fundusfotografie) bei fehlenden Symptomen, klinischen Hinweisen oder fehlenden therapeutischen Konsequenzen ist nicht indiziert. Ein sinnvoller Einsatz moderner Bildgebung trägt zur Kostensenkung und Schonung der Ressourcen im Gesundheitswesen bei.

5. Keine Indikationsstellung für eine Operation des grauen Stars allein aufgrund einer sichtbaren Linsentrübung.

Die Operation des grauen Stars ist eine relative Indikation, die in Abwägung des Patientenwunsches und individuellen Operationsrisikos gestellt werden muss. Nur in seltenen Fällen ist die Operation zwingend erforderlich. Dies kann der Fall sein, wenn ein Verzicht auf die Operation zu einer bleibenden Sehschädigung führt – z.B. im Rahmen einer intumeszenten Katarakt mit intraokularer Druckentgleisung.

Die Kampagne «smarter medicine»

Der Trägerverein «smarter medicine – Choosing Wisely Switzerland», der nebst medizinischen Fach- und Berufsorganisationen auch von Patienten- und Konsumentenorganisationen unterstützt wird, möchte die Öffentlichkeit für die Themen der Fehl- und Überversorgung sensibilisieren. Die Kampagne knüpft an die erfolgreiche amerikanische Initiative «Choosing ­Wisely» an, die zum Ziel hat, nicht nur «kluge Entscheidungen» herbeizuführen, sondern auch die offene Diskussion zwischen Ärzteschaft, Patientinnen und Patienten und der Öffentlichkeit zu fördern. In den nächsten Monaten werden weitere medizinische Fachgesellschaften sogenannte Top-5-Listen mit unnützen Behandlungen in ihrem Fachbereich publizieren. Zudem hat der Verein im Oktober 2018 eine breite Kampagne für Patientinnen und Patienten lanciert: Die bisher veröffentlichten Empfehlungen sind neu in einer für Laien verständlichen Sprache verfügbar, um gemeinsame Entscheidungen zu unterstützen. Weitere Informationen zum Trägerverein und eine Übersicht über die bestehenden Top-5-Listen sind zu finden unter www.smartermedicine.ch

Das Wichtigste in Kürze

• Die Schweizerische Ophthalmologische Gesellschaft (SOG) hat im Rahmen der Kampagne «smarter medicine» fünf Massnahmen definiert, auf die – unter gewissen Umständen – künftig verzichtet werden soll.
• Die fünf Interventionen, darunter etwa der Einsatz von Antibiotika bei Bindehautentzündungen, nützen den Patientinnen und Patienten nichts oder wenig, haben aber unerwünschte Aus- und Nebenwirkungen.
• Es ist ein zentrales Anliegen der SOG, die hohe Qualität der Ophthalmologie in der Schweiz sicherzustellen und gleichzeitig dazu beizutragen, dass die Ressourcen im schweizerischen Gesundheitswesen sinnvoll und effizient eingesetzt werden.
Trägerverein
smarter medicine
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