Endlich ein aktives Klima-Engagement der Ärzteschaft

Wo ein Wille, da ein Weg

Tribüne
Ausgabe
2022/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20577
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(17):573-574

Affiliations
a Dr. med., Wissenschaftskommission Klima-Grosseltern Schweiz; b Cand. med., HealthForFuture Basel; c Dr. med., Verein unabhängiger Ärztinnen und Ärzte (VUA) Zürich; d Dr. med., Wissenschaftskommission Klima-Grosseltern Schweiz

Publiziert am 26.04.2022

Nach der Corona-Pandemie könnte mit der Klimakrise die nächste, noch grössere medizinische Herausforderung bevorstehen. Neben politischen Beschlüssen und wissenschaftlichen Untersuchungen sind jetzt praktische Massnahmen gefragt. Auch vonseiten der Ärzteschaft.
Der letzte IPCC-Bericht von August 2021 [1] und die Welt-Klimakonferenz in Glasgow (COP26) von November 2021 erlauben keine Zweifel an Ernst und Dringlichkeit der Lage: Wenn wir nach der Corona-Pandemie nicht in eine ungleich schlimmere Klimakatastrophe schlittern wollen, müssen auf allen Ebenen effiziente Klimaschutzmassnahmen in Gang gesetzt werden. Der Generaldirektor der WHO, Dr. Tedros, und UNO-­Generalsekretär António Guterres haben vor ­Beginn der Glasgow-Konferenz übereinstimmend und unmiss­verständlich die auf uns zukommenden Gesundheitsfolgen des Klimawandels als grösste medizinische ­Herausforderung des 21. Jahrhunderts [2] bezeichnet.
In zahlreichen Ländern sind ärztliche Berufsorganisationen, wissenschaftliche Kooperationsprojekte und staatliche Gesundheitswesen an der praktischen ­Umsetzung von Adaptations- und Mitigationsmassnahmen zum Schutze aller beteiligt (siehe z. B. Lancet-Countdown 2021, [3]).
Auch in unserem mit finanziellen und intellektuellen Ressourcen reich bedachten Land machen sich wichtige Player aus Industrie, Baugewerbe, Verkehr, Finanz- und Landwirtschaft auf den beschwerlichen Weg der Transition zu einer kohlenstofffreien Gesellschaft; Klima-Pläne mit Netto-Null-Strategien werden allenthalben aufgegleist. Da ist es auch für die Schweizer Ärzteschaft höchste Zeit, das endlose Stadium von Vernehmlassungen und Strategiepapier-Entwicklung zu überwinden und umgehend zu echten Taten zu schreiten.
Es genügt einfach nicht, wenn an der FMH-Delegiertenversammlung im Oktober 2021 festgestellt wird: «Konkrete Projekte sind bisher nicht initiiert worden» [4].
An Möglichkeiten für die FMH und uns Ärztinnen und Ärzte, rasch und gezielt zu handeln, mangelt es nicht; wir Autoren regen Engagements in folgenden Bereichen an:
Politische Aktion: Die FMH verlangt, dass im BAG die «Sektion Umwelt und Gesundheit» wieder in Betrieb genommen und mit Belangen von Klima, Biodiversität, Medizin und Gesundheit beauftragt wird.
Spitäler handeln: Die FMH stellt CO2-Footprint-Messsysteme und Kataloge von gezielten CO2-Spar- und Klimaanpassungsmassnahmen für Spitäler zur Verfügung (Ziel: «Klima-Zertifikat» für Spitäler).
Niedergelassene handeln: Die FMH stellt CO2-Footprint-Messsysteme und Kataloge von gezielten CO2-Spar- und Klimaanpassungsmassnahmen für ­Praxen und ambulante Versorgungsstätten zur Verfügung (Ziel: «Klima-Zertifikat» für Niedergelassene).
Aktion im universitären Bereich: Die FMH setzt sich dafür ein, dass «Planetary Health» ab sofort in der medizinischen Aus- und Weiterbildung fest verankert wird.
Aktion im Finanzbereich: Die FMH unterstützt selektiv Pensionskassen, deren Anlagepolitik einer 1,5-Grad-Celsius-Strategie gemäss Pariser Klimaabkommen entspricht und lässt im Inserateteil ihres Publika­tionsorgans Schweizerische Ärztezeitung nur Pen­sionskassen mit klaren Angaben zur Klimarelevanz ihrer Anlagen zu.
Dazu einige Kommentare:
–Die Aufhebung der «Sektion Umwelt und Gesundheit» des BAG 2006 durch Bundesrat Pascal Couchepin hat sich mittlerweile als Fehlgriff entpuppt: Sie gilt mit als Grund für Hitzetote in den Jahren 2015 und 2018 [5]; ohne diese Stelle ist die Treibhausgasbilanz des Schweizer Gesundheitswesens nach wie vor unbekannt (trotz erster Teilresultate, [6]) und die rationale Planung eines Absenkungspfades unmöglich.
–Systeme zur Messung und Steuerung von Spi­tal- und Praxis-Ökobilanzen wurden im Ausland bereits entwickelt und haben sich dort bewährt – ­warum soll das nicht auch in der Schweiz funktionieren [7, 8]?
–Weder an den medizinischen Fakultäten noch bei der ärztlichen Weiterbildung wird dem Klima gegenwärtig ein ernst zu nehmender Platz eingeräumt – die FMH ist gut positioniert, dies ab sofort zu verbessern.
–Verdienende im Medizinalsektor speisen ihre Pensionskassen mit mehreren Milliarden Schweizerfranken, die nach wie vor klimaschädigend angelegt sind [9]. Die FMH setzt sich per sofort für eine klimaschonende Investitionspolitik aller mit der Ärzteschaft kooperierenden Pensionskassen ein, dies unter Anwendung publizierter Klassierungskriterien (Klima-Allianz, [10]; BAfU, [11]).
Sicher kommen noch weitere als die aufgeführten ­Vorschläge infrage und sicher stimmt, was Kafka ­geschrieben hat: «Wege entstehen dadurch, dass man sie geht» [12]. Wie aber steht es mit dem Willen, sich endlich auf den Weg zu machen?

Das Wichtigste in Kürze

• Organisationen wie die WHO und die UNO befürchten, dass der Klimawandel weitrechende gesundheitliche Schäden hervorrufen und zu einer medizinischen Krise führen könnte.
• Die Autoren fordern deshalb, dass die FMH praktische Massnahmen veranlasst, um die Reduktion der CO2-Produktion zu fördern.
• Sie empfehlen u.a. die Wiedereinführung der «Sektion Umwelt und Gesundheit» des Bundesamts für Gesundheit, CO2-Footprint-Messsysteme für Spitäler und Arztpraxen, die Integration von «Planteary Health» in die Aus- und Weiterbildung sowie die selektive Unterstützung von Pensionskassen mit klimaschonender Anlagepolitik.
redaktion.saez[at]emh.ch
 1 Climate change widespread, rapid and intensifying, IPCC August 2021. www.ipcc.ch/2021/08/09/ar6-wg1-20210809-pr/
 2 Global health workforce urges action to avert health catastrophe, WHO Oktober 2021. www.who.int/news/item/11-10-2021-who-s-10-calls-for-climate-action-to-assure-sustained-recovery-from-covid-19
 3 Romanello M et al. The 2021 report of the Lancet Countdown on health and climate change: code red for a healthy future; Lancet 2021; 398: 1619–62
 4 Meister K. Beschlussprotokoll der zweiten Ärztekammer 2021; Schweiz Ärzteztg. 2022;103(0102):5–19
 5 Ragettli MS, Röösli M. Hitzesommer 2018. Auswirkungen auf die Sterblichkeit und kantonale Präventionsmassnahmen Swiss TPH 2019. www.swisstph.ch/de/swiss-tph-news/heatwaves-increase-emergency-admissions-to-swiss-hospitals/
 6 Rippstein J. «50% der Spitäler könnten ihren Umwelt-Fussabdruck halbieren»; Schweiz Ärzteztg. 2021;102(45):1490–2.
 7 Royal College of General Practitioners. www.greenerpractice.co.uk/new-page-4
 8 Dzau VJ et al. Decarbonizing the U.S. Health Sector — A Call to Action. N Engl J Med 2021; 385:2117–9.
 9 Jaccard R, Hagnauer U. Die Klimakatastrophe und unsere Pensionskassen Schweiz Ärzteztg. 2021;102(07):262–263.
10 Klima-Rating, Klima-Allianz Januar2022. www.klima-allianz.ch/klima-rating/
11 Bundesamt für Umwelt. Schweizer Finanzmarkt auf dem Prüfstand, Bundesamt für Umwelt November 2020. www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/dokumentation/medienmitteilungen/anzeige-nsb-unter-medienmitteilungen.msg-id-81034.html
12 Rieser R, Quinto C, Weil B.Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. Schweiz Ärzteztg. 2021;102(43):1394–6.