Lehren und Führen – kann man doch!

Zu guter Letzt
Ausgabe
2021/50
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2021.20368
Schweiz Ärzteztg. 2021;102(50):1704

Affiliations
Dr. med., ehem. Präsident des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung SIWF

Publiziert am 15.12.2021

We need a school of medical pedagogy, in which able young people, aspiring to the position of teachers, could be taught proper methods. We still have the primitive ­belief that any man is good enough to be a teacher.
Sir William Osler, 1907
If we are to develop a health workforce capable of ­de­livering high-quality services in all areas, not just in ­pockets of excellent care, then health care education will require educational leaders at all levels who can manage as well as lead to ensure equitable and sustainable ser­vices, even when resources and morale are low.
Judy McKimm und Tim Swanwick, 2019
Diese beiden Zitate sind mir kürzlich begegnet, und zusammen mit eigenen beruflichen Erfahrungen und Feststellungen bei Visitationen von Weiterbildungsstätten haben sie mir Stoff zum Nachdenken gegeben: Wie weit beruhen die Fähigkeiten, gut zu lehren und zu führen, auf Persönlichkeitsfaktoren? Wie weit kann man Lehren und Führen lernen?
Ein Blick in die Literatur führt erwartungsgemäss zum Ergebnis, dass eine differenzierte, evidenzbasierte Antwort auf diese etwas undifferenzierte Frage schwierig ist.
Bruce Avolio, ein amerikanischer Psychologe, der sich mit Führungstheorien beschäftigt, kommt aufgrund seiner Studien zum Schluss: «Nature accounts for around 30%, nurture accounts for about 70%.» Dies bedeutet, dass Führung gelernt werden kann oder sogar muss, was wohl zutreffend ist – aber mit Einschränkungen.
In einem unterhaltsamen Buch mit dem originellen ­Titel A very short, fairly interesting and reasonably cheap book about studying leadership schreiben Brad Jackson und Ken Parry: «Doh (2003) makes the point that, even if we can learn to lead, it does not mean that leadership can be taught. It is possible, that the process of learning is simply too complex, unconscious, or non-replicable to teach. His review suggests that some aspects of lead­ership can be learned.» Die beiden Autoren machen dar­auf aufmerksam, dass wir den emotionalen Aspekten der Führung mehr Aufmerksamkeit schenken sollten: «Frequently, when you look at leadership failure, it comes down to emotional issues and not cognitive behavioural ones.» Sie bringen zudem den Begriff der «emotionalen Intelligenz» ins Spiel. Diese ist für Führungspersonen vor allem bei der Bewältigung von ­Krisensituationen wichtig.
Seit 2012 bietet das Schweizerische Institut für ärzt­liche Weiter- und Fortbildung (SIWF) in Zusammen­arbeit mit dem Royal College of Physicians Workshops zum Thema Effective leadership skills an. Das Ziel dieser Kurse ist es, die lernbaren Grundlagen und Methoden zu vermitteln, die für die Übernahme von Führungsfunk­tionen im Spital und in anderen Institutionen des Gesundheitswesens hilfreich sind. Dabei wird auch auf den Unterschied zwischen Management und Leadership Wert gelegt: «Management produces order and consistency, leadership produces change and movement, both are essential to prosper.»
Manche Ärztinnen und Ärzte mögen zwar wünschen, dass sie ausschliesslich klinisch tätig sein können und Leadership für sie ein Fremdwort bleibt. Ausser in Einzelfällen trifft dies aber nicht zu. Sei es in der Praxis, sei es im Spital oder sei es in einer anderen Funktion im Gesundheitswesen: Es gibt wenige Arbeitsplätze, bei denen nicht in irgendeiner Form eine Führungsaufgabe bewältigt werden muss – auch im Teamwork.
Und damit komme ich zum Titel zurück: «Lehren und Führen – kann man doch!» Meine Antwort auf diese Behauptung, die man immer wieder, allerdings mehr zu spüren als zu hören, bekommt, mag etwas banal klingen: Seien es nun 20, 30 oder 40 Prozent, welche die ­Natur gemäss Avolio zur Führungskompetenz beisteuert, es bleibt ein beträchtlicher Anteil an Führungsmethodik, den man lernen kann und auch lernen sollte. Das Gleiche gilt für das Lehren. Es mag Naturtalente geben, aber sogar für diese dürfte es nützlich sein, sich mit den heutigen Erkenntnissen über die Mechanismen des Lernens und über erfolgreiche Methoden des wirkungsvollen Lehrens vertraut zu machen.
Als Zusammenfassung wage ich es, Oslers Zitat etwas zu modifizieren: Not any man is good enough to be a teacher or to be a leader without being taught proper ­methods. Ich bin zuversichtlich, dass Sir William einverstanden wäre.
Einzelnachweise und Literatur beim Verfasser.
werner.bauer[at]hin.ch