Vier Wochen plastikfrei: So war es

Zu guter Letzt
Ausgabe
2022/10
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20569
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(10):336

Affiliations
Stellvertretende Chefredaktorin der Schweizerischen Ärztezeitung

Publiziert am 08.03.2022

Zuerst die gute Nachricht: Ich lebe noch. Und nun die weniger gute: Mein Experiment lässt sich (für mich und meine Familie) langfristig kaum durchhalten.
Vor etwa einem Monat habe ich an dieser Stelle verkündet, dass ich vier Wochen lang auf Plastikeinkäufe verzichten möchte. Ich durfte währenddessen verbrauchen, was ich bereits im Vorratsschrank hatte, aber keine neuen in Plastik verpackten Produkte kaufen. Nach der Veröffentlichung des Textes habe ich viele Zuschriften von Ärztinnen und Ärzten bekommen, die mich ermutigten durchzuhalten, oder mir Links zu Studien oder Artikeln schickten, in denen beschrieben wird, welche negativen Auswirkungen unser aller Plastikkonsum auf die Umwelt hat. Ein herzliches Dankeschön dafür. Nach den vier Wochen kann ich sagen, es war eine echte Heraus­forderung.
Die wahrscheinliche grösste Erkenntnis ist: Es ist zwar möglich, plastikfrei zu leben. Es ist aber sehr teuer. Ich habe beim Bio-Bauernhof in meiner Region viel mehr Käse bestellt als sonst, weil er in unbeschichtetem ­Papier verpackt ist. Der kostet allerdings viel mehr als das, was ich sonst im Supermarkt für Bio-Käse in Plastikverpackung zahle. Ich habe Butter in Pergamentpapier gefunden, Milch in Glasflaschen, Nudeln in einer Verpackung aus 100 Prozent Papier und vieles andere, was ich zuvor verpackungstechnisch kaum für möglich gehalten hätte.
Mein Herz klopfte vor Freude, wenn ich eine plastikfreie Alternative fand, und raste vor Zorn, wenn ich die Einkäufe an der Kasse bezahlen musste. Wie kann es sein, dass die umweltfreundlichere Alternative mich als Verbraucherin viel mehr Geld kostet, obwohl doch die Unmengen an Plastikverpackungen uns als Gesellschaft langfristig sehr viel mehr kosten werden? Fair wäre es, so finde ich, wenn nach­haltig verpackte Produkte kostengünstiger wären. ­­­Die Realität aber ist: Plastikfrei zu leben ist eine ­Geldfrage.
Und es ist eine Zeitfrage. Ich musste verschiedene Orte ansteuern, um alle Produkte zu bekommen, die ich brauchte, manches habe ich online bestellt. Natürlich darf man über die Sinnhaftigkeit dieser Vorgehensweise diskutieren. Aber welche Wahl hatte ich? Im gewöhnlichen Supermarkt sind leider tatsächlich die meisten Lebensmittel und Hygieneprodukte von Plastik umhüllt. Trotzdem habe ich dort weiterhin regelmässig Früchte gekauft, die es unverpackt gibt. Allerdings klebt auf vielen ein kleines Etikett, zum Beispiel mit Informationen über die Marke, die das Produkt vertreibt, die Herkunft oder Ähnliches. Hier habe ich immer mal wieder ein Auge zugedrückt.
Im medizinischen Bereich ist wie vermutet nach wie vor viel Plastikmüll angefallen, aber diese Ausnahme hatte ich ja von Anfang an eingeplant. Vor allem Antigen-Schnelltests und Alltagsmasken haben für den ­unerwünschten Abfall gesorgt. Doch es gab auch eine ungeplante Abweichung von meinem Vorhaben, die ich mit viel gutem (oder bösem?) Willen in den Bereich «medizinische Produkte» schieben kann. Ich habe eine Dankeskarte für eine Ärztin meiner Tochter gekauft – und erst zu Hause fiel mir die Plastikhülle auf, in der die Karte steckte.
Zum Schluss muss ich zugeben, dass viele nicht ge­tätigte Einkäufe nur aufgeschoben waren. Als die vier Wochen vorüber waren, habe ich Lampen, an denen Plastik verbaut ist, für Wohnzimmer und Küche gekauft, wo seit unserem Einzug nur nackte LED-Birnen hängen.
Gelohnt hat sich das Experiment trotz aller Widrigkeiten und obwohl ich nach Abschluss der vier Wochen wieder Plastik in meinen Einkaufswagen gepackt habe. Der Gang durch den Supermarkt, in dem ich einen Monat lang fast nichts kaufen konnte, war beeindruckend und erschreckend. Mir wurde klar, wie abhängig ich von diesem Material bin.
Geblieben ist der Ärger darüber, dass ein plastikfreies Leben enorm viel Zeit und Geld kostet, und das feste Vorhaben, in Zukunft weiterhin so oft wie möglich zur nachhaltigen Alternative zu greifen.
eva.mell[at]emh.ch